22. Kapitel

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Ich saß mit angezogenen Beinen auf der Fensterbank, Albus stand neben mir. "Okay. Gellert. Langsam. Was ist los?" Blinzelnd wandte er den Kopf und sah mich aus seinen leuchtend blauen Augen an. Tja. Nicht nur, dass ich in der letzten Nacht kein Auge zugemacht hatte, meine Nerven lagen auch noch blank. Sie waren sowieso dünngescheuert wegen Gina und jetzt auch noch das. "Ja. Ja, entschuldige, Darling.", erwiderte ich, atmete tief ein und aus und lehnte mich mit dem Rücken gegen die Fensterscheibe. "Also", begann ich "du weißt, dass ich das Zweite Gesicht habe, dass ich in der Lage bin, Ausschnitte aus der Zukunft zu sehen. Ich kenne nie die gesamte Zukunft", ich stützte meine Ellenbogen auf meine Knie und das Kinn in meine Hände "immer nur Bruchstücke. Wichtige Bruchstücke, würde ich sagen. Die Visionen sind nicht regelmäßig, Al. Sie kommen, wie es ihnen passt. In den letzten Monaten hatte ich nicht besonders viele Visionen, aber es gab auch schon Zeiten, da hatte ich jeden Monat drei oder so." Albus blinzelte fragend zu mir auf. "Tun sie weh? Die... Die Visionen?", fragte er zögernd. Abschätzend wog ich den Kopf hin und her. Taten sie weh? Manche schon, ja. "Hin und wieder. Nicht jede. Aber manche. Die, von der ich dir erzählen will, tat nicht weh. Zumindest nicht...", mir versagte fast die Stimme, was mich schockierte "nicht physisch." Schaudernd veränderte ich meine Position, schlang die Arme um meine Taille und benetzte meine Lippen, bevor ich fortfuhr: "Die Vision war in London. Ich sehe Visionen immer durch die Augen meines künftigen Selbsts. Nun, ich hatte den Elderstab, in dieser Vision." Aufregung loderte in seinem Blick auf. "Den Elderstab? Das ist doch großartig!" Aufstöhnend vergrub ich das Gesicht in meinen Händen. "Wart's ab, Al.", murmelte ich müde. "Wart's ab.", ich seufzte. "Soweit so gut. Ich hatte also den Elderstab. Vor mir waren Muggel um irgendsoein Plakat herum versammelt. Nun... Ich habe das Plakat mit Diffindo zerschnitten und die Muggel mit Dämonfeuer getötet. Alle. Auch die Frauen. Auch die Kinder.", ein weiteres Schaudern schüttelte mich und ich biss die Zahne zusammen, krampfte meine Kiefer gegeneinander. "Dann... Dann hab ich mich umgedreht und... bin gegangen.", heftig rang ich nach Atem, krallte meine Finger um die Fensterbank, meine Nägel kratzten über das Holz. "Einfach. Gegangen. Aber es kommt noch schlimmer. Mein künftiges Selbst ist also in eine dieser Seitenstraßen eingebogen und... dort habe ich... hat es... es hat... Du warst da. Dann habe ich den Elderstab gezogen, den ich vorher weggesteckt hatte und...", ein kurzes, hysterisches Auflachen ließ mich innehalten, ich fuhr mir mit beiden Händen über das Gesicht, strich mir mit allen zehn Fingern durch meine blonden Locken. "Weißt du, was ich gesagt habe? Weißt du es? Nein. Nein, natürlich nicht. Ich habe gesagt: 'Wir sind jetzt Feinde, Darling.' Das habe ich gesagt." Fast brach das Eis um meine Seele, ich biss mir so fest auf die Innenseite meiner Wange, dass ich mein Blut schmeckte. Ich seufzte tief und sah ihn an. Albus' hellblaue Augen waren geweitet vor Entsetzen, er starrte mich an, als hätte ich ihm soeben seinen Tod prophezeit. "Nein!", stieß er schließlich aus. "Gellert! Nein! Nein! Nein! Sag mir... sag mir... Sag mir, dass... Sag mir, dass das...", er rang nach Luft wie ein Ertrinkender "Sag mir, dass das nicht... Sag mir, dass das nicht... nicht wahr werden wird. Bitte!" Das konnte ich ihm sagen. Aus dem Augenwinkel sah ich das Buch, das die Beschreibung zum Blutpakt enthielt. "Das kann ich dir sagen.", erwiderte ich mit einem tiefen Atemzug. "Ich kann es dir sagen, Al. Ich verspreche es dir, ich schwöre es dir, ich gelobe es dir." Elegant sprang ich von der Fensterbank ab und legte eine Hand an seine Wange. "Es wird nicht wahr werden. Weil wir es verhindern werden. Al. Mein Geliebter, mein Liebster, mein Licht. Ich liebe dich. Ich liebe dich, hörst du? Und diese Vision wird nicht wahr werden.", flüsterte ich eindringlich. Seufzend schmiegte er sich in meine Hand. "Was sollen wir tun?", fragte er leise. Darauf wandte ich den Blick von ihm, sah das Buch an und schnippte mit den Fingern meiner freien Hand. Sofort flatterte es zu mir. Geschickt fing ich es auf und nutzte ein weiteres Mal meine Magie, als es von selbst zur richtigen Seite blätterte. "Das.", sagte ich ruhig. Albus löste sich von mir und musterte das, was ich ihm da zeigte. Seine feingeschnittenen Züge verzogen sich in leichter Verwirrung. "Ein Blutpakt... Davon habe ich ja noch nie gehört. Ist... Ist er... du weißt schon...?"
"- schwarzmagisch?", beendete ich seinen Satz. "Nun, ich will dir keineswegs verhelen, dass in diesem Buch auch schwarzmagische Rituale stehen. Dämonenbeschwörung, das Bindungsritual der Finsternis, der Schattenschwur... Aber ich will nicht so weit gehen, zu sagen, dass der Blutpakt von schwarzer Magie ist. Nein. Er ist, denke ich, in meiner geliebten Grauzone." Er hatte mir aufmerksam zugehört und nickte nun leicht. "Alles klar. Ich hab den Text gelesen. Gibt es irgendwelche... Risiken?" "Nicht, soweit ich es herausfinden konnte.", antwortete ich und schob nach: "Du musst mir den Blutpakt nicht leisten. Wir werden auch bestimmt einen anderen Weg finden." Sekundenlang blickte Albus mich schweigend an, dann schüttelte er den Kopf. "Nein. Schon gut. Lass uns diesen Blutpakt schließen. Es ist unsere Garantie, oder? Für den Fall, dass einer von uns einen Sinneswandel haben sollte." Da hatte er recht. "In der Tat.", gab ich zurück und nickte. "Also gut. Jetzt gleich?" "Warum nicht?", fragte er. Schulterzuckend stimmte ich ihm zu. Ja, warum nicht jetzt? Es sprach nichts dagegen. "Du hast deinen Zauberstab dabei?", wollte ich wissen. Darauf sah er mich an, als hätte ich ihn gefragt, ob er mit einem Mantikor kuscheln wollte. "Natürlich.", sagte er und zog ihn hervor, wie um mir einen Beweis zu liefern. "Gut.", stellte ich klar und nickte leicht. "Dann fangen wir an." Auch ich zog nun meinen Zauberstab. Mein Gespür meldete mir ein Aufwallen von Aufregung. "Okay... Wo... also... Wie?" Zur Antwort stellte ich mich so, dass wir uns exakt gegenüberstanden. "Du musst dir mit dem Zauberstab einen Schnitt in die Handfläche ritzen. Dann legen wir die Hände übereinander und sprechen die rituellen Worte eines Blutpakts. Die sind folgendermaßen: Liga mea ei. Das heißt 'Binde mich an ihn.' Dann... haben wir es, meines Wissens nach. Alles klar?" Albus hob leicht die Augenbrauen, dachte offenbar nach und nickte dann. "Ja. Alles klar. Lass uns loslegen." Ich blinzelte, senkte den Kopf und hob die Hand, in der ich meinen Zauberstab nicht hielt (die linke). Im Anschluss zog ich mir die Spitze meines Zauberstabes über die Handfläche und hinterließ so einen langen, blutenden Schnitt. Überraschenderweise tat es kein bisschen weh. Vielleicht war meine Seele aber auch nur so abgestumpft, dass sie den Schmerz überhaupt nicht mehr registrierte. Egal. Auch Albus hatte sich einen blutenden Schnitt leicht schräg über die Handinnenfläche besorgt. Einige meiner blonden Locken fielen mir kitzelnd gegen die Wangen, als ich jetzt den Kopf hob und ihn kurz fragend ansah. Ein kurzes Blinzeln war seine Bestätigung. Wir legten die Hände gegeneinander, sodass die Schnitte sich berührten. Dann flüsterten wir im absolut gleichen Moment: "Liga mea ei." Was dann folgte... war unbeschreiblich. Es war, als würde mein Schmerz um Gina kurz vollkommen verschwinden, als würde das Eis kurz vollkommen verschwinden, als würden die Ränder meinerselbst, meiner Seele, sich auflösen und sich mit Albus' verweben. Es fühlte sich an, als würden unsere Seelen sich berühren und ich schloss flackernd die Augen. Zu intensiv. Zu viel. Doch es war... großartig. Nach unendlich langen Sekunden blinzelte ich und sah, dass etwas zwischen uns in der Luft schwebte, die lange Kette wand sich schier schwerelos in der Luft, mit träumerischer Langsamkeit. Es war eine Phiole. Über und über mit verschlungenen Mustern bedeckt, nur in der Mitte war sie durchsichtig. Darin war es golden und in diesem Gold erkannte ich zwei Blutstropfen, die sich beständig umkreisten. Sich vereinten. Sich trennten. Sich vereinten. Sich trennten. Immer wieder von vorne. Wortlos tauschte ich einen Blick mit Albus. Wir waren beide sprachlos, was bei mir nun wirklich nicht oft vorkam.

Loveless || Gellert Grindelwald FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt