8. Kapitel

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Der nächste Morgen begann mit Ohrfeigen und damit, dass Vylanara mich in mein Zimmer eskortierte, nachdem sie mich von Gina weggezerrt hatte, als wäre ich ein entlaufener Schwerverbrecher. Hm. Vermutlich war ich das in ihren und Narycs Augen sogar - einfach, weil ich existierte. Toll. Gelangweilt lag ich auf meinem Bett, ließ den Kopf an der Seite hinabhängen und begutachtete mein Zimmer kopfüber. Oh yeah. Das war interessant. Ich hatte mir noch nie Gedanken darüber gemacht, wie das Zeichen der Heiligtümer des Todes kopfüber aussah. Jetzt wusste ich es. Nachdenklich kräuselte ich die Lippen. Eigentlich sah es ein bisschen aus, wie eine Pfeilspitze oder so, überlegte ich. Urplötzlich fuhr ein stechender Schmerz durch meinen Kopf und ich musste mich blitzschnell mit einem Arm am Boden abstützen, sonst wäre ich vermutlich kopfüber heruntergefallen. Es kamen keine Bilder. Es war keine Bildervision. Aber die Geräusche der Realität, der Wahrheit, verschwanden im endlosen Wispern meiner Visionen.  

"Gina! Gina. Komm zurück. Gina. Wo bist du?! Sag was!! Gina!!!" 

"Du hast nicht auf sie aufgepasst! Es ist alles nur deine Schuld! Mörder!" 

"Gellert... bitte... hilf mir..." "Warum sollte ich? Du bist nutzlos für mich, Jenneth Ivanov!"

Bei den gewaltigen Heiligtümern des Todes! Keuchend riss ich die Augen auf und brauchte einen Moment, um zu begreifen, warum ich alles verkehrt herum sah. Mehrfach blinzelnd kämpfte ich mich hoch, setzte mich auf und rückte an die Wand, um den Kopf dagegen zu lehnen. Kurze Gedankenzusammenfassung: Was hatte ich gehört? Zum einen schien irgendetwas mit Gina zu sein. Mit Gina. Kaltes Grauen schnürte mir die Kehle zu. Gina. "Gina.", flüsterte ich und ließ die Stränge meines Gespürs vorschnellen, nach ihr suchen. Sie war im Wohnzimmer. Es ging ihr gut. Trotzdem wollte das Entsetzen nicht weichen, die Kälte in meiner Brust wollte nicht gehen. Zitternd schluckte ich mühsam. Gina, dachte ich. Mein Gespür meldete mir ihre Überraschung, als sie meine Stimme in ihrem Kopf hörte. Sie war noch nicht ausgebildet, ihre Magie noch in den Kinderschuhen und Okklumentik, das stimmhafte Kommunizieren darüber war den Talentierten unserer Welt vorbehalten (womit bewiesen war, dass ich eine Legende war, nebenbei erwähnt), war so oder so schon kompliziert genug. Aber ich spürte ihre Verwirrung. Alles gut. Ich wollte nur wissen, ob's dir gut geht., fuhr ich fort. Ihre Verwirrung wurde ersetzt durch eine warme Welle. Dann durch Sehnsucht. Sie vermisste mich. Sehnsucht mit einem Hauch von Wut und Unverständnis. Sie verstand nicht, warum unsere Eltern mich von ihr fernhalten wollten. Das weiß ich auch nicht, Gin., sagte ich, was aber glatt gelogen war. Natürlich wusste ich, warum Vylanara Gina und mich, so gut sie es bei unserer tiefen Zuneigung für einander, trennte. Weil sie mich für zu minderwertig hielt, weil ich ihrer Meinung nach Gina nicht würdig war. Mein Gespür meldete mir die etwas entfernten Auren unserer Eltern. Ich beschloss, dass ich mich nach unten wagen konnte. Es war Frühling, Mai 1898. Diese Jahreszeit musste doch nicht im Zimmer verbracht werden! Mit einer geschmeidigen Bewegung sprang ich von meinem Bett auf und schlich lautlos die Treppe hinab, ins Wohnzimmer, wo Gina auf dem Boden kniete und gedankenverloren an ihren Nägeln knabberte. Ich lächelte unwillkürlich und legte von hinten die Arme um sie. Verwundert wandte sie den Kopf. "Gellert? Haben Mum und Dad dich wieder runtergelassen?" "Nein. Mum hatte die Tür nicht abgesperrt. Warum auch immer. Ich bin einfach gekommen.", antwortete ich und setzte mich neben sie. "Alles gut?" "Nein.", sie verzog das Gesicht. "Mir ist langweilig. Mum und Dad sind beschäftigt." "Ich hab eine Idee.", schlug ich vor und strich ihr zärtlich durch die blonden Locken. "Wir könnten Eichhörnchen suchen gehen, wie wär's?" Sofort war meine Schwester begeistert. "Ja!" Wie es der Zufall (oder das Schicksal) wollte, näherten sich just in diesem Moment die Auren von Naryc und Vylanara. Blitzschnell stand ich auf, Gina tat es mir nach. Vylanaras hellblaue Augen schossen Wutblitze auf mich ab, doch ich hielt ihrem Blick gelassen stand. "Gina und ich wollen Eichhörnchen suchen gehen.", sagte ich zu meiner Mutter. Mein Vater hob verächtlich die Augenbrauen und strich sich die schwarzen Haare zurück. "Warum sollten wir dir das erlauben?", fragte er, verbiss sich aber in Anwesenheit meiner Schwester die üblichen Satzanhängsel wie 'wertloses Experiment' oder so etwas. "Bitte!", Gina riss die Augen zu ihrem berühmten Dackelblick auf. "Es wird nichts passieren, Gellert ist doch da!" Meine Eltern tauschten einen Blick der sagte, dass das - meine Anwesenheit - genau das Problem war. "Bitte, bitte, bitte!", Gina klimperte mit ihren Wimpern. Ich lächelte in mich hinein und ließ meine Schwester machen. Vylanara seufzte. "Na gut. Aber wehe, wenn ihr irgendwas passiert, Gellert!", sie funkelte mich an. Darauf verdrehte ich die Augen. Mir war klar, was dann sein würde. "Ich pass auf.", versprach ich. Dann ging ich, mit Gina hinter mir, erhobenen Hauptes an unseren Eltern vorbei. Ich verlangsamte meine Schritte, damit Gina zu mir aufholen konnte. "Eichhörnchen", sagte ich zu meiner Schwester "lieben Walnüsse. Lass uns zu einem Walnussbaum gehen." Begeisterung leuchtete in den Augen meiner Schwester, die genauso blau waren wie Vylanaras. Und doch ganz anders. "Super Idee!" Zur Antwort schenkte ich ihr ein zärtliches Lächeln, während wir Seite an Seite in den Wald nahe Vacanović einbogen.

Loveless || Gellert Grindelwald FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt