21. Kapitel

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Wir sind jetzt Feinde, Darling.
Was?!
Es war mitten in der Nacht und doch schreckte ich aus meinem Schlaf hoch, als hätte jemand einen Eimer Eiswasser über mir ausgekippt. Was war das denn gerade gewesen?! Oh, bei den gewaltigen Heiligtümern des Todes... Ich saß aufrecht in meinem Bett, reglos. Denn eigentlich wusste ich, was das gewesen war. Das Flüstern einer Vision. Aber die Spur, die das Zweite Gesicht mir davon gezeigt hatte (eine Spur der Spur von der Zukunft, haha), gefiel mir überhaupt nicht. Ganz und gar nicht. Kein bisschen. Blinzelnd zog ich die Beine and und stützte mein Kinn auf meine Knie. Da kam das Zweite Gesicht nach Monaten des beinah vollkommenen Stillschweigens wieder und nun gleich mit so etwas Grässlichem! Mich schauderte es, aber ich schloss die Augen und ließ die Vision kommen.

Ich stand, den Elderstab in der Hand, den Blick in die Ferne gerichtet, in London, an eine Hauswand gelehnt und tat, als hätte ich nichts Besseres zu tun, als hier zu stehen, und die vorbeihastenden Muggel zu beobachten. Doch eigentlich war ich auf das Äußerste angespannt. Gleich. Gleich, gleich. Gleich. Gleich, gleich. In zehn Sekunden. Neun. Acht. Sieben. Sechs. Fünf. Vier. Drei. Zwei. Eins. Null. Elegant stieß ich mich von der Wand ab und stolzierte zielstrebig zu der Traube aus Muggeln, die sich um irgendein Plakat gebildet hatte. Als ich hinter der letzten Reihe stand, schnippte ich den Elderstab. Ganz unauffällig, ganz dezent. Diffindo. Sofort hing das Papierplakat vor den Muggeln in Fetzen herunter. Überraschte, leise Schreie. Verwirrtes Rufen. "Rob, was geht denn hier ab?" "Keine Ahnung, Richie." Ein diabolisches Grinsen zuckte um meine Lippen. Ein weiteres Mal ließ ich den Elderstab schnippen. Dämonfeuer erhob sich in orange-roten Flammen. Die Muggel fingen an zu kreischen, doch ehe sie fortlaufen konnten, hatten meine Flammen sie eingekreist. Ich disapparierte aus diesem Kreis heraus, denn ich wollte nicht zu Asche zerfallen. Genau das geschah nämlich mit den Muggeln. Kaum, dass sie das Dämonfeuer berührten, zerfielen sie zu grauer Asche. Wieder schnippte ich den Elderstab, schob ihn dann in meinen Ärmel. Die Flammen gehorchten dem Befehl des ersten Heiligtum des Todes willig, erloschen sofort. Lächelnd drehte ich mich um und spazierte in die Richtung, aus der nun die Muggel entsetzt angerannt kamen. Dann jedoch, blieb ich stehen, als mir jemand aus einer Seitengasse entgegenkam. "Hallo, Al.", sagte ich ruhig und zog den Elderstab. "Wir sind jetzt Feinde, Darling."

Mit einem erstickten Keuchen riss ich die Augen auf. Oh, bei den Heiligtümern, oh bei den Heiligtümern, oh bei den Heiligtümern... Nein. Nein, nein, nein, nein. Nein! NEIN!!! Das durfte... konnte... sollte... Es durfte nicht wahr sein. Nein. Es durfte nicht wahr werden. Schaudernd krallte ich meine Finger in mein Handgelenk. Es sollte schmerzen. Aber ich spürte den Schmerz nicht. Zu groß war die Aufruhr in meinem Inneren. "Nein.", hauchte ich. "Al. Ich werde... dich nie verraten. Niemals!" Mehrfach blinzelnd ließ ich mich wieder auf den Rücken sinken und starrte meine Decke an. Es durfte nicht wahr werden. Diese Vision. Nein. Nein. Niemals! NEIN! Um keinen Preis. Verraten... schon wieder? Schon wieder... jemanden verraten? Nein.
Jenneth...
Al...?
Gina...
Nein. Der Schmerz krallte sich mit eisigen Klauen in mein Herz und ich schnappte schaudernd nach Luft. Nein. Nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein. Bitte! Bitte nicht! Alles. Alles werde ich tun, damit das NIEMALS wahr wird! Alles!!! Alles. Es musste einen Weg geben, das zu verhindern und diesen Weg musste ich finden. Sonst... Oh bei den gewaltigen drei Heiligtümern des Todes und bei... bei... bei Vacanovićs... bei den sieben Buckeln des Elderstabes!! Ich wollte mir gar nicht erst vorstellen, was geschah, wenn es mir nicht gelingen sollte, diese Vision zu verhindern. Eines wusste ich schon einmal mit Sicherheit: So konnte ich nicht schlafen! Nachdenklich tastete ich nach meinem Zauberstab, der unter meinem Kopfkissen lag, zog ihn hervor und stand auf. Wenn ich schon nicht mehr schlafen konnte, konnte ich auch genauso gut nach einer Lösung suchen. Langsam strich ich mir meine blonden Locken zurück. Lumos. Sofort leuchtete die Spitze meines Zauberstabes. Gut. Suchend sah ich mich um, starrte zu meinem Bücherregal. Irgendwo musste sich doch eine Lösung finden und so ließ ich meinen Blick über jeden Buchtitel huschen.
'Der Weg der Heiligtümer'.
'Die Geschichte des Elderstabes, Sammelband (Band I - VI).
'Die stärksten Zauber der modernen magischen Welt'.
'Warum gibt es Muggel?'
'Auf den Spuren der Gebrüder Peverall'.
'Was unterscheidet schwarze Magie von ›normaler‹?'
'Im Schatten der Heiligtümer des Todes'.
'Magische Rituale'.
Sekunde. Ich ließ meine Augen verharren. Magische Rituale? Lautlos erhob ich mich, ging zum Regal, und zog das Buch hervor. Mitsamt Buch und Zauberstab ging ich zu meinem Bett zurück, kauerte mich hin, legte meinen Zauberstab neben mich und öffnete das Buch, blätterte zum Inhaltsverzeichnis. Wahllos überflog ich es. Erneut blieb mein Blick an einem Wort hängen.
'Der Blutpakt'.
Das erregte meine Aufmerksamkeit. Neugierig legte ich den Kopf schräg und schlug die besagte Seite 342 auf. Dann las ich, was dort stand:

Der Blutpakt/ Blutschwur

Der Blutpakt, auch genannt Blutschwur, ist eine mächtige, magische Verbindung, die von zwei Zauberern oder Hexen eingegangen werden kann. Bei diesem magischen Ritual wird das Blut der beiden Teilnehmer durch starke Bindungsmagie vereint und in einer Phiole, dem eigentlichen Blutpakt, gebunden. Nach Abschluss dieses Rituals ist es den beiden Verbundenen unmöglich, gegeneinander zu kämpfen und denke einer von ihnen auch nur darüber nach, so wird der Blutpakt reagieren.
Achtung: Ein Blutpakt kann nicht gebrochen werden!
Der große Unterschied zum Unberechenbaren Schwur (S. 229) besteht darin, dass bei dem Blutpakt das Blut direkt aneinander gebunden wird und das der Blutpakt nicht variabel ist, sondern nur eine kampftechnische Auseinandersetzung verhindert. Um das Blutpakt-Ritual zu begehen, müssen folgende Wort verwendet werden: Liga me ei/eam.

Liga me ei. Binde mich an ihn. Zwar konnte ich Latein nicht fließend, aber doch gut genug, um viel zu verstehen. Blinzelnd setzte ich mich halb auf und blickte auf die Seite hinab. Konnte das unsere Lösung sein? Ja. Ja, das musste sie sein. Morgen, beschloss ich, würde ich Al von dem ganzen Chaos erzählen. Ich seufzte tief, legte das Buch aufgeschlagen auf den Boden, ließ meinen Zauberstab mit einem kurzen "Nox!" erlöschen. Doch Schlaf fand ich in dieser Nacht keinen mehr. Nicht eine Minute.

Loveless || Gellert Grindelwald FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt