11. Kapitel

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In der Vergangenheit hatte mich der Anblick des Waldes und der sanften Hügel um Durmstrang herum, von unserem höchsten Turm aus gesehen, immer beruhigt. Immer. Doch nun... nicht mehr. Selbst diese Schönheit, selbst dieser Frieden, vermochte es nicht, das Brennen in mir zu lindern. Das Verlangen, all dies niederzubrennen, nur um zeigen, dass ich es konnte. Meine Finger krallten sich um das Geländer, meine Schultern hoben und senkten sich mit jedem Atemzug, so heftig rang ich nach Atem. Genüsslich schloss ich die Augen und sofort zeichnete sich ein Bild von eben dieser Landschaft vor meinem geistigen Auge ab. Niedergebrannt, mit Asche und Glut bedeckt. Hass. Der Hass auf die Muggel. Er schnürte mir die Kehle zu, er zerfraß meine Seele, er zerfraß das bisschen, was von meiner Vernunft noch übrig war. Und hinterließ nichts außer Kälte. Seit inzwischen fünf Monaten schon suchte ich ohne Unterlass nach jenem Zauberstab, der auf den Listen als 'verschollen' galt. Dem Elderstab. Es musste einfach der Elderstab sein. Was hieß, ich suchte. Jenneth auch. Dieser Dummkopf glaubte wirklich immer noch, ich würde ihn lieben. Ein Grinsen verzerrte meine Mundwinkel. Wie konnte eine Person nur so naiv sein? Eigentlich fast schon bemitleidenswert. Seufzend stützte ich mich mit den Ellenbogen auf die Brüstung und starrte dann nach unten. Vor einer Dreiviertelstunde war der Unterricht zu Ende gegangen und in der Theorie sollte ich jetzt Hausaufgaben machen. Aber auch nur in der Theorie. Hausaufgaben, ha! Als ob ich die nötig hätte! Ich bin doch nicht irgendwer! Ich bin kein minderbemitteltes, förderungsbedürftiges, untalentiertes, wertloses Schlammblut! Ich bin ein Reinblüter! Noch besser: Ich bin ich. Ich bin Gellert Grindelwald. Nein. Hausaufgaben hatte ich nicht nötig. Das war unter meinem Niveau. Abgesehen davon waren mir meine Noten herzlichst egal. Alles, was mich noch interessierte, waren die Heiligtümer. Eines der drei lag hier irgendwo, versteckt in Durmstrang, doch ich würde es finden. Die anderen beiden - der Stein der Auferstehung und der Tarnumhang - waren auf der Welt verstreut. Irgendwo. Aber ich würde die beiden genauso finden, wie ich den Elderstab finden würde. Nun, und dann... Dann konnte mich wahrhaftig nichts und niemand mehr davon abhalten, an den Muggeln Rache zu nehmen und die Zauberer aus dem Untergrund zu führen. Die magische Welt von dem schweren, drückenden Joch dieser wertlosen Tiere zu befreien. Die dunkle Magie stieß ein hohes Auflachen in meinen Gedanken aus. Ich liebe deine Pläne., schnurrte sie und ein leichter Windhauch strich über meine Wange und zauste meine blonden Locken. Und wenn du willst, helfe ich dir, den kleinen Dummkopf loszuwerden. Nicht, dass er dir noch eine Last wird, bei der Erreichung deines Ziels. Ein diabolisches Grinsen schlich sich auf meine Lippen. "Ich werde darauf zurückkommen, Gebieterin.", erwiderte ich. Wieder lachte sie ein hohes Lachen. Dann meldete mir mein Gespür eine sich nähernde Aura. Sachte runzelte ich die Stirn und ließ es genauer tasten. Karinja. Leise seufzend verdrehte ich die Augen, ließ sie aber näherkommen. Ich konnte nun sogar schon ihre Schritte hören und ungefähr dreißig Sekunden später bog sie vollkommen außer Atem auf die Aussichtsplattform. "Großer Merlin!", stieß sie hervor und schnappte nach Luft. "Verrat mich nicht!" "Was?", fragte ich und hob die linke Augenbraue. Sie holte tief Luft und presste sich an die steinerne Wand, so dass niemand außer mir sie sehen konnte - egal ob vom Treppenhaus oder vom Innenhof aus. "Sergej hat mit mir geflirtet. Ziemlich offensichtlich und ziemlich... abschreckend. Ich hab ihm einen Korb gegeben und jetzt rennt er mit Alexej durch die Gegend und beide faseln was von 'Familienehre' und 'retten'. Ziemlich verstörend.", erklärte sie hastig. "Ach. Soso." Beiläufig nickte ich, lehnte mich schräg gegen das Geländer und stützte mich nun nur noch mit einem Ellenbogen auf die oberste Strebe. Unten stürmten just in diesem Moment Sergej und Alexej mit gezogenen Zauberstäben aus Durmstrangs Hauptgebäude. "Familienehre!", brüllte Sergej. "Die Unwürdige hat sie beschmutzt!", ergänzte Alexej, nicht weniger laut. Mein Gespür verriet mir Karinjas Angst, den Zorn der beiden Zwillinge und die Verwirrung der anderen Schüler, die in der Nähe der beiden waren. Meine beiden Mitschüler begannen, wahllos andere Schüler zu befragen, was so viel hieß wie: Alexej hielt drohend den Zauberstab hoch, während Sergej den zu Befragenden an den Schultern packte und erst einmal eine Runde durchschüttelte, bevor er dem Schüler oder Schülerin ins Gesicht schrie: "Hast du Karinja gesehen, mh? Hast du sie gesehen?! HAST DU?!" Die beiden ernteten verdattertes Kopfschütteln, schreckgeweitete Augen und gestammelte Verneinungen. Mit jeder Verneinung wurde die Stimmung der Zwillinge ungnädiger, das hätte sogar ein normaler Mensch ohne mein Gespür feststellen können. Jetzt hob Alexej den Kopf und sah mich. "Hey, Gellert! Hast du Karinja gesehen?", donnerte er quer über den halben Innenhof. Meine Exfreundin, sowie momentanes Nebenspiel, die sich immer noch mit panisch geweiteten Augen an die Mauer presste, schnappte nach Luft und sah mich flehentlich an. Betont nachdenklich runzelte ich die Stirn, stieß mich von der Brüstung ab und stemmte einen Arm in meine Hüften. "Nein.", antwortete ich dann und schüttelte den Kopf. Sergej stieß einen Fluch aus, Alexej fauchte wie eine zornige Katze, dann stürmten die beiden weiter. Ich trat vom Geländer zurück und blickte Karinja an. "Quels gens méchants et grossiers.", murmelte ich auf Französisch (Was ich sagte, bedeutet: 'Welch ungezogene, ungehobelte Menschen') und fuhr dann, an Karinja gewandt und auf Bulgarisch, fort: "Bei allen Heiligtümern des Todes, _was_ hast du bitte zu Sergej gesagt? Er und Aleksej wollen dich eindeutig umbringen.", sagte ich kalt. Sie stieß ein leises, überdrehtes Lachen aus. "Ich hab nichts besonderes gesagt. Nur, dass ich keine Lust auf ihn hab, er nicht der Richtige ist und er jetzt abhauen soll." "Achsooo. Also das Übliche.", fasste ich zusammen. Denn dies war Karinjas Methode, einem Bewerber zu verstehen zu geben, dass sie kein Interesse hatte. Und sie hatte viele, die sie wollten, genau wie ich. "Nicht der Richtige.", fuhr ich fort und lehnte mich mit einem Arm über meinem Kopf gegen ein Mauerstück in ihrer Nähe. "Wer ist denn der 'Richtige'?" In ihren braunen Augen blitzte es auf. "Das weißt du.", flüsterte sie. Ich grinste, rückte zu ihr und legte eine Hand an ihre Wange. "Ich.", schnurrte ich seidenweich. Träumerische Schwärmerei mischte sich mit wilder Besessenheit in ihrem Blick, als sie nickte. "Aber du weißt, dass ich dich nicht liebe und alles, was wir tun, nur ein Spiel ist.", setzte ich eisig hinzu. Wieder nickte sie, sah mich nun so flehentlich an wie ein kleines Kind seine Eltern, wenn es etwas will. "Ich weiß.", hauchte sie, ihre Brust hob und senkte sich rasch mit heftigen Atemzügen. "Aber es ist mir egal." "Und ich dachte immer, ich bin verrückt.", murmelte ich und neigte mich so dicht zu ihr, dass mein Atem ihre Lippen streifte. "Ich würde die Welt für dich niederbrennen.", stieß sie hervor. "Niederbrennen, unterwerfen, auslöschen, zerstören... Alles." Jetzt grinste ich und wich von ihr zurück. "Knie dich hin.", ich deutete mit einem Nicken auf den Boden vor mir. "Knie dich hin und sieh mich an." Karinja schluckte, aber vor Aufregung nicht vor Angst, wie mir mein Gespür sagte. Kaum, dass sie vor mir kniete, umschloss ich ihr Kinn mit meinen Fingern und zwang sie, meinen zweifarbigen Augen standzuhalten. "Ich will, dass du mich ansiehst, wenn ich dir deinen Stolz nehme, Karinja Irmanovja.", meine Stimme war wie Stahl, der von Honig bedeckt war. Seidenglatt, glänzend, mit einem harten Unterton. Sie erzitterte, als ich mich zu ihr hinabneigte und meine Lippen so hart gegen ihre presste, dass sie sich mit einer Hand am Boden abstützen musste. Ihre braunen Augen schlossen sich flackernd. Sie liebte es. Sie liebte mich. Sie vergötterte mich. Jenneth hatte recht: Sie war besessen von mir. Sollte sie. Der Tag würde kommen, an dem ihr ihre Besessenheit zum Verhängnis werden würde.

Ungefähr vier Stunden später, um 22:00 Uhr, stand ich mit Jenneth neben mir in einem von Durmstrangs zahllosen Gängen. "Und du glaubst wirklich, dass der Elderstab in Durmstrang ist?", flüsterte er. Ich verdrehte die Augen und bedachte ihn mit einem genervten Blick, auch wenn er das in der Dunkelheit nicht sehen konnte. Unsere Zauberstäbe hatten wir erlöschen lassen. "Würde ich sonst darauf bestehen, dass wir weitersuchen?", fragte ich. "Nein.", antwortete er und das leise Flirren der Luft verriet mir, dass er den Kopf schüttelte. "Gut.", ich biss die Zähne zusammen. "Dann sei jetzt still." Wortlos nickte er, was mir wiederum mein Gespür sagte. Lautlos schlich ich weiter, Jenneth hinter mir her. Seit mehr als fünf Monaten suchten wir jeden Winkel ab, hatten inzwischen das komplette Hauptgebäude von Durmstrang durchkämmt. Ohne Ergebnis. Aber ich gab nicht auf, denn ich war fest davon überzeugt, dass der Elderstab hier irgendwo sein musste. Zuletzt war er 1883 geortet worden, in Sofia. Der verschollene Zauberstab von den Listen stimmte mit dem überein, was Jenneth und ich über den Elderstab hatten in Erfahrung bringen können. Inzwischen hatten wir Herbst 1898 und ich wollte nichts, absolut nichts, lieber, als dass der Elderstab endlich zu mir fand. Mein Verlangen nach ihm machte mich ungeduldig, aber ich hatte im Laufe der Jahre und insbesondere der letzten Monate seit Ginas Tod gelernt, meine Emotionen vollkommen zur Seite zu schieben. Gina... Es war alles für sie. Die Suche nach dem Elderstab und den anderen drei Heiligtümern. Die Unterwerfung der Muggel und die Führung der Zauberer aus dem Untergrund, zurück an die Spitze. Alles nur für Gina. Entschlossen umschloss ich meinen Zauberstab fester mit meinen Fingern. Für das größere Wohl. Koste es, was es wolle. Nachdenklich warf ich einen Blick über meine Schulter zu Jenneth. Sobald ich den Elderstab hatte, hatte Jenneth seinen Zweck erfüllt. Dann würde ich ihn nicht mehr brauchen. Nie wieder.
Auch diese Nacht blieb unsere Suche erfolglos und das machte mich wütend. Die Gier scheuerte an meinen Nerven, meine dunkle Seite sehnte sich nach Blut. Aber ich verbot es ihr. Während wir in der heller werdenden Nacht den Rückzug antraten, um nicht erwischt zu werden, meldete mir mein Gespür Jenneths Zweifel und seine Niedergeschlagenheit in Wellen. Also gut. Noch war ich nicht so weit, dass ich ohne ihn weiterkommen konnte, also musste ich ihn bei Laune halten. Und womit würde das besser gehen, als mir einer ordentlichen Runde Charisma? Darum blieb ich stehen und Jenneth, der wie immer hinter mir lief, tat es mir natürlich nach. Ich drehte mich zu ihm um, lehnte mich mit den Schultern an die Wand des Ganges, verschränkte die Arme vor der Brust und überkreuzte meine Beine. "Jenn.", sagte ich, mischte Sanftheit und Gereiztheit in meiner Stimme. Er hob den Kopf. Seine grauen Augen waren dunkel. "Ja?" Ich senkte das Kinn und durchbohrte ihn mit meinem zweifarbigen Blick. Wortlos. Sekundenlang. Dann erst fuhr ich fort: "Zweifelst du daran, dass der Elderstab hier ist?" Jenneth zögerte, trat von einem Fuß auf den anderen und zuckte die Schultern. "Weiß nicht.", murmelte er. "Vielleicht... ein bisschen." Zur Antwort nickte ich und schwieg wieder einige Sekunden, bevor ich fortfuhr: "In Ordnung. Zweifelst du auch an mir?" Nun weiteten sich seine Augen, mein Gespür verriet mir sein Entsetzen. "Was?", erschrocken senkte er die Stimme. "Nein. Natürlich nicht!" Erneut nickte ich, stieß mich elegant von der Wand ab, blieb dicht vor ihm stehen und ließ meinen einen Handrücken sanft über seine Wange streichen. "Gut. Ich hoffe auch, dass das so bleibt.", ich machte eine kurze Pause. "Es würde mich verletzen, Jenn." Lüge! Aber sowas von! "Sehr.", flüsterte ich, zog ihn ein bisschen enger zu mir und neigte den Kopf. "Es würde mich sehr verletzen, Jenn." In den nächsten Satz legte ich alle Zärtlichkeit, derer ich fähig war - und das war eine ganze Menge, obwohl meine Seele stetig immer weiter gefror. "Ich liebe dich, Jenneth Ivanov. Du hast die Macht, mir wehzutun und ich bitte dich, nutze sie nicht." Jenneth erschauderte, blinzelte heftig. Ich lächelte leicht und lehnte meine Stirn gegen seine. "Du glaubst mir doch?", fragte ich und ließ eine Spur von Verletzlichkeit in meine Worte fließen. "Ja. Immer. Egal, was du sagst.", erwiderte Jenneth leise, da war etwas Ersticktes in seiner Stimme und er schluckte. Darauf zog ich mich ein winziges bisschen von ihm zurück und murmelte: "Zweifelst du daran, dass der Elderstab hier ist? Zweifelst du an mir?" Jenneths graue Augen strahlten. "Niemals." Auf diese Antwort hin schenkte ich ihm mein umwerfendstes Lächeln, schlang einen Arm um seine Schultern, zog ihn zu mir hinauf und küsste ihn. Mit aller falscher Zuneigung und Sanftheit, die ich hatte.

Loveless || Gellert Grindelwald FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt