Kapitel XX

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Kurz überlegte ich, was mein Gegenüber mir damit wohl sagen wollte, doch das Ergebnis meines Grübelns gefiel mir ganz und gar nicht: „Du willst ihn umbringen?!", hakte ich besorgt nach. Michael reagierte nicht, aber wenn ich falsch gelegen hätte, hätte er es mir schon deutlich gemacht.

Sofort wäre ich am liebsten ausgeflippt, hätte ihm gesagt, wie scheiße raus ich da war, aber es ging nicht – der Deal existierte noch und ich konnte es mir in diesem Moment nicht leisten, Michael erneut zu meinem Feind zu machen.

„Und du weißt nicht, wo er sich außerhalb der Psychiatrie und Polizeistation immer aufhält? Sonst hättest du ihn dir ja schon längst geschnappt. Aber damit ist der Fall doch klar: warte hinter der Psychiatrie auf ihn und töte ihn, sobald er herauskommt." Geplant war es, an ihm vorbei zu laufen, einfach zu Lynns Haus zu spazieren, nur hielt Michael mich zurück und schubste mich mit einer Hand zurück dahin, wo ich eben noch stand. Er schien wirklich aufgebracht zu sein. Warum zum Henker wollte er nicht einfach zur Anstalt fahren, ich war mir sicher, das stellte kein Problem für ihn dar, und Loomis auflauern? Wie vom Blitz geschlagen traf es mich: er hatte Angst.

„Ach so, du willst nicht dorthin zurück, hab ich recht?"

Michael ballte die Hände zu Fäusten. Ich hatte also recht. „Verständlich, ich würde mich auch unwohl fühlen, wenn ich in die Nähe so einer Ortschaft müsste. Ich weiß, du gehört da nicht hin.", gab ich von mir. Alles war mir lieber gewesen als weiter über das Ermorden von Loomis zu sprechen. „Du magst vielleicht anders sein als wir, als ich, aber du gehörst nicht eingesperrt mit all den anderen, die ihre Seelenklempner brauchen. Du bist doch praktisch wie ich.", murmelte ich den letzten Teil und sah zu meinem verbundenen Arm. Was zum Teufel laberte ich da?!

Mein neuer Partner blickte mir entgegen und kam wieder ein paar Schritte näher, insofern das überhaupt noch möglich war. Wollte er jetzt etwa seine Dominanz zeig-

Er tat allerdings etwas völlig Unerwartetes: in einem langsamen aber bewussten Tempo fuhr er mit seiner Hand zu meinem Kinn und tätschelte es komisch. Es war so, als hätte er noch nie zuvor ein Kinn gesehen. Darauf folgend entfernte er seine Hand von meinem Gesicht und hob damit meinen demolierten Arm ein Stückchen höher, sodass er diesen betrachten konnte. Gleichgültig hielt er mir sein Messer hin und ich nahm es vorsichtig. Er hatte wohl nie gelernt, dass man anderen Leuten keine Messer mit der Klinge voraus überreichte! Nun ja, gut, wie hätte er das auch lernen sollen?

Ohne zu zögern, aber noch immer sehr bedächtig begann er, das Tuch, welches er um die Wunde gebunden hatte, abzuwickeln. Direkt kamen meine Narben und Kratzer zum Vorschein, die Haut drumherum war leicht rot verfärbt. Es blutete nicht mehr, aber die Kratzer waren noch immer sehr empfindlich und noch nicht zugewachsen. Es tat weh. Und wie weh es tat!

Ruhig betrachtete er meinen Unterarm und lenkte dann seinen Blick wieder zu mir. „Ich weiß. Wir sind beide Monster. Nur mit dem Unterschied, dass du andere, fremde Leute loswerden willst und ich nur einen. Mich."

Der stumme Mann atmete ruhig und ließ dann, nachdem er ein letztes Mal darauf geschaut hat, meinen Arm los und überreichte das Tuch mir. Ich gab ihm seine Waffe zurück, ohne dass er erst darum bitten musste.

An sich war die ganze Situation schon unangenehm, doch ich traute meinen Augen nicht, als Michael sich vor mir seinen linken Ärmel hochzog und mit seinem Messer an seinem Unterarm ansetzte. Im Gegensatz zu mir zögerte er keine Sekunde und schnitt direkt zu. Sehr tief und viel zu lange.

„Was tust du da? Hör auf, du kannst nicht ..."

Er hatte aufgehört und sah mich nun an. Tränen, wirkliche Tränen, sammelten sich in meinen Augen und ich sah entrüstet zu ihm hoch. „Wieso?", hauchte ich.

Sorglos entfernte er das Fleischermesser von seinem Arm und das Blut kam zum Vorschein.

Er hatte sich verwundet, er hatte sich Schmerzen zugefügt, insofern er sie spüren konnte. Ohne groß darüber nachzudenken, verband ich seinen Arm nun mit dem Tuch.

Natürlich spürte ich seine Augen, welche mich fokussierten. Jenen schenkte ich aber nicht meine Aufmerksamkeit, diese erhielt nur seine frische Verletzung. Ob es besonders hygienisch war, ließ sich bezweifeln. Doch ich glaubte nicht, dass das für ihn eine Rolle spielte, wenn er sich schon ein Messer in den Arm jagte, welches zuvor bereits in fremden Menschen gesteckt hat.

 „Zwei Monster", murmelte ich kaum hörbar, er hatte es aber garantiert gehört, da war ich sicher.

Als ich mit dem Verbinden fertig war, griff er schnell nach meinem Handgelenk und starrte mich an.

Es war eine Atmosphäre, die sich in Worten niemals beschrieben lassen wird. Alles fühlte sich anders an, nicht unbedingt richtig, aber gleichgültig. Michael mochte Michael Myers sein, aber es gab da noch etwas anderes in ihm und dafür lohnte es sich auf jeden Fall zu kämpfen.

Mir wurde schmerzlichst bewusst, dass der Michael Audrey Myers von damals, mit dem ich gelacht, gespielt, rumgealbert und abends heimlich unsere zukünftige Hochzeit geplant habe, nicht mehr lebte. Er war tot, endgültig. Alles was mir blieb, war der erwachsene Myers, der in seinem kalten, versteinerten Herzen immer noch ein klitzekleines Stückchen des kleinen Mikes in sich trug. Nur war es so gut wie unmöglich, diesen kleinen Überrest ans Tageslicht zu bringen. Nicht einmal dies zu versuchen hätte sich gelohnt.

Kurz schniefte ich einmal und legte meine Hand auf die seine, bevor ich mich von seiner Berührung zurückzog und kurz zum Boden sah. „Wie versprochen helfe ich dir dabei. Du willst ihn umbringen? Bitte. Ich werde versuchen, herauszufinden, wann er sich wo aufhält, aber gib mir Zeit. Du sorgst einfach dafür, dass ich dich morgen Abend finde. Aber untersteh dich, zu meinem Haus zu kommen! Die eigentliche Besitzerin des Hauses kommt morgen wieder und ich will nicht, dass du ihr zu nahe kommst, verstanden? Gut, in Ordnung. Bis Morgen, Michael."

Ich ließ ihn wirklich stehen. Hätte ich mich aber noch einmal umgedreht, wäre er mit absoluter Sicherheit wieder verschwunden gewesen. Nun stand mein Entschluss fest: ich hatte einen Packt mit dem Teufel geschlossen, an den ich mich auch halten würde. Doch fürs Erste wollte ich nur noch weinen – was ich auch später, als ich in Lynns Bett lag, endlich konnte. Was tat ich nur? Was tat er nur? Was taten wir nur?

The Night He Came Home [Michael Myers FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt