Kapitel XV

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Ich war schon fast an ihm vorbei, als er nach meinem Arm griff. Es war erstaunlicherweise nicht so ein fester Griff wie sonst, aber er war noch lange nicht besonders sachte.

Ich drehte mich zu ihm herum und sah ihn ärgerlich an. In dem Moment überkam mich einfach alles und ich knickte ein.

„Ernsthaft, wenn du nicht auf mich hören willst, ist das deine Sache. Und es kümmert mich auch nicht mehr, was du mit den Einwohnern von Haddonfield machst, denn ich fahre morgen nach Hause. Nach New Jersey. Also ganz weit weg. Ich halte es hier einfach nicht mehr aus, verdammt! Ich ... Wir waren so glücklich, bis du deine Schwester umgebracht hast! Du hast alles kaputt gemacht, Michael! Es ist alles deine Schuld!"

Ob es wirklich Michaels Schuld war? Konnte er überhaupt etwas für seine Psyche? Keine Ahnung. Und obwohl ich deutlich beobachten konnte, wie sich sein ganzer Körper versteifte und sein Griff um meinem Arm immer fester wurde, platzte alles weiter aus mir heraus.

„Ich hätte nicht mehr nach Haddonfield kommen sollen, genau wie du. Im Grunde sind wir doch beide Menschen, die keiner braucht! Menschen, die niemand vermissen würde, wenn sie weg wären! Wir sind Außenseiter, Michael. Wir müssen uns einen Platz suchen, wo wir hingehören. Lassen wir die Vergangenheit sterben und fangen neu an. Aber außerhalb Haddonfields, ganz weit weg. Keine Ahnung, wo mich das Schicksal hinbringen wird, aber du gehörst auch woanders hin. Vielleicht ist dein Zuhause auch einfach die Anstalt, aus der du abgehauen bist, was weiß ich?!"

Ich merkte zunächst gar nicht, wie ich immer lauter wurde und gegen Ende hin Michael sogar anschrie. Mir fiel erst auf, dass ich wohl etwas übertrieben hatte, als er mich mit all seiner Kraft gegen die hinterste Wand schmiss. Ich hatte ihn gereizt, das wurde mir klar. Doch mein nun schmerzender Rücken machte mir ebenfalls zu schaffen.

Schmerzverzerrt schrie ich kurz auf, rutschte dann aber langsam die Wand hinunter, bis ich auf dem Boden saß. Dort angelangt, ließ ich meinen Tränen dann freien Lauf.

Ich weinte unaufhörlich, der Schmerz, die Traumata der vergangenen Jahre, alles kam endlich raus und es tat so verflucht gut.

Es störte mich gar nicht, dass Michael noch vor mir stand und mich beim Weinen, Schluchzen und Schniefen beobachtete.

Eine ganze Weile, welche sich deutlich zu lang anfühlte, dauerte dieser Moment an, von meiner Seite aus wäre wohl auch nichts mehr gekommen, ich wäre wahrscheinlich bloß aufgestanden und hätte Michael ignorierend das Haus versucht zu verlassen, er jedoch kam mir zuvor ...

Während ich auf den Boden vor mir starrte und fühlte, wie meine Tränen auf den Wangen zu trocknen begannen, schritt Michael vor mir auf mich zu und blieb direkt vor mir stehen. Dann reichte er mir auf einmal eine Hand.

Perplex sah ich schniefend zu ihm hinauf und fragte mich, ob ich mir das lediglich einbildete - nein, das tat ich nicht. Er stand wirklich vor mir, blickte zu mir herab und hielt mir seine rechte Hand hin. Ein weiteres Mal wünschte ich mir, er würde keine Maske tragen. Ein weiteres Mal wünschte ich mir, ich könnte seine Emotionen sehen.

Wir verweilten noch einige Sekunden in unseren Positionen, jedoch fürchtete ich, er würde nicht mehr lange auf meine Reaktion warten wollen, also überwand ich mich und streckte ihm meine Hand entgegen.

Der Abstand zwischen unseren Händen nahm immer weiter ab, bis - es war geschehen. Ich hatte meine Hand auf die seine gelegt. Ich hatte seine Hand genommen!

Meine Hand festhaltend ging er ein paar Schritte zurück und ich stand wie von ganz allein auf. Doch auch, als bereits vor ihm stand und ihn noch immer völlig überrascht ansah, ließ er meine Hand nicht los. Und zu meiner eigenen Schande merkte ich, wie es mich nicht störte. Es wunderte mich, dass sein Griff weicher war als sonst, auch verstand ich nicht, was da gerade geschah, aber ich fand es interessant. Auch, wenn es kaum etwas an meiner Entscheidung ändern konnte ...

„Ich ... danke. Aber es ändert nichts daran, dass ich gehen werde. Ich habe keinen Platz mehr hier.", kaum hatte ich dies gesagt, ließ Michael meine Hand - nein, er ließ sie nicht bloß los, er warf sie förmlich weg und trat zurück.

„Michael, sei nicht beleidigt. Du bist zu alt dafür. Wenn ich weg bin, vertraue ich darauf, dass du das Richtige tust. Du weißt genauso wie ich, wovon ich spreche. Es ist noch nicht zu spät.", flüsterte ich. Aber war es wirklich nicht zu spät? Doch, wahrscheinlich schon. Für ihn.

Ich näherte mich ihm diesmal und blieb unmittelbar vor ihm aufstehen. Zu meiner Freude bewegte er sich nicht von seiner Stelle weg. „Mach's gut, Michael. Ich habe dich vermisst, ich werde dich erneut vermissen, aber ich werde dich niemals vergessen. Versprochen."

Ich machte noch einen Schritt auf ihn zu, bis ich schon theoretisch zu nah an ihm dran stand. Sein Atmen vernahm ich deutlicher, er war schnell und unregelmäßig.

Kurz, ganz kurz überlegte ich, ihn zu umarmen oder ein Küsschen unter alten Bekannten auf die weiße Latex-Maske zu pflanzen, doch kurz vorher entschied ich mich dann dazu, es lieber sein zu lassen, um die ganze Situation nicht eskalieren zu lassen. Ich war mir so sicher wie lange nicht mehr: ich musste gehen.

The Night He Came Home [Michael Myers FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt