Kapitel XXIV

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Als auch er sich erhoben hatte, sah ich ihn peinlich benommen an. „Entschuldige!", murmelte ich und registrierte, wie er wieder einmal seinen Kopf ein wenig schief legte. Wusste er überhaupt, wofür ich mich entschuldigte? Egal, Hauptsache schnell aus dieser Peinlichkeit raus!

„Nun, wo wir schon mal die Gelegenheit zum Austausch haben, würde ich dir gerne noch etwas sagen, bevor ich vielleicht nicht mehr dazu komme.", kündigte ich an und er nahm wieder seine übliche Position ein. Also legte ich los:

„Ich werde dir wie versprochen noch dabei helfen, Loomis zu töten, auch wenn ich das überhaupt nicht gut finde oder aus Überzeugung tue. Ganz im Gegenteil. Aber danach, sobald das erledigt ist, werde ich Haddonfield verlassen – für immer. Ich werde nicht mehr zurückkehren, ich werde niemals mehr ein Wort über dich verlieren und ich werde auch nie wieder über meine Kindheit sprechen. Das alles - du, Haddonfield, meine Kindheit, gehört dann nur noch meiner Vergangenheit an. Und die muss ich nun hinter mir lassen." Michael versteifte sich und bewegte seinen Kopf ein kleines Stückchen weiter hoch, um mir besser in die Augen sehen zu können, wie ich spekulierte. „Es tut mir leid, aber ich kann das so einfach nicht mehr. Ich bin nicht unverwundbar wie du, ich bin auch nicht so stark wie du. Ich bin schwach und mehr als nur verwundbar."

Im nächsten Moment sah ich nur noch, wie Michael auf mich zukam und nicht gerade vorsichtig meinen linken Arm packte und nach oben hielt, sodass ich ihn mir ansehen konnte. Ich wusste, er spielte auf das an, was unter den langen Ärmeln versteckt lag – ich wusste nur nicht, warum er das tat.

Er blickte mir stur entgegen und ich wagte es in dem Moment einfach nicht, den Blickkontakt zu erwidern.

„Tut mir leid", war alles, was ich herausbrachte. So erbärmlich.

Mein Arm wurde wieder losgelassen und der Michael vor mir schien unruhig zu sein. „Danke, dass du mit mir gelaufen bist. Ich gehe jetzt aber lieber wieder zurück und lasse mir irgendeine Ausrede bezüglich der Kürze des Treffens einfallen. Ich liebe es ja so sehr, meine Freunde anzulügen.", sagte ich den letzten Teil erfüllt von Ironie.

Ich machte Kehrt, rieb mir die Arme und machte mich auf den Rückweg, bis jemand mich an meinem Oberarm zurückzog. Michael.

„Hör auf damit. Ich möchte jetzt gehen. Morgen sehen wir uns ja noch, dann verabschiede ich mich von dir. Keine Angst!"

Doch ich wurde einfach nicht losgelassen. Fragend sah ich ihn an.

Stille.

Noch immer Stille.

Aber wenn er doch etwas wollte, wieso machte er nicht einfach den Mund auf? Er konnte ja sprechen, er entschied sich einfach nur dazu, es nicht zu tun!

Wollte er vielleicht einfach nur zeigen, wie stark er ist? Überlegte er gerade? Brauchte er Nähe?

 „Mike, ich verlange nicht von dir, dass du spricht, Genauso wenig würde ich dich jemals dazu auffordern, die Maske abzunehmen, aber ich möchte, dass du mir irgendwie zeigst, was du von mir willst, denn Gedanken kann ich leider nicht lesen!"

Moment, „Mike"?! Das ist mir so rausgerutscht!

Abwartend sah ich mein Gegenüber, welcher über seinen neuen Spitznamen genauso überrascht zu sein schien wie ich, an.

Er drückte meinen Arm etwas fester, aber es tat nicht besonders weh. Nicht mehr.

Nach weiterem kurzen Warten atmete ich deutlich hörbar aus und sagte dann: „Ist schon gut. Es ist okay."

Daraufhin nahm ich Michaels Hand von meinem Arm und erschrak dabei. Meine Hände waren ja schon eiskalt wegen dieser niedrigen Temperaturen, aber seine Hände... Man konnte meinen, er sei schon seit Ewigkeiten tot gewesen!

Wir standen einander gegenüber, wir berührten uns nicht mehr, wir sagten nichts, wir bewegten uns auch nicht, aber wir sahen uns gegenseitig an und wussten, dass wir beide innerlich schon von Anfang an verstorben waren.

„Ich bitte dich, vergib mir dafür!", sagte ich erneut mit zittriger Stimme, bevor Michael seinen Kopf fragend zur Seite bewegte und ich ihn daraufhin umarmte.

Uns hatte nur maximal ein Meter getrennt, welchen ich schnell verschwinden ließ. Meine Arme legte ich um seine breiten Schultern, sodass er seine Arme nicht mehr ganz reibungslos bewegen konnte. Mein Kopf lag auf seiner Brust, nah unter seinem Hals. Ich war mir im Klaren darüber, dass ich mir da gerade womöglich mein eigenes Grab geschaufelt hatte – aber was sollte es schon? Ich hatte nichts zu verlieren, alles fühlte sich für mich wie ein Betrug an! Ich betrog meine Freundschaft zu Laurie, weil ich mich ihrem Mörder an den Hals warf, ich betrog Lynn, weil ich ihre Gastfreundschaft nur noch als Mittel zum Zweck betrachtete, ich betrog die Bewohner in Haddonfield, indem ich auf diese Party ging, um einen Serienmörder sein Werk fortführen zu lassen, obwohl das Opfer ein Mann war, der ihm ja eigentlich nur helfen wollte. Und ich betrog auch mich selbst, indem ich noch immer dort war – wegen Michael.

 Eine Träne bahnte sich ihren Weg über meine Wange und tropfte auf Michaels Overall. Dieser bewegte sich im Übrigen kein Stück, nur seine Atmung hatte sich beschleunigt.

Nach wenigen Sekunden, in denen ich mich selbst verloren hatte, ließ ich ihn langsam wieder los und blickte ihm ängstlich entgegen. Er sah so aus wie immer, nur zu gern hätte ich gewusst, was unter dieser Maske gerade vor sich ging. „Michael... Ich weiß nicht, was mich geritten hat... Aber ich werde nun gehen. Denk an morgen, vergiss unseren Plan nicht!", erinnerte ich ihn ruhig und wandte mich ohne Weiteres von ihm ab. Diesmal konnte ich ohne irgendwelche Zwischenfälle heimkehren. Was ich mir nicht anmerken ließ: der Hass, welcher mir selbst galt. Ich hatte diese Umarmung verdammt nochmal genossen, obwohl es das letzte war, was ich hätte tun dürfen! Dazu kam noch, dass ich ihm irgendeinen dämlichen Spitznamen gegeben hatte. Ich war so eine Witzfigur.

The Night He Came Home [Michael Myers FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt