Kapitel XXX

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„Du hast mir als Kind gezeigt, wie Freundschaft aussieht. Du hast mir bewiesen, dass es mehr als nur Angst gibt und ich gegen die aufstehen soll, die mich eines Tages mal ärgern würden. Ich wurde geärgert, sogar noch viel mehr, aber ich konnte mich nicht gegen sie wehren, weil meine wichtigste Stütze nicht bei mir war, um mich zu unterstützen. Alles ließ ich über mich ergehen, aber ich gab nie auf – für dich. Nie habe ich die Hoffnung aufgegeben, dass der kleine Michael noch irgendwo steckt, doch irgendwann, als ich erwachsen wurde, als ich Haddonfield verdrängte, wollte ich auch mit dir abschließen. Dann aber ließ ich mein Schicksal zu und kehrte nach Haddonfield zurück.

Schon in der ersten Nacht traf ich auf dich. Ich wusste, du warst auf freiem Fuß, ich hörte es zuvor im Radio. Doch, dass du tatsächlich nach Hause kommen würdest, hielt ich für mehr als unwahrscheinlich – bis du mich angegriffen hast. Auch, wenn es vielleicht nicht die schönsten Umstände waren, empfand ich neben meiner puren Angst auch Freude. Ich freute mich, dich wiederzuhaben, dich wieder physikalisch bei mir zu wissen und berühren zu können."
Ich drückte vorsichtig meine Handfläche in Brusthöhe auf das Glas vor mir. Michael beobachtete meine Handlung, sah mir dann aber wieder tief in die Augen.

„Weil du nach Hause kamst, habe auch ich es endlich geschafft, nach Hause zu kommen. Ich habe die ganze Zeit über nicht gemerkt, wie sehr ich meinen besten Freund eigentlich vermisst habe. Dich, Michael, dich habe ich 15 Jahre lang vermisst. Und ich weiß, wir sind nicht dazu geschaffen, um zusammen zu sein, aber ich will, dass du weißt, dass es immer einen Menschen geben wird, der für dich da ist, der an dich denkt und sich nicht von dir abwenden kann. Ich will, dass du weißt, wie sehr ich dich gebraucht habe. Du hast es geschafft, weiterzumachen, wenn auch auf deine eigene, spezielle Art. Ich habe es nie wirklich geschafft, aber das wird sich ändern. Ich möchte auch endlich weitermachen, auch, wenn es bedeutet, dass ich dich ein weiteres Mal verliere."

Schweigend legte nun auch Michael seine Hand, wenn auch etwas zögerlich, auf die Glasscheibe – direkt dorthin, wo meine war.

Augenblicklich fing mein Herz an zu rasen. Er verstand mich!

„Es ist so unfassbar schwer für mich, dir das zu sagen, doch ich möchte es endlich tun! Die ganze Zeit über habe ich es geleugnet, die ganze Zeit über wollte ich es nicht wahrhaben, aber verdammt noch mal, ich brauche dich! Ich habe dich damals schon geliebt und ich ..." Weiter wagte ich nicht zu sprechen. Michaels Augen öffneten sich weiter, es sah fast so aus, als würde er sich vor etwas fürchten.

Ich stockte. Mir war so, als hätte ich das Sprechen verlernt.

Michael nahm seine Hand von der Stelle weg, an welcher wir uns hätten spüren sollen, wenn das Glas nur nicht gewesen wäre, und ich tat es ebenso – sehr traurig.

Auf einmal ging die metallene Tür auf, ganz so, als wäre sie niemals verschlossen gewesen, doch ich fürchtete mich nicht mehr. Ich hinterfragte nicht einmal mehr, wie sie sich so schnell und problemlos öffnete. Es musste bestimmt schon in der Nacht, bevor ich zu Besuch kam, daran gearbeitet worden sein.

Michael trat hinter der Glasscheibe hervor und stand schlussendlich direkt vor mir. Er war noch immer größer als ich, aber ich liebte es, wie er zu mir hinuntersah, vor allem jetzt, wo ich sein reines Gesicht sah. Ein paar Narben zierten es, doch diese und das verletzte Auge übersah ich wie von ganz allein.

„Du hast es natürlich schon längst aufbekommen. Aber ich frage lieber nicht wie.", lächelte ich sanft. 

„Ich will dich ein letztes Mal berühren, bitte gestatte es mir.", flüsterte ich mit Tränen in den Augen. Doch noch bevor ich gucken konnte, kam Michael näher und umarmte mich. Er tat es genau so wie ich es bei ihm tat – seine Arme um meine Schultern. Er legte seinen Kopf auf meinen, doch er verlagerte dessen Gewicht nicht darauf. Sofort legte ich meine Hände um seine Taille und drückte meinen Kopf gegen seine Brust. Mir stockte der Atem, als ich sein Herz schlagen hören konnte. Es war relativ ruhig. Er schien also nicht so nervös zu sein wie ich, nur seine Atmung war etwas schneller, das hörte man.

Eine halbe Ewigkeit, welche dennoch zu schnell vorbei war, standen wir da, uns umarmend und einfach ruhig. Mich hörte man weinen, ihn laut atmen. Doch es schien alles so perfekt zu sein – bis die Tür geöffnet wurde und ich Loomis und die anderen von eben sehen konnte. Schockiert sahen sie uns an, doch noch bevor sie auf uns hätten zukommen und uns trennen können, lösten Michael und ich uns aus der Umarmung und ich griff nach seinem Nacken, welchen ich so weit nach vorne drückte, bis unsere Lippen sich berührten.

Michaels sofortige Verkrampfung nahm ich deutlich wahr, doch nichts konnte mich in diesem Augenblick dazu bringen, von ihm und seinen Lippen abzulassen.

Seine Lippen waren nicht nur wunderschön und voll, sondern auch, was mich wirklich erstaunte, sehr weich.

Meine rechte Hand ruhte auf seinem Nacken, meine linke Hand auf seiner rechten Schulter.

Michael bewegte sich nicht, aber er wehrte sich auch nicht. Ich meinte sogar gesehen zu habe, dass er ebenfalls seine Augen schloss. Ich löste mich von ihm und Himmel, seine Lippen nicht mehr auf den meinen spüren zu können, fühlte sich wie der größte Verlust meines ganzen Lebens an und brach mir mein armes Herz. „Nächstes Jahr komme ich wieder nach Hause! Nächstes Jahr bin ich wieder bei dir!", flüsterte ich verzweifelt und ohne wirklich nachzudenken. „Sophie", hauchte er und ich konnte nicht fassen, dass es geschah. Seine Stimme klang so rau, so tief und wackelig, man merkte, dass er seit 25 Jahren nicht mehr gesprochen hatte. Doch ich genoss es so sehr und die Tränen liefen über mein dadurch eben entstandenes Lächeln. Irgendwie erkannte ich seine Kindheitsstimme wieder, auch wenn sie sich unfassbar verändert hatte. Kurz darauf wurden wir auseinandergezerrt.

Michael wehrte sich zunächst und schlug wild um sich, doch ich ließ mich einfach forttragen. „Ich liebe dich!", rief ich ihm noch zu. All diese Blicke – von Loomis, von den Angestellten, von der Security und von Michael ... unbeschreiblich.

Ich werde niemals diesen Blick von meinem Mike vergessen, so erfüllt von Zorn, Hass, Angst und Liebe.

Ein Jahr. Weniger als ein Jahr! An Halloween 1979 würde ich zu ihm zurückkehren. Er würde es schaffen, erneut auszubrechen und mich mitzunehmen. Sei es in seine Kanalisation oder sonst wohin – ich würde mit ihm mitgehen. Bis dahin blieb noch genug Zeit, mein Leben in New Jersey aufzugeben, all meine Bekannten und Freunde dort, mein Haus, meinen Job. Ich würde nach Hause kommen. Endgültig.

Ende  🎃

The Night He Came Home [Michael Myers FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt