Kapitel XIX

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Ein paar Schritte ließ ich ihn gehen, dann aber rannte ich ihm hinterher, hielt seinen Arm fest und drehte ihn zu mir um. Dass ich mir da gerade mein eigenes Grab geschaufelt hatte, fiel mir erst zu spät ein.

Michael fuhr herum und hob für einen Moment das Messer, bereit zuzustechen, doch dann ließ er es langsam sinken und ich ließ ihn los. „Ich bitte dich, lass mich an deiner Seite stehen und dir helfen. Du magst vielleicht hart im Nehmen sein, aber zwei weitere helfende Hände schaden nie. Sag mir, wen du willst, ich serviere ihn dir auf einem Silbertablett!"

Gott, bitte lass ihn nicht meine Gedanken lesen! Sonst würde er erfahren, dass ich ihm das alles nur einredete, damit ich meine Freiheit zurückerlangte!

Meine Hand fuhr seinen Arm entlang, bis zu seinem Oberarm, dort verweilte sie. „Vertrau mir", hauchte ich dann noch und gab mein Bestes, Tränen hervorzubringen. Im Grunde war gerade auch ein Augenblick zum Heulen, dass war es immer, sobald Myers in der Nähe von jemandem war – egal, auf wessen Seite man stand.

Erneut blickten wir uns an und er schien ernsthaft zu überlegen. Irgendwann sah er zu meiner Hand, welche ihn noch immer nicht losgelassen hatte und legte für ein paar Sekunden den Kopf schief. Meine Hoffnung wuchs.

Dann, wie aus dem Nichts, befreite er sich aus meinem Griff und drehte nun den Spieß um: Jetzt war ich es, die einen umklammerten Oberarm hatte, nur dass mein Griff wenigstens locker war, nicht fest!

Ohne Weiteres zog er mich mit sich, er voran, ich hinterher.

Am liebsten hätte ich ihm gesagt, dass er mir wirklich wehtat, doch ich unterdrückte es, schließlich schien er meiner Worte Glauben geschenkt zu haben und ließ sich auf den "Deal" ein. Ein Lächeln entwich mir. Zu einfach war es gewesen.

Wir begegneten viel zu vielen Gängen, einer Leiter und einer Menge Pfützen, sodass es für mich unmöglich war, mir den Weg fürs nächste Mal zu merken, doch ich setzte meine Hoffnungen einfach darauf, dass es kein nächstes Mal geben würde. Sobald er mich aus den Augen ließ, würde ich meine Sachen fertig packen und mit der nächstbesten Möglichkeit zurück nach New Jersey fahren. Natürlich würde Michael mir weiterhin im Gedächtnis bleiben, wahrscheinlich sogar noch mehr als zuvor, denn wer hätte schon damit gerechnet, dass ich ihn jemals wiedersehen würde? Aber bei ihm bleiben konnte ich nicht, es war so, als liefe ich Hand-in-Hand mit einer tickenden Zeitbombe herum. Aber er schien mir irgendwie, auf irgendeine Art und Weise, zu vertrauen – ein merkwürdiges Gefühl. 

 Ich freute mich ungemein, als ich die kühle Luft auf meiner Haut spürte, während wir die Kanalisation durch eine große, versteckte Öffnung verließen. Wir liefen auf einer Menge Flüssigkeit, ich betete weiterhin, dass es "nur" Wasser war, auch, wenn die Wahrheit vermutlich weniger schön aussah.

Es war zu meinem Entsetzen bereits um einiges dunkler geworden, was hieß, dass mir die Zeit davonlief. Morgen kam Lynn zurück, bis dahin musste ich Michael los sein, damit ich schnell abreisen konnte.

Selbst, als wir bereits vollständig die Kanalisation verlassen hatten, ließ er mich nicht los. Er zog mich immer weiter und ich hatte keinen blassen Schimmer, wo er mich bitte hinbrachte, zu Lynns Haus jedenfalls nicht. „Ist in Ordnung, ich kann schon alleine laufen. Lass mich los!", bat ich ihn, doch er dachte erst gar nicht daran und marschierte mit mir im Gepäck weiter. Ich ging brav mit und betrachtete seine nackte, große Hand, welche meinen Oberarm fest umklammerte - und plötzlich kam mir ein lustiger Gedanke: was würden meine Eltern denken, wenn sie dieses Szenario hier sehen würden?

Bedauerlicherweise hatte ich keinen richtigen Kontakt mehr zu meinen Eltern, er ist irgendwie abhandengekommen über die Jahre. Aber sie waren es doch, die mich damals ganz weit weg von Haddonfield und Michael bringen wollten – voilà, da war ich nun, ganz nah an ihm dran, Verletzungen seinetwegen an meinem Körper, furchtlos ihm gegenüber. Meine Eltern hätten mich umgebracht, wenn Michael dies nicht vorher schon mit den beiden getan hätte.

 Irgendwann stoppten wir abrupt und blieben vor einem Baum stehen. Es hatte mich zuvor fasziniert,wie er sich die dunkle Tageszeit zu Nutze machte, um ganz entspannt durch die Haddonfielder Straßen zu spazieren. Endlich ließ er mich los.

Gespannt sah ich ihm dabei zu, wie er ein Flugblatt, welches mit ein wenig Klebeband an den Baum geklebt wurde, mühelos abriss und mir hinhielt.

Es war eine Personenbeschreibung für einen Michael Myers.

„Haben Sie diesen Mann gesehen?", las ich leise die Überschrift des Blattes vor, doch Michael tippte aggressiv auf eine kleinere Stelle, ganz unten auf dem Blatt. Also las ich auch diese vor: „Bei Informationen bitte bei Dr. Samuel Loomis melden", der Satz wurde eigentlich mit ein paar dankenden Worten fortgeführt, doch diese las ich nicht mehr vor, da ich wusste, dass ich das vorgelesen hatte, was Michael von mir verlangte, zu lesen.

Nichtsdestotrotz sah ich mir noch stumm den Rest des Flyers an. Es wurde nur grob über sein Aussehen berichtet, seine Maske, sein Overall, seine Messer, die er gegebenenfalls mit sich rumschleppte und – verdammt, dieser Kerl war 1,78 Meter groß, ganze 10 Zentimeter größer als ich.

Erneut tippte besagter Mann mit Nachdruck auf die Stelle und sah mich vorwurfsvoll an, ich merkte es an der Art, wie er seinen Kopf zu mir lenkte. „Dr. Samuel Loomis?", vergewisserte ich mich, woraufhin Michael sich wieder entspannte und die Finger von dem Papier in meiner Hand nahm. Ich musste wohl voll ins Schwarze getroffen haben. 

  

The Night He Came Home [Michael Myers FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt