KAPITEL 9| WALD

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                         CLÉMENCE

»Machst du einen Spaziergang ohne mich, rosa?« Ohne dass ich zu der Person schauen musste, wusste ich, wer neben mir stand. »Enrique Fernández« Ich schloss meine Augen, weil ich spürte, wie mir die Tränen hochkamen. »je te maudirai« (Übersetzt: Ich werde dich verfluchen) zum ersten Mal sagte ich zu ihm, was auf Französisch. Ich weiß nicht, warum ich es nicht früher getan habe. Vielleicht wollte ich, dass er mich immer verstand. Aber jetzt ist Schluss. Er soll sich fragen, was ich gesagt habe. Ich schaue ihn nicht an. Er setzt sich neben mich und ich kann hören, wie er einatmet. »Dachtest du wirklich, ich finde dich nicht?« Fragt er mich ruhig. Ich habe es gehofft. »Wie hast du mich gefunden?« stelle ich ihm eine Frage. Ich muss meine Tränen zurückhalten. »Wärst du früher aus der Villa gekommen, hätte ich dich nicht erwischt. Genau als du gerannt bist, habe ich dich gesehen. Trotzdem hätte ich dich gefunden, vielleicht hätte es ein paar Tage gedauert, aber ich hätte dich trotzdem.« Scheiße. Egal, wie sehr ich damit kämpfe, die Tränen nicht laufen zu lassen, gelingt es mir nicht. Sie kullern mir runter. Ich spüre Enrics Hand an meiner Wange. Er wischt mir die Tränen weg. Ich bin wütend. Verdammt, wütend. Ich nehme Enrics Hand in meine und drücke zu. Es ist vielleicht komisch, aber es tut gut. Enric lässt es zu und sagt nichts. Dann drehe ich mich leicht zu ihm um und ziehe seinen Arm so fest nach unten, dass er hinfällt. Ich lasse ihn los und renne. Einfach in eine Richtung. Es ist mir auch egal, ob ich mich verlaufen könnte. Hauptsache weg von ihm. Ich drehe mich nicht einmal um. Mein Vater hat mir damals gesagt, dass ich mich niemals umdrehen soll, wenn ich eine Person hinter mir lasse. Ich soll mich nicht umdrehen. Weil, wenn ich mich umdrehe, könnte ich schwach werden und das ist nicht erlaubt. Père hat es mir verboten. Ich darf nicht schwach werden. (Übersetzt: Vater) Ich habe nie auf seine Worte gehört. Aber heute, heute schon. Und vielleicht kann ich so entkommen. Wenn ich mich umdrehe, könnte ich es bereuen. Wenn ich sehe, wie er mir hinterherrennt, werde ich Panik bekommen und das wird dazu führen, dass ich Fehler mache. Nicht umdrehen.

Ich weiß nicht, wo ich bin. Es ist einfach ein Weg im Wald. Es war wohl keine gute Idee, in den Wald zu rennen. Ich habe mich nicht einmal umgedreht. Ich bin mir aber auch sicher, dass Enric nicht hinter mir ist. Sonst hätte ich etwas gehört. Aber es ist still. Ich laufe immer weiter geradeaus. Etwas in mir sagt, ich sollte aufhören, weiterzulaufen, aber ich tue es nicht. Ich laufe weiter. Meine Füße tun schon weh, aber ich höre nicht auf, weiterzulaufen. Ich bin müde. Ich will schlafen, aber das geht nicht. Hier nicht. Der Boden ist nass. Es hat kurz geregnet. Ich bin nass. Mir ist kalt. Auf der linken Seite ist ein Zaun. Da ist eine Öffnung, wo ich vom Wald raus kann. So würde ich auf eine Straßenseite kommen. Ich knie mich hin, um durch die Öffnung rauszukriechen. Als ich durch bin, richte ich mich wieder auf. Meine Sachen sind komplett voller Schlamm. Aber es interessiert mich nicht. Ich schaue mich um, aber ich entdecke keine Autos. Ich fange wieder an, zu laufen. Mein Kopf dröhnt. Ich fühle mich nicht gut. Mein Herz schlägt schnell und fest. Meine Beine zittern, aber ich laufe noch weiter. Zum Glück sehe ich nach paar Schritten eine Bank. Ich laufe auf sie zu und lege mich darauf. Mein Körper fühlt sich schwer an. Ich kann mich nicht bewegen. Es fühlt sich so an, als wäre mein Körper 100 Kilo schwieriger geworden. Mein Körper fängt an zu zittern. Und meine Augen gehen zu. Ich probiere nicht einzuschlafen, aber es gelingt mir nicht. Meine Augen schließen sich. Bevor ich aber noch richtig einschlafen kann, denke ich noch an Enric. Ich bin vor ihm weggelaufen, aber jetzt wünsche ich mir, dass er mich findet. Wie das erste Mal. Als er mich fand und ich meine Augen in seinem Bett öffnete. Ich will wieder meine Augen in seinem Bett öffnen. Ihm in der Küche treffen. Ihn fragen, wie groß er ist. Ich will, dass er grinst. Ich will einfach weg von hier. Es ist kalt und verlassen hier. Es fühlt sich an, wie früher. Ich fühle, wie mein Herz sich verlangsamt. Und dann ist nur noch die ganze Schwärze da und ich fühle nichts.
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Es ist kurz, aber ich wollte euch nicht lange warten lassen.
Hoffe, es hat euch gefallen, Cariños.
Voten und kommentieren nicht vergessen.
Hab euch lieb.🤍

CLÉMENCE DIONWo Geschichten leben. Entdecke jetzt