CLÉMENCE DION

KAPITEL 12| FALLE

       RÜCKBLICK VOR 7 JAHREN
                              ENRIC

Mi uva? (Übersetzt: Meine Traube) rufe ich laut und laufe in die kleine Wohnung. Ich höre ihre Schritte, die aus der Küche kommen. Sie kommt lächelnd ins Wohnzimmer und umarmt mich ganz fest. Ich umarme sie zurück und rieche an ihr Haaren. Sie hat mit meinem Shampoo geduscht. »Hat da etwa jemand mit meinem Shampoo geduscht?« frage ich mit hochgezogenen Augenbrauen. Und schaue sie dabei leicht grinsend an. Sie muss nach oben schauen, um mein Gesicht zu sehen. Olessa hat ein sehr süßes Gesicht und wenn sie von unten zu mir schaut, sieht sie noch süßer aus. Ich liebe es ihr nah zu sein, weil sie dann immer hochschaut. »Ich habe gekocht, setz dich, dann können wir zusammen essen.« Ich nicke und setze mich an den kleinen Tisch, der in der Ecke steht. Olessa kommt mit zwei Tellern zurück, die komplett gefüllt sind. Nudeln. Wir fangen an zu essen. Ich lasse sie dabei keine Sekunde aus den Augen. Sie ist voll geschmiert mit Soße. Ihr Anblick lässt mich lachen, weil sie so süß und lustig aussieht. Sie bindet nie ihre Haare, deswegen kämpft sie damit, wenn sie isst. Ich stehe auf und laufe ins Schlafzimmer. Ein Haargummi liegt auf der Nachtkommode, die nehme ich und gehe zurück ins Wohnzimmer. Ich laufe hinter ihr und binde ihr die Haare zu. Sie meckert und will nicht, aber ich binde sie trotzdem zu. »Glaub mir, so wirst du es leichter haben« sage ich und setze mich wieder auf meinen Platz. Sie schaut mich an und macht ein komisches Gesicht. Ich fange an zu lachen, weil es lustig aussah. Ich halte mir meinen Bauch fest, weil ich laut und viel lache. Sie schaut mich auch lachend an. Als ich mich beruhigt habe, essen wir zu Ende und räumen alles weg. Dann schauen wir noch einen Film und reden miteinander. »Ich habe Angst« sagt Olessa plötzlich, was mich verwirrt zu ihr schauen lässt. »Warum?« frage ich sie und nehme sie fester in meine Arme. Sie legt ihren Kopf auf meine Brust und fängt an zu erzählen. »Ich habe angst, dass jemand von uns mitbekommen könnte. Stell dir vor, dir passiert was, was mache ich dann? Ich würde sterben, ohne dich, ich könnte nicht weiter machen. Ich will jede Sekunde meines Lebens mit dir verbringen. Es passiert mir ungewollt, ich möchte nicht darüber nachdenken, aber es kommt mir einfach in den Kopf. Der Gedanke, dass du nicht mehr bei mir sein könntest, macht mich verrückt. Ich bin die, die in Sicherheit hier drin ist und du? Du musst auch mal nach Hause, also musst du raus. Und draußen gibt es so viele Gefahren. Es gibt Gefahren, die auf uns warten und wir können sie nie kommen sehen. Wir sehen nicht, dass sie in unserer Nähe sind. Und dann, dann laufen wir in die Falle. Ich habe Angst davor, dass du in eine Falle laufen könntest. Und dann bist du nicht mehr da.« während sie erzählt, laufen ihr Tränen über die Wangen. Ich küsse ihre Tränen weg und verspreche ihr, dass ich immer aufpassen werde. Auf mich und auf sie.

RÜCKBLICK ENDE

                            ENRIC

Sie hatte Angst um mich. Sie wollte immer, dass ich aufpasse. Das habe ich auch. Genau an diesem Abend ist sie in eine Falle gelaufen. Obwohl, sie mich gewarnt hatte. Immer hat sie mir gesagt, dass ich aufpassen soll. Sie hatte Angst, ohne mich leben zu müssen. Aber ihre Angst hat mich getroffen. Ich war derjenige, der ohne sie leben musste und ich muss es immer noch. Ich wäre nie gegangen, hätte ich gewusst, dass das der letzte Abend mit ihr ist. Am nächsten Tag hatte ich die Schlüssel für die kleine Wohnung vergessen, weswegen ich geklingelt hatte. Sie hat die Tür nicht geöffnet. Es kam mir komisch vor, aber ich dachte, dass sie vielleicht schlafen würde. Ich habe noch weitere Male geklingelt, aber sie hat nicht geöffnet. Dann habe ich mir Sorgen gemacht und habe die Tür aufgetreten. Als ich drin war, habe ich sie auf der Couch aufgefunden. Sie lag da ohne Kleidung und war Blut überströmt. Ich bin auf sie zugerannt und sie in meine Arme genommen. Ihr Körper war eiskalt und da kam keine Umarmung zurück. Ihre Arme hingen schlapp nach hinten.