KAPITEL 19| NEUE HAARE

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CLÉMENCE

Wir sitzen am Esstisch und haben beide ein Puzzle vor uns liegen. Ich komme gut voran, aber Enric sieht sehr genervt aus, weil er nicht weiter kommt. Die Puzzle sind nicht so groß daher ich habe schon die Außenseiten fertig und arbeite innen weiter. Als mein Blick an Enric hängen bleibt, muss ich mich beherrschen, nicht loszulachen. »Was ist das für eine scheiße?!« meckert er. Jetzt kann ich mein lachen nicht mehr zurückhalten. Ich lache los und Enrics Kopf dreht sich zu mir. Er schaut mich böse an. »Du konzentrierst Dich nicht richtig« sage ich zu ihm. »Dass ich das gerade überhaupt mache«, flüstert er eher zu sich selber als zu mir.

Er gibt nicht auf und versucht es wieder. Ich mache auch weiter, aber nach kurzer Zeit ertönt Enrics Stimme. »Willst Du es mir immer noch erzählen?« Ich höre auf mein Puzzle zu machen, aber erhebe nicht meinen Kopf, um ihn anzusehen. «Ich war noch sehr klein. Viel hatte ich nicht. Nicht mal ein Bett hatte ich. Auf dem Boden lagen nur ein paar Decken, auf denen ich lag. Spielzeuge hatte ich auch nicht, ich hatte nur ein Puzzle. Ein Puzzle, dass ich geliebt habe. Ich habe es immer wieder zusammen gebaut und dann wieder kaputtgemacht, nur, um es nochmal zu machen. Auf dem Puzzle war ein Mädchen drauf, welches zwischen den Wolken runterfiel. Für dich wird es sich bestimmt komisch anhören und du wirst es nicht verstehen, aber ich habe mir immer vorgestellt, das Mädchen zu sein. Sie sah so frei und friedlich aus, obwohl sie fiel. Und die Vorstellung frei zu sein war so unglaublich schön für mich, dass ich nur durch dieses Puzzle für Stunden mich frei und wohlgefühlt habe. Mir ging es so viel besser und das nur durch eine Vorstellung. Ich habe mich frei gefühlt. Aber leider hat das nicht lange gehalten. Mein Vater hat mich eines Tages erwischt. Er hat mich gefragt, was ich da mache und als ich ihm erklärt habe, dass ich mir vorstelle, dieses Mädchen zu sein, hat er mir gesagt, dass man mich einsperren muss. Ich habe nie verstanden, warum er mich hasst« Während ich Enric alles erzähle, laufen mir Tränen übers Gesicht.

Ich will nicht weinen, aber ich kann es auch nicht verhindern. Enric steht von seinem Platz auf und kommt auf mich zu. Als er bei mir ist, zieht er mich in seine Arme und umarmt mich. Ich fange an, noch mehr zu weinen. »Als ich älter wurde, konnte ich rausgehen. Sie haben mich nicht mehr eingesperrt. Ich hatte keine Angst mehr, etwas zu sagen. Egal, wer vor mir stand. So haben die mich dann rausgelassen, aber das war nicht gut. Denn ich war nicht mehr die frühere Clémence. Ich bin oft rausgegangen, habe angefangen zu klauen, zu trinken, Ärger zu machen und es wurde immer schlimmer. Eines Tages musste mein Vater mich vom Polizeirevier abholen, weil ich ein Mädchen geschlagen hatte. Ich war betrunken. Das war auch der Abend, als ich von meinem Vater rausgeschmissen wurde. Es wurde ihm zu viel und er hat mich rausgeschmissen. Weißt du, was er gesagt hat?« Enric hat mich nicht losgelassen. Er hält mich immer noch in seinen Armen. Ich weine nicht mehr. Aus meinem Mund kommen nur noch Wörter raus, die meine Vergangenheit verraten. »Hoffentlich stirbst du. Ich habe dich 18 Jahre ausgehalten und das war die reinste Hölle für mich. Jeden Tag habe ich mir gewünscht, dass du stirbst. Hoffentlich ist der Tag nah. Und jetzt verschwinde von hier!« Er war mir egal, aber die Worte haben mich getroffen. Es ist wie ein Tattoo. Nur dass es nicht auf meiner Haut verewigt ist, sondern in meinem Herzen. Damit hat er bekommen, was er wollte. Ich werde diese Worte nie vergessen. Ich löse mich von Enric und wische meine Tränen weg. Er nimmt mein Gesicht in seine Hände und hebt meinen Kopf leicht an, damit ich ihn ansehe. Ich schaue in seine Augen und er schaut in meine. »Wein nicht rosa, es ist vorbei, du wirst ihn nie wieder sehen.« Er streicht mit seinen Daumen über meine Wangen und lächelt mich sanft an. »Vergieße deine schönen Tränen nicht« Enric zieht meinen Kopf zu sich und gibt mir einen langen Kuss auf meine Stirn.
——

»Ich will meine Haare Braun färben« sage ich ohne nachzudenken. Ich habe seit Jahren die selbe Haarfarbe ich bin gelangweilt. »Das machst du nicht deine Haare sind wunderschön!« kommt es von Enric wie aus der Pistole geschossen. »Aber ich finde es langweilig ich will mal was neues ausprobieren!« sage ich. »Das ist mir egal du färbst deine Haare nicht!« Er lehnt sich wieder zurück und widmet sich wieder an seine Arbeit. Ich schaue zu Enzo der mich grinsend anschaut. Auf meinem Gesicht bildet sich auch ein Grinsen aber ich verstehe nicht ganz. Er hat was vor aber was?

CLÉMENCE DIONWo Geschichten leben. Entdecke jetzt