CLÉMENCE
Es ist schon der nächste Morgen und meine Laune ist immer noch unten. Ich habe mit niemandem gesprochen. Enric und Enzo haben es versucht, aber ich habe nicht geantwortet. Ich sitze am Pool und trinke Apfelschorle. Ich liebe Apfelschorle. Und dann auch noch kalte. Ich sehe im Augenwinkel, dass Enric auf mich zukommt. Er setzt sich neben mich. Ich drehe meinen Kopf zu ihm und schaue ihn an. »Ich habe was für dich« sagt er lächelnd. »Komm mit«, er greift nach meinem Arm und zieht mich sanft hoch. Ich folge ihm, ohne was zu sagen. Hm, ich bin gespannt. Wir laufen die ganzen Treppen, die es hier gibt, nach oben. Ich war schon überall, außer ganz oben. Ich weiß nicht, warum ich nicht nach oben gegangen bin.
Ganz oben angekommen, bekomme ich bisschen Angst. Hier ist ein riesiger Saal. Genau in der Mitte steht ein Flügel. Es ist dunkler hier oben, weil alles in dunklen Holztönen gehalten wurde. An den Wänden sind alte, aber schöne Kerzenhalter. Es ist deutlich kälter hier oben, aber es ist angenehm. Alles sieht geheimnisvoll und alt aus. Aber es ist einfach perfekt. Aber das Schönste ist der Flügel. Es steht in der Mitte und es ist bis jetzt der größte Flügel, den ich je gesehen habe. Es passt überhaupt nicht nach unten. Unten ist es moderner. »Es ist wunderschön, aber auch so alt und verlassen. Warum ist es hier so, es passt nicht nach unten?« Ich schaue fragend zu Enric. Er schaut sich um und antwortet mir dabei. »Früher sah es überall so aus. Auch unten. Als meine Eltern starben, haben wir uns mit Enzo dazu entschieden, alles zu ändern. Außer hier oben. Wir wollten auch einen Teil so lassen, wie es mal war. Nach oben kommt eigentlich keiner von uns so häufig. Es ist voll mit Erinnerungen. Es steht seit langem leer und weil dir ja oft mal langweilig ist, habe ich hier ein Klavier hinstellen lassen. Ein bisschen putzen, die Lichter erneuern lassen und so weiter. Jetzt hast du einen Saal komplett für dich, wo du Klavier spielen kannst.« »Woher weißt du überhaupt, dass ich Flügel spiele?« frage ich Enric. »Ich weiß vieles, rosa« antwortet mir Enric und geht dann wieder runter.
Ich bewege mich mit langsamen Schritten nach vorne. An dem Flügel lasse ich meinen Zeigefinger und Mittelfinger über das glatte Holz fahren. Ich bleibe vor den Tastaturen stehen. Sanft fahren meine Finger auch darüber. Ich setze mich auf den passenden Sessel vom Flügel. Ich denke einen Moment nach. Dann lasse ich meine Finger über die Tastaturen tanzen und es ertönt Gnossienne No.1 von Erik Satie. Seit 4 Jahren habe ich es nicht mehr gehört. Ein Lächeln schleicht sich in mein Gesicht. Ich schließe meine Augen und spiele dabei weiter und genieße es. Meine Gedanken schweifen ungewollt in die Vergangenheit. Früher habe ich oft gespielt. Als ich angefangen habe zu spielen, wollte ich immer wegrennen. Aber jetzt ist das nicht mehr so, jetzt habe ich Spaß daran und ich liebe es.
ENRIC
Ich sitze auf den Treppen und das Einzige, worauf ich mich konzentriere, ist, wie Clémence spielt. Sie spielt Gnossienne No.1. Meine Mutter hat es geliebt. Sie hat damals Unterrichtsstunden genommen, nur um es auch spielen zu können. Hätte sie Clémence spielen hören, wäre sie genauso verliebt wie ich. Die beiden hätten sich gut verstanden. Sie spielt sehr gut, aber ich werde ihr das nicht sagen. Ich will nicht, dass sie weiß, dass ich ihr zuhöre. Wie sie spielt, erinnert mich sehr stark an meine Mutter. Wenn ich an meine Mutter denke, werde ich schwach und ich will nicht, dass sie mich so sieht. Jemand setzt sich neben mich. Ich weiß, dass es Enzo ist. Wir beide haben damals immer unserer Mutter zugehört. Sie hat gespielt, wir haben gehört. Auch mein Vater. Wie verliebt er sie angeschaut hat, werde ich nie vergessen. Wir zeigen es kaum noch, aber wir vermissen die beiden sehr. Am Anfang war es unerträglich. Wir hatten nur noch uns beide. Keiner von uns wusste, wie es weitergehen soll. Es musste was gemacht werden, sonst hätten wir alles verloren. Wir waren jung, aber wir haben es geschafft. Mein Bruder war für mich da, ich war für ihn da. Jetzt stehen wir hier und alles ist 7 Jahre her. Ich merke erst jetzt, dass Clémence aufgehört hat zu spielen. »Sie spielt gut, ich habe es vermisst, zu Hause die Töne zu hören« Ich nicke und stehe langsam auf. »Ich gehe gleich mit ihr raus, kannst du das mit Haushalshilfe klären?« Enzo nickt und steht ebenfalls auf. Bevor er nach oben geht, erinnert er mich daran, dass er für 2 Tage nicht zu Hause sein wird. Er muss nach Italien. Da ist etwas schiefgelaufen, was mir komisch vorkommt, weil da dort in letzter Zeit vieles schiefläuft. Nachdem Enzo nach oben verschwunden ist, gehe ich auch in mein Zimmer und ziehe mir frische Sachen an. Ich mache mich fertig und dann mache ich mich auf die Suche nach Clémence.
Erst schaue ich in ihrem Zimmer nach, wo sie ja nicht mehr viel Zeit verbringt, seitdem sie bei mir schläft. Es lässt mich grinsen, wenn ich daran denke. In ihrem Zimmer finde ich sie auch. Sie sitzt auf ihrem Bett. Sie schaut nicht zu mir auf, weswegen ich zu ihr laufe. Ich setzte mich vor ihr, was sie leicht zusammen zucken lässt. »Du hast mich erschrocken, gorille« meckert sie. Ich muss lachen und sie schaut mich genervt an. »Komm, mach dich fertig.« Ich nehme ihre Hände und ziehe sie auf die Beine. Jetzt schaut sie mich verwirrt an. »Wohin gehen wir denn?«, fragt sie mich. »Siehst du, wenn wir da sind!« Sie nickt und geht sich dann was anziehen. Ich gehe wieder raus und warte unten auf sie.
CLÉMENCE
Ich ziehe mich um, mache meine Haare und trage mir bisschen Schminke auf, damit ich nicht wie ein Geist aussehe. Ich mache noch ein paar goldene Ketten und Ringe dran. Dann nehme ich mir eine kurze schwarze Jacke und verlasse das Zimmer. Unten im Eingang wartet Enric auf mich. »Ich bin fertig, wir können los!«, sage ich energisch. Er schaut kurz zu mir und nickt dann. »Bist du dir sicher, dass du eine kurze Jacke anziehen willst, es wird kalt?«, fragt er mich. »Ja, ich will die anziehen« Mein Outfit sieht perfekt aus. Ich will nichts daran ändern. Gorille nickt und nimmt meine Hand. Er nimmt meine Hand. Draußen steigen wir in ein Auto von ihm, was sehr schön aussieht. Mit Autos kenne ich mich leider nicht aus. Ich weiß nur, dass es ein BMW ist, in dem wir sitzen. Enric fährt los und ich kann einfach nicht aufhören zu fragen, wohin wir fahren.
»Wann sind wir endlich da?« nerve ich Enric. Wir fahren schon seit einer Stunde. »Ich kann nicht mehr!« »Rosa, du machst doch nichts, du musst nur sitzen und warten«, sagt Enric. Er ist wirklich geduldig. Ich habe ihn die ganze Zeit genervt, aber er hat nicht ein einziges Mal seine Stimme erhöht. »Nerv ich dich nicht mit meiner Fragerei?« Er lacht auf und schaut kurz zu mir. »Du fragst mich doch immer noch« antwortet er mir. Er hat recht. »Aber nein, du nervst mich nicht« Ich sage nichts mehr und nach 10 Minuten kommen wir endlich an. Wir halten vor einer Halle an. »Du bist so lange gefahren, um mich zu einer Halle zu bringen?« frage ich laut und schockiert. Enric schaut mich grinsend an und läuft dabei in diese komische Halle. Ich folge ihm. Vor der Tür angekommen, holt er einen Schlüssel raus und öffnet die Tür.
Als die Tür ganz aufgeht, bleibt mir der Atem stehen. Eine riesige Eislaufbahn mit vielen bunten Lichtern und Musik. Ich schaue zu Enric und er schaut lächelnd zu mir. »Gehört die Halle Dir?« Meine Stimme ist leise. Er nickt leicht und ich renne fröhlich in die Halle, die von innen wunderschön aussieht. »Es ist so schön, noch nie habe ich eine schönere Eishalle gesehen, Enric« Ich schaue mich mehrmals um und bewundere alles. Hier ist niemand, aber das lässt alles schöner aussehen. Hinten ist eine Wand voll mit Schuhen. Es gibt weiße und schwarze Schlittschuhe. Das Dach ist voll mit leuchtenden Lichtern. Der Rest ist voll mit LED Lichtern. Ich laufe auf die Schuhe zu und suche mir meine Größe. Als ich es finde, drehe ich mich wieder um und sehe Enric auf einer Bank sitzen. »Ich wusste nicht, dass du ohne Schlittschuhe fahren kannst.« kommt es aus mir. Er schaut zuerst mich und dann die Bahn an. »Ich habe das lange nicht mehr gemacht, ich war 16, als wir zuletzt hierhergekommen sind. Ich habe es bestimmt verlernt.« oh. »Ich helfe dir, wenn du Hilfe brauchst, ich war auch schon seit über 5 Jahren nicht mehr. Außerdem sind wir doch nicht so lange gefahren, nur damit ich alleine fahre?« Er schaut mich unsicher an und ihn so zu sehen lässt mich leicht auflachen.
Dann steht er auf und holt sich passende Schuhe und kommt zurück. Wir ziehen unsere Schuhe an und dann fange ich schon an, langsam mich wieder in die Sache einzuarbeiten. Es klappt alles auch perfekt, weswegen ich schneller werde. Ich sehe Enric, dass er sich an den Rändern festhält. Ein Lachen kann ich mir nicht verkneifen, weil es lustig aussieht. Der Gedanke daran, dass er ein Mafiaboss ist, kommt mir gerade komisch vor. Er schaut verärgert zu mir und fällt dabei fast hin, weil er nicht aufgepasst hat, wohin er sich bewegt. Meine Lache wird immer lauter und mehr. »Warte ab, wenn ich dich in die Finger bekomme, lache ich dich aus« Ich kann nicht aufhören zu lachen, weil er versucht zu mir zu kommen, aber immer wieder scheitert. Für mich ist es einfach, ich könnte mich auch ohne Probleme mehrmals drehen. Aber bei Enric klappt es überhaupt nicht. Ich sehe, dass er sich loslässt und sich bemüht, nicht hinzufallen. Als er in der Mitte ankommt, verliert er sein Gleichgewicht und fällt hin. Ich fange an, so sehr zu lachen, dass ich Bauchkrämpfe bekomme. Ich bücke mich leicht nach vorne. Enric richtet sich wieder hin, aber sieht dabei sehr genervt aus. »Ich konnte es früher besser als du, hör auf zu lachen und mach mich nicht wütend rosa!« Ich kann nichts anderes als zu lachen und das geht weitere Stunden so weiter. Dieser Tag hätte nicht besser werden können und das merke ich daran, dass ich an meinem Bauch Muskelkater habe durch das ganze Lachen. »Du hast meinen Tag gerettet.« Er schenkt mir sein Lächeln.
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KAPITEEEEL 🤍
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CLÉMENCE DION
De Todo𝓒𝓵é𝓶𝓮𝓷𝓬𝓮 𝓓𝓲𝓸𝓷, eine junge Frau, die von ihrem Vater gerade mal mit 18 Jahren rausgeworfen wurde. 4 Jahre sind es her und seitdem lebt Clémence in unsicheren Gebieten. Um zu überleben, hat sie oft gestohlen und verletzt. Die Suche nach Clé...