1961 | Eines Tages vielleicht

110 24 65
                                    

Vorwort: Die folgende Geschichte ist in einem historischen Rahmen eingebettet. Allerdings habe ich einige historische Belange und Fakten so abändern müssen, dass ein paar historische Ungenauigkeiten entstanden sind. Wenn man sich genau mit dem zweiten Weltkrieg und dem geteilten Berlin der Nachkriegszeit beschäftigt, wird man schnell merken, dass manches eben doch anders war, als es hier dargestellt wird. Dies bitte ich zu beachten! Die Kurzgeschichte dient alleine der Unterhaltung und erhebt keinerlei Ansprüche auf eine historische Korrektheit!

Berlin, Sommer.

Es war ein lauer Sommerabend. Die Abendsonne tauchte die Stadt in ein rötliches Licht, das an die Flammen eines brennenden Kamins erinnerte. Die Stadt mit all ihren Narben sah in diesem Licht geradezu einladend aus. Ins rechte Licht gerückt, konnte eben alles eine Schönheit sein.

An diesem Abend war die Rote Lola, eine recht heruntergekommene Kneipe in Kreuzberg, gut besucht. Vorwiegend Männer verprassten hier ihren hart verdienten Arbeitslohn. Die wenigen Frauen, die sich hier in dieser düsteren Spelunke aufhielten, genossen sichtlich die Aufmerksamkeit, die sie von den Männern erhielten. Die Kneipenbesucher waren allesamt unterschiedlich, aber eines hatten sie gemeinsam: Sie waren alle hier, um dem Alltag zu entfliehen. Es wurde angeregt diskutiert, geflirtet und manchmal auch gestritten - natürlich alles bei einem entsprechenden Lärmpegel, wie man ihn auch nicht anders in der Roten Lola kannte.

Inmitten des bunten Treibens saßen zwei Männer an der Bar. Der eine, Uwe, war ein älter Mann mit kurzen, grauen Haaren und trug einen schwarzen Anzug. Er hatte ein freundliches Lächeln auf den Lippen und trank ein Bier. Der andere, Heinz, war ein junger Mann mit kurzen, blonden Haaren, gekleidet in eine hellblaue Jeansjacke. Die beiden Kneipenbesucher unterhielten sich schon eine ganze Weile.

»Ich muss sagen, das ist wirklich eine gute Geschäftsidee! Das ist genau das, was die Welt braucht! Du solltest dir aber besser erst das Patent sichern, ehe du jemanden davon erzählst«, sagte Uwe, dieser schlanke, ältere Mann, der erstaunlich gut zuhören konnte.

»Findest du wirklich?«, antwortete Heinz euphorisch, »Ich habe mich da schon mal informiert, aber ich habe einfach nicht genug Kohle! Weder für das Patent, noch das Startkapital für die Firmengründung und die verdammte Bank will mir auch nichts leihen. Es ist wirklich zum Mäusemelken!« Er ballte seine rechte Hand zur Faust und hämmerte fest auf den Tresen, um seinen Ärger Ausdruck zu verleihen. Dafür erntete er einen bösen Blick vom Wirt, der nur wenige Meter von ihm entfernt stand und gerade ein paar Bier für seine Gäste zapfte.

»Na, dann musst du eben welches auftreiben. Ich sag ja immer: Für seine Träume muss man kämpfen! Ich habe es selbst erlebt, dass man alles erreichen kann, wenn man nur hart genug dafür arbeitet. Ich wünsche dir auf jeden Fall alles erdenklich Gute!« Uwe setze sein Bierglas, welches kaum mehr gefüllt war, an die Lippen und goss sich den letzten Rest des goldenen Gerstensaftes in die Kehle. Dann stellte er das leere Glas ab, kramte ein paar Markstücke aus seiner Jackentasche und legte sie vor sich auf den Tisch. »Das stimmt so«, murmelte er in Richtung des Kneipenwirts, der sich freudestrahlend bedankte. Dann stand Uwe von seinem Barhocker auf und verabschiedete sich freundlich von Heinz. Leicht torkelnd verließ er die Rote Lola und ließ seine Kneipenbekanntschaft alleine zurück.

Vielleicht hatte ihr Vater ja recht. Heinz war zwar kreativ und hatte stets gute Ideen, dennoch war er einfach chronisch erfolglos.

Er spülte seinen Frust mit einem kräftigen Schluck seines Bieres herunter. Uwes aufmunternde Worte hatten zwar ein bisschen geholfen, allerdings nicht genug, denn er fühlte sich noch immer miserabel. Er hatte in seinem jungen Leben schon etliche Niederlagen einstecken müssen - die heutige war jedoch die bislang heftigste gewesen!
Er hatte endlich Nägel mit Köpfen machen wollen und hatte Annabell, seine absolute Traumfrau, welcher er schon seit einer Ewigkeit hinterherrannte, bei ihr Zuhause aufgesucht. Blöd nur, dass ihr Alter ebenfalls dagewesen war, denn der hatte seiner Tochter schon mehrfach den Kontakt zu ihm verboten. Er sei nicht gut genug für sie, hatte er ihm ganz unverhohlen mitgeteilt. Unambitioniert, erfolglos und ein Einfaltspinsel! Keine gute Partie, kein Mann, der eine Familie ernähren könnte und erst recht kein Mann für seine Annabell. Diese Worte schwirrten noch immer durch seinen Kopf und verletzten ihn, als seien es rasiermesserscharfe Dolche.

Das Nutzlose Büchlein - Ein Buch reist um die Welt und durch die Zeit ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt