........ | Das Ende

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Sektor C3874-Q1.

Wie in Zeitlupe drehte sich das erstarrte, leicht gewellte und von Rissen durchsetzte Leder. Die simple Schnur, die einen Satz zerfledderter Seiten zusammenhielt, war zu einem dürren Zweig gefroren. Ein Buch. Wie lange würde die Reise dieses seltsamen Stücks Weltraummüll wohl dauern, bis es in die nächste Sonne, Quasar oder schwarze Loch fiel? Ein paar Tausend Jahre? Oder eher Millionen? Würde es vorher vom Plasmaantrieb eines Raumschiffs zu Asche verbrannt oder von einem herrenlosen Asteroiden zu Staub zerschlagen werden? Und wie lange zog es wohl bereits seine Bahn durch das leere Vakuum zwischen den Sonnensystemen?

Tiefdurchatmend hob Elrik seinen Blick vom 3-D-Bild des ledernen Bündels, das mittig in den Raum projiziert wurde. Gedankenverloren betrachtete er sein kleines Reich: Weiße Wände, weißer Schreibtisch, weißer Stuhl sowie ein leerer – natürlich ebenfalls weißer – Untersuchungstisch in der Mitte des kreisrunden Zimmers. Mit nur einem Wort könnte er sich auch die purpurnen Wälder von Alpha-Centauri oder die neon-orangene Lagune von Orion-1 projizieren lassen, wie es seine Kollegen bevorzugten. Wie die sich dabei auf ihre Arbeit konzentrieren konnten, war ihm jedoch schleierhaft.

Erneut zog das lederne Bündel seinen Blick an. Worum es sich wohl handelte? Okay, um Leder aus der Haut einer unbekannten Lebensform. In diese waren etwa zweihundert Seiten eines dünn gepressten, pflanzlichen Materials mit Spuren weiterer mineralischer und organischer Substanzen eingebunden. So viel verriet ihm die Spektralanalyse auf die Distanz. Das Stück Weltraummüll war immer noch nahezu einhunderttausend Kilometer entfernt. Es war Questa nur aufgrund der natürlichen Materialien aufgefallen. Ungewöhnlich in diesem Sektor weitab von jedem bewohnten Planeten.

»Questa. Bitte hol das Stück an Bord«, beschied er seinem Schiff.

»Davon möchte ich abraten«, kam die Antwort der Schiffsintelligenz, deren leicht näselnder Einschlag ihr immer einen minimal arroganten Klang verlieh. »Gemäß Sicherheitsprotokoll sollte es mit einem Plasmastoß neutralisiert werden. Da es sich um organisches Material handelt, könnte es kontaminiert sein. Soll ich die Prozedur starten?«

Die Arroganz bildete er sich vermutlich nur ein, aber die bevormundende Art ging ihm gehörig auf die Nerven. Konnte sie nicht einmal einfach nur machen, was man ihr befahl? Schließlich war er hier die einzige natürliche Intelligenz an Bord.

»Nein. Du hast mich gehört«, bekräftigte er nochmals seine Anweisung.

»Selbstverständlich. Ich höre jedes deiner Worte. Sie widersprechen jedoch dem Sicherheitsprotokoll.«

»Tun sie nicht. Wie du selbst sagst, sollte es neutralisiert werden. Muss es aber nicht. Wer von uns beiden ist denn hier die Intelligenz, die immer alles auf die Goldwaage legt? Außerdem ist mein Auftrag das Finden von potenziell bewohnbaren Planeten. Und dieses Artefakt könnte auf ein aussichtsreiches Ziel in der Nähe hindeuten.«

Er war stolz auf sich, ausnahmsweise mal den Spieß umzudrehen. Normalerweise versuchte Questa immer recht zu behalten. Sie wäre mit Sicherheit eine exzellente Anwaltsintelligenz geworden, hätte man sie nicht in seinem Schiff verbaut. Leider.

»Die Wahrscheinlichkeit dafür beträgt unter 0,000001 %«, hielt ihm Questa ruhig entgegen. »Im näheren Umkreis existieren keine Sonnensysteme mit bewohnbaren Planeten. Es als Hinweis zu betrachten, könnte ich so deuten, dass du langsam nicht mehr zurechnungsfähig bist.«

»Jetzt mach mal halblang«, entfuhr es ihm. »Es gibt einen Grund, warum ich für diesen Auftrag an Bord bin, und du ihn nicht alleine ausführst. Nun hol das Teil endlich rein.«

»Wie du meinst. Ich vermerke es jedoch im Logbuch. Sollte es aufgrund deiner irrationalen Befehle zu Schäden am Schiff oder Personal kommen, sehe ich mich gezwungen ...«

Das Nutzlose Büchlein - Ein Buch reist um die Welt und durch die Zeit ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt