Tresore haben die gute Eigenschaft, Wertgegenstände vor unberechtigten Zugriff zu schützen. Gleichermaßen haben sie die schlechte Eigenschaft, dass sie auf den Fundort ebenjener Gegenstände deutlicher hinweisen, als ein in roter Farbe gepinseltes Hinweisschild mit der Aufschrift: »LIEBER EINBRECHER, WAS DU SUCHST BEFINDET SICH GENAU HIER!«
Normalerweise gleicht die eingangs erwähnte gute Eigenschaft des Tresors diesen Nachteil aus.
Normalerweise ...
Der Hersteller dieses Modells hatte nicht mit Moonfox und Shadowhawk gerechnet.
»Speise nun das Entschlüsselungsprogramm ein«, erklang die Stimme ihres Partners aus dem Kopfhörer in Moonfox‹ Ohr. »Dieser Auftrag ist das reinste Kinderspiel. Wenn das so weitergeht, können wir hinterher noch schick essen gehen. Worauf hättest du Lust, Foxy? Vietnamesisch?«
Die Diebin antwortete nicht. Auch wenn der Inhaber der Villa laut Hawks Informationen heute aushäusig und das Gebäude somit leer stehend war, wollte sie nicht auf sich aufmerksam machen. Zu viele Beutezeuge weniger talentierter Verbrecherbanden waren gescheitert, weil sich ihr Intel mitten in einer Operation als unwahr herausgestellt hatte.
»Wieder, die kalte Schulter, was?« Hawks seufzte übertrieben. »Entspann dich. In zwei Minuten ist der Tresor auf und in fünfen bist du über alle Berge.«
Moonfox rollte mit den Augen. Hawks hatte gut Reden. Er saß ja auch mehrere Kilometer entfernt in seinem kleinen Hackerparadies, futterte seelenruhig Nachos und beobachtete alles über die Kameras seiner ferngesteuerten Drohnen.
Angespannt ließ sie den Blick durch den Raum wandern. Es war stockfinster. Ihr Nachtsichtgerät störte sich nicht daran. Im besten Schwarz-weiß gab der Infrarotsensor die Konturen ihrer Umgebung zum Besten. Also, wenn es denn so viele gegeben hätte.
Das Arbeitszimmer war unnötig groß. Nur ein einzelner Schreibtisch stand verloren wie das beim Schulausflug absichtlich zurückgelassene Problemkind in der Mitte. Hohe Regale schmückten die Wände des Raumes anstelle von Tapeten, überfüllt mit allerlei wertlosen Schnickschnack. Der Innenarchitekt schien ein Faible für Kontraste zu haben.
»Entschlüsselung abgeschlossen. Hab ich schon mal erwähnt, dass ich Smarthomes liebe? Besonders, wenn die Leute ihre Tresore da mit dran hängen?«
Ein Klicken lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf den Tresor. Moonfox grinste. Das war immer das Beste an ihrem Job: die Beute in Empfang nehmen. Worum es sich wohl diesmal handeln würde? Ihr Kunde hatte in diese Richtung keine genauen Angaben gemacht, nur, dass es nicht schwer zu tragen sein würde. Vermutlich wieder so ein langweiliger Mikrochip. Oder doch ein juwelenbesetztes Familienerbstück?
So schwungvoll wie bei einer dicken Stahltür nur möglich, riss Moonfox den Tresor auf. Ihre Vorfreude erlosch augenblicklich.
»Hawks ... siehst du das?«
»In deinem Nachtsichtgerät befindet sich eine MINI-Pixel 4200NT mit 4K2K-Auflösung. Natürlich sehe ich das!« Seine Stimme troff vor Sarkasmus.
»So was haben selbst meine Großeltern nicht mehr benutzen müssen ...« Vorsichtig nahm sie den vergilbten Klumpen eines Buches in die behandschuhten Hände. Die Seiten lösten sich bereits vom Einband und wurden behelfsmäßig mit zwei Schnüren in einer annähernd rechteckigen Form gehalten.
»Deine verdrehte Vorstellung von Geschichte bringt mich jedes Mal an den Rand der Tränen.«
Moonfox schnaubte empört. »Und du wunderst dich, wieso ich dir die kalte Schulter zeige.«
Ein gequetschtes Geräusch erklang, ganz als versuche Shadowhawk, eine bissige Antwort hinunterzuschlucken. »Wie auch immer, steck's ein und dann Abflug. Der Kunde bezahlt schließlich dafür.«
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Das Nutzlose Büchlein - Ein Buch reist um die Welt und durch die Zeit ✔️
De Todo[Anthologie] Tauche ein in die geheimnisvolle Welt dieses abgegriffenen, nutzlosen Büchleins, das die Jahrhunderte durchreist. Seine Reise beginnt 1953 in der Nähe der geheimnisumwitterten Area 51 und führt es durch tausend Hände, Zeiten und Schicks...