2020 | Scherben des Glücks

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Finn verließ das Flugzeug als einer der Ersten, ein Vorteil, wenn man Businessclass reiste. Er hatte den Entschluss dazu nicht gefasst, um den Luxus der breiteren, bequemeren Sitze, die höhere Aufmerksamkeit der Crew oder das bessere Essen genießen zu können. Das alles war ihm vollkommen egal gewesen.

Aber er hätte es nicht ertragen, den vierstündigen Flug inmitten von fröhlichen Menschen zu verbringen, die sich auf den Urlaub freuten.

Fröhlichkeit und Freude waren Fremdwörter für ihn geworden, seit ...

Er schüttelte den Kopf, um die Gedanken loszuwerden, aber auch um die Tränen daran zu hindern, seine Augen zu verlassen.

Nach der Landung lief er zur Gepäckausgabe. Seine Reisetasche kam schnell über das Förderband bei ihm an, ohne einen Blick nach links oder rechts zu werfen, verließ er das Flughafengebäude. Den Weg zum Schalter der Autovermietung kannte er gut, schon oft war er ihn gegangen, bevor ...

Der Angestellte begrüßte ihn freundlich, beinahe etwas untertänig, er war ein guter Kunde, hatte schon viele Fahrzeuge hier gemietet. Allerdings stets teurere Modelle als den kleinen Seat, für den er sich dieses Mal entschieden hatte.

Der Spanier brachte ihn zu den Fahrzeugen im Parkhaus, wollte die wichtigsten Funktionen des Wagens erklären, doch Finn drückte ihm wortlos einen Schein in die Hand, nahm den Schlüssel und fuhr los.

Er versuchte, die großen Schriftzüge, die überall an den Gebäuden prangten und den Namen des Flughafens verkündeten, nicht anzusehen, doch es gelang nicht ganz. »Reina Sophia« – wie hatten sie gelacht, als sie das zum ersten Mal gelesen hatten.

Nun konnte er die Tränen nicht mehr länger zurückhalten. Er wischte und wischte, bis seine Augen wund waren und brannten, doch er blieb halb blind. Notgedrungen fuhr er an der nächsten Ausfahrt von der Autobahn, versuchte den Weg ans Meer zu finden, ohne einen anderen Verkehrsteilnehmer zu gefährden.

Schließlich hatte er einen Strandabschnitt erreicht, einen ganz bestimmten, einen der Erinnerungen weckte an eine Zeit, als das Leben noch vor ihm lag.

Er verließ das Fahrzeug, wankte die paar Schritte bis zum Wasser, fiel in den weichen Sand, fühlte den Schmerz, der sein Herz abdrückte, ihm die Luft zum Atmen nahm.

Dankbar nahm er ihn an. Deshalb war er hierhergekommen.

Der leichte Wind, der die Wellen ein wenig tanzen ließ und die Schwüle aus der Luft nahm, wehte ihm die Haare, die lang geworden waren, ins Gesicht. Die Sonne, die schon tief stand, blendete kaum. Der Vollmond zeigte sich schon blass am Himmel.

»Siehst du! Es stimmt gar nicht, dass sich Sonne und Mond nie treffen!«, hörte er in seinem Kopf ihre Stimme.

»Deshalb haben wir uns ja auch getroffen!«, hatte er geantwortet und sie geküsst. »Die strahlende Sonne und der blasse Mond.«

Ihre dunkelblauen Augen hatten ihn ernst angesehen. »Du bist kein blasser Mond! Du bist der hellste Stern an meinem Himmel!«, hatte sie geflüstert und ihm zum sicher zwanzigsten Mal diese widerspenstige Strähne aus dem Gesicht gestrichen.

Nun, wieder hier an diesem Strand, konnte er nicht mehr anders, er musste brüllen, sich den Schmerz von der Seele brüllen. »Sophia!«, schrie er immer und immer wieder. »Sophia!«

Er hatte es gewusst, dass es ihn wahrscheinlich umbringen würde, hierher zurückzukommen.

Auf Teneriffa, die Insel, auf der sie so glücklich gewesen waren.

Wo er ihr zum ersten Mal das Meer hatte zeigen können, die Lavafelder um den Teide, die verwunschenen Lorbeerwälder. »Märchenwald!«, hatte sie den schönsten genannt.

Das Nutzlose Büchlein - Ein Buch reist um die Welt und durch die Zeit ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt