Der Bus hielt mit einem Quietschen. Die Tür schob sich zur Seite und Maxi stieg als Einziger aus. Kein Wunder, bis auf eine ältere Dame, die jedes Mal zwei Haltestellen später ausstieg, war der Bus auch komplett leer gewesen. So wie jeden Donnerstagabend, nachdem er vom Training den Bus nach Hause nahm. Draußen empfing ihn die kalte Winterluft und sein Atem wurde vor ihm als kleine Wolke sichtbar. Ohne zu zögern, lief Maxi los. Schon jetzt dämmerte es und er wollte nicht erst im Dunkeln bei sich zu Hause ankommen. Viele Menschen waren nicht mehr unterwegs. Sie saßen wahrscheinlich gemütlich in ihrem Wohnzimmer, aßen Plätzchen und sahen sich einen Weihnachtsfilm an. So wie es in dieser Zeit in vielen Familien üblich war.
An der Kreuzung hatte er diesmal Glück gehabt. Gerade als er ankam, schaltete die Ampel auf Grün. Mit einem Schwung warf er den Sportbeutel über die Schultern und vergrub seine Hände in den Jackentaschen. Dann lief er weiter. In der Ferne durchbrach eine Sirene die Stille. In der letzten Zeit gab es immer wieder kleinere Überfälle, weswegen seine Eltern jedes Mal besorgt waren, wenn er etwas später nach Hause kam. Doch bisher ist nie etwas passiert und so blendete Maxi die nervtötenden Geräusche der Sirene einfach aus. Mit seinen Gedanken noch ganz bei der heutigen Trainingsstunde bemerkte er nicht, dass er schon an der alten Bäckerei angekommen war. Ab jetzt war es nicht mehr weit. Nur noch rechts um die Ecke, die Straße runter und er konnte endlich seinen warmen Heidelbeertee trinken, auf den er sich schon den ganzen Tag freute.
Maxi beschleunigte seine Schritte. Dann ging alles ganz schnell. Er bog gerade um die Ecke, da stieß er mit jemandem zusammen. Vor Schreck schrie Maxi auf. Graue, kalte Augen starrten ihm entgegen. Der Rest des Gesichts war mit schwarzem Stoff bedeckt. Der eigenartige Geruch des Fremden nach Rauch und Schweiß konnte Maxi auf diese Distanz gut riechen. Im Hintergrund hörte er aufgebrachte Stimmen, Sirenen und Fußgetrappel. Doch das war nicht wichtig. Im nächsten Moment hielt Maxi etwas Schweres in den Händen. Sein Gegenüber schubste ihn aus dem Weg. Maxi schlug mit dem Rücken gegen die Hauswand eines alten Backsteingebäudes. Dann war die vermummte Gestalt fort.
Völlig außer Atem ließ Maxi sich zu Boden gleiten. Sein Herz pochte wie wild in der Brust. Er brauchte ein paar Sekunden, um sich wieder zu fangen. Schon hörte er Schritte. Sie kamen näher, klangen hektisch. Maxi machte sich ganz klein. Die Angst ließ ihn erstarren. Aber es waren nur zwei Polizisten, die die Jagd auf den Maskierten begannen. Er selbst blieb unentdeckt. Erst nach ein paar Minuten rührte er sich wieder. Er hatte sich so weit beruhigt und stand nun langsam auf. Jetzt fiel sein Blick auf den Gegenstand, den der Dieb ihm in die Hand gedrückt hatte. Es war ein Buch. Verdutzt betrachtete Maxi es. Warum sollte man ein Buch klauen? Und besonders so eines? Es sah wirklich nicht außergewöhnlich aus.
Ein kleines, dickes, in abgewetztes Leder gebundenes Buch. Nichts Besonderes. Doch wenn der Dieb es bei sich hatte, musste es wichtig sein. So wichtig, dass er damit nicht erwischt werden wollte. Maxi überlegte. Sollte er es mitnehmen? Liegen lassen? Der Polizei geben? Am Ende jedoch siegte die Neugier und Maxi beschloss, es erst einmal einzupacken und es später genauer zu betrachten. Das Buch konnte er auch wann anders abgeben. Jetzt wollte er nur noch nach Hause. Mit immer noch zitternden Händen stopfte er das kleine Buch in seinen Sportbeutel, bevor er sich eilig auf den Weg machte. Ein paar Minuten später hatte er sein Haus endlich erreicht. Der Fahrstuhl war immer noch außer Betrieb, schon seit zwei Wochen. Deshalb musste er die Treppen benutzen.
Maxi nahm immer zwei Stufen auf einmal. So kam er ziemlich außer Atem im vierten Stock an. Er freute sich auf das hoffentlich schon fertige Abendessen und beeilte sich, den Schlüssel aus seiner Jackentasche hervorzukramen. Erst als er die leere Wohnung betrat, fiel ihm ein, dass seine Eltern mit seiner kleinen Schwester bei ihren Großeltern zum Geburtstag waren. Maxi seufzte. Dann würde es heute wohl wieder nur Tütensuppe geben. Doch so hatte er genug Zeit, sich das Buch in Ruhe anzuschauen, das seit wenigen Minuten ununterbrochen in seinen Gedanken herumgeisterte.
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Das Nutzlose Büchlein - Ein Buch reist um die Welt und durch die Zeit ✔️
De Todo[Anthologie] Tauche ein in die geheimnisvolle Welt dieses abgegriffenen, nutzlosen Büchleins, das die Jahrhunderte durchreist. Seine Reise beginnt 1953 in der Nähe der geheimnisumwitterten Area 51 und führt es durch tausend Hände, Zeiten und Schicks...