2018 | Funken der Hoffnung

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Das Leben ist nicht immer einfach, das musste die 16-jährige Liara schon früh lernen. Mit gerade einmal sieben Jahren musste sie aufgrund der Arbeit ihres Vaters das erste Mal umziehen, weg von ihren Freunden und ihrer gewohnten Umgebung. Nur ein Jahr später, nachdem sie sich endlich an ihr neues Zuhause gewöhnt hatte, war der nächste Umzug. Und so ging es immer weiter, kaum war sie irgendwo angekommen und hatte es geschafft, Freunde zu finden, zogen sie wieder an einen anderen Ort. Es war schwer, für sie etwas Beständigkeit in ihrem Leben zu empfinden, weil jeder noch so kleine Hoffnungsschimmer auf ein normales Leben mit einem erneuten Umzug zerstört wurde. Und so kam es, dass sie irgendwann nicht einmal mehr versuchte Freunde zu finden oder einem neuen Hobby nachzugehen. Sie begann ihre Freizeit nur noch in ihrem Zimmer zu verbringen, schloss sich ein und lass Bücher über alle möglichen Themen. Das sorgte jedoch auch dafür, dass sie bei den anderen nicht besonders beliebt war.

Mittlerweile wohnte sie nun seit zwei Jahren in Bayern und dennoch galt sie als Außenseiterin, als der Eindringling, der mitten im Schuljahr in die Klasse kam, um alles zu zerstören. Sie war das schon gewohnt, in ihren alten Klassen war es nicht anders gewesen, immer wurde sie als die sonderbare Einzelgängerin gesehen und nie hatte es sie gestört. Doch jetzt war etwas anders, ihre Mitschüler zeigten ihr auch, dass sie nicht willkommen war und einer von ihnen nicht nur mit Worten.

Tobias, ein 1,80 Meter großer einschüchternder Junge aus ihrer Klasse. Mit seinen blonden kurz geschorenen Haaren wirkte er noch bedrohlicher und für sie war er auch genau das: eine riesengroße Bedrohung. Mehr als einmal hatte er sie inzwischen schon körperlich verletzt und mindestens genauso oft den Tod angedroht. Er sorgte dafür, dass sie sich nicht mehr sicher fühlte, in der Schule achtete sie immer genau darauf, wer hinter oder vor ihr war und wenn sie nach Hause lief, schaute sie sich immer panisch um. Sie konnte nicht mehr im Dunkeln schlafen und auch ihre beängstigenden Albträume sorgten dafür, dass sie psychisch ziemlich am Ende war.

Heute war wieder einer dieser Tage, an denen sie von ihm komplett fertiggemacht wurde. Sein Mobbing wurde immer schlimmer und heute hatte er es das erste Mal so weit getrieben, dass sie ernsthaft Angst um ihr Leben hatte.

Sie kam von der Schule heim und legte sich erst einmal in ihr Bett, dort schluchzte sie und weinte sich alle Sorgen vom Leib. Ja am Anfang hatte es noch geholfen, sie hatte geweint, ihren Sorgen freien Lauf gelassen und dann war die Welt wieder in Ordnung. Doch dies war nun schon ein gutes Jahr her, mittlerweile half auch das nichts mehr und heute weinte sie nicht nur wegen ihrer kaputten Seele, sondern auch weil ihre Finger wahnsinnig schmerzten.

Sie ging ins Bad und wusch sich die Hände, das Wasser färbte sich von Rot in Rosa und wurde langsam wieder klar. Ihre Finger betrachtend schluchzte sie wieder, warum war die Welt nur so grausam, warum tat er ihr all das Leid an. Sie ging zum Erste Hilfe Schrank und kramte zwei Pflaster heraus. Umständlich klebte sie sich diese auf ihre geschundenen Finger und begutachtete ihr Werk kritisch. Sie hätte nie gedacht, dass Tobias zu so etwas imstande war, natürlich war ihr klar, dass er gewalttätig war und auch, dass er ihr schon oft den ein oder anderen blauen Fleck beschert hatte, aber dass er sie mit einem Messer verletzten würde, hatte sie nicht erwartet. Er hatte zwar schon oft mit dem Messer vor ihrer Nase herumgespielt, weil er das Gefühl genoss, ihr Angst einzujagen und eine gewisse Macht über sie zu haben, doch dass er es heute benutzt hatte, kam völlig überraschend. Er schnitt ihr zweimal tief über ihre Finger und zuckte dabei nicht einmal mit der Wimper. Sie hatte es mit Würde ertragen, sie würde niemals weinen, nicht wenn er hinsah, diese Genugtuung würde er nie bekommen. Doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass ihre Selbstachtung nicht mehr lang standhalten würde, nicht wenn er sie weiterhin derart verletzte.

Jeden Tag aufs Neue überlegte sie, die Schule zu wechseln, aus Angst er würde sich noch etwas viel Schlimmeres einfallen lassen. Nur wie sollte sie ihren Eltern erklären, dass sie die Schule wechseln möchte, wo sie doch dachten, dass die Schule die beste für Liara war und ihr Vater es endlich geschafft hatte, die richtige Arbeit zu finden. Nein das wäre nicht fair, sie könnte nicht mit dem Wissen leben das Glück ihrer Eltern zerstört zu haben.

Das Nutzlose Büchlein - Ein Buch reist um die Welt und durch die Zeit ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt