2150 | Der Zweitkörper

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Remi fühlte, dass etwas nicht in Ordnung war.

Was bei anderen Menschen ein Symptom beginnender Paranoia sein mochte, war in seinem Fall ein Anzeichen von Berufskompetenz im Endstadium. Als professioneller Gauner, Schmuggler und Kopfgeldjäger musste er immer wachsam und jederzeit fluchtbereit sein. Die Agenten des Galaktischen Sicherheitskorps hatten ihre Spione überall und Tris (das durchgeknallte Alfa-Lundi-Miststück) war vermutlich auch noch immer hinter ihm her.

Vorsichtig spähte Remi hinter einem mannshohen Ständer mit intergalaktischen Holo-Grußkarten hervor. Eine langbeinige Angorianerin in einem neongrünen Einteiler, mit verdrecktem Fell und blutrot unterlaufenen Augen lungerte vor den Lebenszeit-Automaten im hinteren Teil des Tankstellen-Ladens herum. Vermutlich wollte sie sich durch Prostitution ein paar Sekunden Extra-Lebenszeit verdienen.

Remis Blick wanderte zum Eingang des Ladens. Durch mehrere milchig angelaufene Scheiben konnte er auf die Flugplattform der Raumstation hinaussehen, die von weißen Chemolaternen nur unzureichend erhellt wurde und deren Tore zum Weltall hin von einem wabernden Kraftfeld verschlossen wurden. Nur eine Handvoll Landeplätze waren belegt. Bei den meisten Schiffen handelte es sich um private Shuttles oder um kleine, zivile Frachter, aber dazwischen stand auch ein gepanzertes Bergungsschiff. Ein älteres Exemplar. Eines von der Sorte, das über verdächtig viel Stauraum im Boden verfügte und vermutlich von Schmugglern dazu benutzt wurde, um SALZ in die Separatistengebiete zu befördern.

Remi schürzte missbilligend die Lippen. Er hatte sich schon vor Jahren aus dem SALZ-Schmuggel zurückgezogen. Nach der Großen Separation und seit der Gran Keisar verkündet hatte, dass seine Venatori (bekanntermaßen Ankläger, Richter und Henker in Personalunion) das Sicherheitskorps verstärken würden, war ihm die Angelegenheit zu heikel geworden. Wer sich mit den Handlangern des Gran Keisar anlegte, war entweder dumm wie eine deidalische Dörrpflaume oder vollkommen verzweifelt. Und Remi war nichts von beidem.

Als hätte er es mit seinen Gedanken heraufbeschworen (und Remi war abergläubisch genug, um zu denken, dass so etwas prinzipiell möglich wäre), öffneten sich in diesem Moment die Automatiktüren des Tankstellen-Ladens und die Crew des Bergungsschiffs drängte herein. Zu Tarnungszwecken hatten sich die Männer alte, gebraucht aussehende Arbeiterkleidung besorgt, doch Remi konnten sie nichts vormachen. Immerhin hatte er diese Nummer selbst schon ein paar Mal (und ziemlich erfolgreich, wie er fand) durchgezogen.

Deshalb wusste er auch bereits beim Anblick der Männer, dass es Ärger geben würde. Wer soeben das halbe Universum durchquert hatte – in gebrauchten Klamotten, mit einem höchstwahrscheinlich gestohlenen Schiff, auf der Flucht vor den Venatori und mit ein paar hundert Kilo hochgefährlichem Roh-SALZ im Gepäck – war so vollgepumpt mit Adrenalin (und anderen Substanzen), dass jeder Funke zu einer Explosion führen konnte. Und wenn das geschah, wollte Remi nicht in der Nähe sein.

Während die Schmuggler in den Laden einfielen, kurz und wenig erfolgreich mit einem Werbehologramm boxten und sich auf die Regale mit den Snacks stürzten, zog Remi den Kopf ein und huschte zwischen zwei Regalreihen mit Werkzeugen und Ersatzteilen hindurch zur Kasse. Dort erwartete ihn ein schlaksiger Angestellter mit fettigen Haaren, einem massiven Akne-Problem und einem labberigen Shirt, das ein Siebdruck-Porträt von Arren Cosma (der verhassten Separatistenführerin) zierte.

Exzentrisch, dachte Remi und knallte dem jungen Mann eine Packung gesalzene Yoomi-Maden auf den Tresen.

Quälend langsam tippte der Tankstellen-Angestellte den zu bezahlenden Betrag in seine altmodische Rechenmaschine. Dabei zuckte sein Blick immer wieder nervös zu den Neuankömmlingen, die den vorderen Teil des Ladens zerlegten.

Als der junge Mann endlich das erwartete Zeichen gab, wischte Remi mit der Tätowierung an seinem Handgelenk über die in den Tisch eingelassene Scan-Oberfläche. Ein hohes Piepsgeräusch ertönte, gefolgt vom Rattern der Rechenmaschine, was eine erfolgreiche Abbuchung signalisierte – allerdings nicht von Remis Konto. Er hatte die Tätowierung irgendeinem Angestellten des Galaktischen Großreichs aus dem Arm geschnitten und sich selbst angenäht. Eine gute Arbeit (jedenfalls, wenn man nicht so genau hinsah).

Das Nutzlose Büchlein - Ein Buch reist um die Welt und durch die Zeit ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt