2. Geschenk

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Ein paar Stunden später stand ich schon mit verschränkten Armen vor dem riesigen Weihnachtsbaum, der unser Wohnzimmer ausschmückte.
Zu meinen Seiten standen einige von Vaters Kollegen aus der Mafia, die ich aber nicht kannte.
Er selbst stand weiter rechts und starrte, wie wir alle, die Geschenke unter dem massiven Baum an. Er würdigte mich nicht eines Blickes... genau, wie meine Mutter.
Sie saß nur still auf der Chouch neben uns und musterte den beleuchteten Weihnachtsbaum.

"Lasst die Bescherung beginnen!" eröffnete mein Vater ziemlich prompt den Abend und die Männer neben mir stürmten als erste vor.
Ich sah ihnen einfach zu, wie sie zwei Geschenke unter dem Baum hervorfischten und meinem Vater übergaben.
Sich bei der rechten Hand des Bosses einzuschleimen war anscheinend Standard.

Währenddessen hielt meine Mutter mir ein Päckchen hin, das sie aus ihrer Tasche gefischt hatte und meinte "Wenn du das ausgepackt hast, geh nachhause. Du bist kein Kind mehr, du kannst auch alleine sein."
Ihre Stimme schien so kalt und monoton, dass ich manchmal vergaß, dass ich tatsächlich ihr Sohn war...
Aber trotzdem nahm ich das Geschenk an und setzte mich an die andere Seite der Chouch, bevor ich begann, es auszupacken.
Wie sich herausstellte, war in dem Päckchen ein neues Handy... als hätte ich nicht schon genug neue Handys bekommen...
Aber da war noch etwas.
Unter der kleinen Schachtel mit dem Handy lag etwas in der Polsterung darum herum.
Ich zog es heraus.
Es waren zwei Kinokarten.
Tickets für einen Film... ich kannte ihn nicht.
Den Namen hatte ich noch nie gehört.

Da bemerkte ich die zwei Namen, die auf den Karten standen.
Die Namen meiner Eltern. Allessandro und Morana White.
Die Karten waren nicht für mich... sie waren im falschen Packet gelandet...
Ich sah von den Tickets auf, ob es vielleicht jemand bemerkt hatte.
Aber niemand beachtete mich wirklich.
Mein Vater telefonierte, meine Mutter redete mit seinen Kollegen und packte ihre Geschenke aus.
Als mein Vater mit seinem Handy aus dem Raum ging und somit aus meinem Sichtfeld verschwand, faltete ich die Karten zusammen und steckte sie in meine Hosentasche.
Bevor ich jedoch nachhause gehen würde, wollte ich noch mein Geschenk auspacken.
Ich wollte... dass es sich wenigstens so anfühlte, als würde ich meinen Eltern doch noch etwas bedeuten...
So wie jedes Jahr. Ich konnte es nicht lassen, auch wenn ich das ganze Zeug gar nicht brauchte.
Ich brauchte kein neues Handy... kein Motorrad, kein neues Luxusauto...
Ich hätte meine Eltern gebraucht.
Irgendjemanden, der mich liebte. Der mir statt einem Motorrad einen Kuss auf die Wange schenkte.
Aber so etwas gab es für mich nicht.

Seufzend packte ich also das brandneue Handy aus der Schachtel aus und musterte es.
Ich wusste gleich, dass ich es nicht behalten würde. Ich würde es denen geben, die es brauchten, denen, die keines hatten.
So wie ich es mit all den Handys getan hatte, die ich geschenkt bekam.
Und das waren verdammt viele.

Also steckte ich es ebenfalls in meine Jackentasche und stellte die Box in dem zerrissenen Geschenkspapier auf den niedrigen Tisch, direkt neben der Chouch, auf der ich saß.
Ich sah mich still um und merkte, dass mein Vater immer noch nicht zurück war.
Auch meine Mutter hatte das bemerkt und ließ die beiden Mafiosos alleine neben mir auf der Chouch sitzen. Sie stand auf und meinte, dass sie gleich wieder zurück kommen würde.
Den beiden Männern war das nur mehr als recht und sie vertieften sich in ein Gespräch, von dem ich nicht einmal jedes dritte Wort verstand.
Jedoch hielt dieses Gespräch nicht sehr lange an.

Der laute, schrille Schrei meiner Mutter riss sie aus ihrem Redefluss und mich aus den Socken.
Warum auch immer sie so schrie, es war etwas Erschreckendes passiert.
Ich und die beiden Mafiosos sprangen gleichzeitig auf und rannten aus dem Wohnzimmer.
Meine Mutter stand still im Vorraum und starrte in die Küche des Hauses, aus der schwaches Licht in den dunklen Gang strahlte.
Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihre Brust hob und senkte sich ungesund schnell.
Was sie dort anstarrte, wusste ich jetzt noch nicht... aber ich konnte es mir denken.

Ich überholte die zwei Mafiosos, die mir gerade noch voraus waren und kam schlitternd neben meiner Mutter zum Halten.
Und vor mir... in der Küche... dort gab sich mir ein grausiges... aber auch schönes Bild.

Es war mein Vater.
Er lag reglos auf dem Boden.
Unter ihm breitete sich eine stinkende Blutlarche aus.
Seine Augen waren weit aufgerissen, sein Mund zu einem stillen Schrei verzogen. Ich erkannte immer noch den Schock in seinem Gesicht.
Seine Brust war von etwas Scharfem zerstochen worden. Zerrissen... ohne rücksicht zerfetzt.
Aber da bemerkte ich noch etwas...
Ich drängte mich an meiner Mutter vorbei, in den Raum und bestätigte, was mir meine Augen einredeten.
Dort war eine weiße Rose zwischen den offen liegenden Rippenknochen meines toten Vaters eingefädelt.
Ihre Blüten waren mit Blutstropfen bespränkelt und ihre Dornen krallten sich in das Fleisch des regungslosen Körpers.

Und da... durchfuhr mich ein plötzlicher Schauder von... Angst.
Die Erinnerung an Simons Erzählung kämpfte sich in meinen Kopf zurück.
Eine weiße Rose... keine hinterlassenen Spuren, keine Geräusche...
Einstichwunden...

Ich musterte den leeren Ausdruck in den Augen meines Vaters.
Er hatte als rechte Hand der Mafia eine gute Ausbildung zur Selbstverteidigung... gute Kampfkünste.
Und dieser jemand hatte ihn... innerhalb weniger Minuten getötet.
Ohne ein Geräusch.
Ohne jegliche Spur.

Aber, was mich nicht an seinem Namen zweifeln ließ, war die weiße Rose auf der Brust meines Vaters.
'Der weiße Sensenmann war hier', wie Simon jetzt sagen würde.

Das war sein Werk.

𝑫𝒆𝒂𝒅𝒍𝒚 𝒂𝒇𝒇𝒆𝒄𝒕𝒊𝒐𝒏Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt