10. schiefgegangen

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- 2 𝑻𝒂𝒈𝒆 𝒔𝒑𝒂̈𝒕𝒆𝒓:

Bald war es schon die dritte Nacht, die ich hier verbrachte.
Und irgendwie störte mich das auch gar nicht.
Obwohl es hier auch manchmal etwas langweilig werden konnte... Athan war sehr still und mir war aufgefallen, dass er viel rauchte.
Jedes Mal, wenn er von einem seiner... Aufträge zurück kam... da gab es Momente, die mir Sorgen machten. Momente, die mir zu verstehen gaben, dass in Athans Kopf ganz andere Dinge vorgingen, als in meinem.
Oder... dem eines normalen Menschen.
Momente, die mir auch verrieten, warum in seinem Haus überall leere und volle Tablettenschachteln lagen.

Und jetzt gerade... war ich mit meinem Spaziergang durch das Erdgeschoss der Villa fertig und fand mich in einem großen Schlafzimmer wieder.
Ein Doppelbett stand an der Wand... die Decken waren ganz durcheinander und lagen auf den Betten, als wäre jemand gerade daraus aufgestanden.
Aber dem war nicht so.
Dies war das einzige Zimmer, in dem der Strom nicht ging... das Fenster gegenüber der Tür war chaotisch mit Panzertape zugeklebt... die Wände schienen alt und die Tapete bröckelte schon ab.
Und da fiel mir auf... dass die Lade von einem der beiden Nachtkästchen offen stand.
Auch, wenn mein Bauchgefühl mir sagte, ich sollte es nicht tun... meine Neugier siegte und ich griff hinein.
Meine Finger strichen über staubige, alte Taschentuchpackungen, einen verrosteten Schlüsselanhänger und... etwas Glattes...
Verwirrt fühlte ich genauer und stellte fest, dass es ein Foto sein musste.
Ich holte es aus der Schublade und musterte es.
Das erste, was mir auffiel, war die beschädigte Oberfläche des Bildes.
Die Ränder waren schon von der Zeit und der Feuchtigkeit angetan und das Foto war etwas eingerissen.
Trotzdem war darauf eine bildhübsche Frau zu sehen.
Sie hatte eisblaue Augen, genau wie ich... und ihre langen, welligen Haare schimmerten in einem hellen Rot. Sie sah überrascht in die Kamera und trug ein dunkelrotes Kleid. Der verschwommene Hintergrund verriet mir, dass das Foto vielleicht auf einem Fest entstanden war.
Und... diese Frau hatte eine verblüffende Ähnlichkeit zu... wie hieß sie noch gleich? Die Frau, die mich hier her gebracht hatte... mit den dunkelroten Haaren.
Achja. Eila.
Sie sahen sich sehr ähnlich...

Da hörte ich plötzlich etwas.
Athan kam nachhause.
Ich nahm das Foto mit und verließ den Raum.
Mittlerweile kannte ich mich besser aus, als ich gerade erst angekommen war. Zwar nur im Erdgeschoss, aber ich steigerte mich.
"Athan?! Bist du das?!" rief ich durch die riesige Vorhalle der Villa und rannte zur Haustür, die sich gerade öffnete.
Athan kam herein und schloss sie hinter sich wieder.
Er winkte mir zu, als ich bei ihm war, und sah mich still an. Bis er merkte, dass ich das Foto in der Hand hatte.
"Was hast du da?" fragte er und ich zeigte ihm das Bild.
"Ich hab es in einem alten Zimmer gefunden. Mir war langweilig und-..." "Gib es her."
Auf den Ton seiner Stimme zuckte ich überrascht zurück und sah ihn verwirrt an.
Er hielt seinen Kopf gesenkt, seine Haare verbargen seinen Blick.
Aber seine geballte Faust, von der stätig Blut auf den Boden tropfte, ließ mich daran zweifeln, dass ich ihm das Foto hätte zeigen sollen.
"Gib mir das Foto, Micah."

Ohne mich auch nur reagieren zu lassen, schnappte er mir das Foto aus der Hand und sah es sich an.
Seine Hand begann, zu zittern und er drehte schwer atmend den Kopf weg.
"Athan...? Was ist los?" fragte ich vorsichtig und sah zu, wie er sich seine langen Haare aus dem Gesicht strich.
"Nichts... tut mir leid, ich... ich wollte dich nicht anfahren." murmelte er, seine Stimme plötzlich von Reue leise.
So war ich ihn wirklich nicht gewohnt.
"Alles in Ordnung, Athan. Komm erstmal in die Küche... ich kann uns gern was zum Abendessen kochen. Mir ist aufgefallen... dass du wenig isst. Und gar nicht erst kochst..." meinte ich, möglichst ruhig, und merkte, dass er das Foto in seine Hosentasche steckte.
Ich ging ihm schonmal voraus und drehte mich nach ihm um, als er mir noch etwas sagte.
"Micah. Du wirst das alte Zimmer niewieder ohne meine Erlaubnis betreten. Verstanden?"

.
Bald danach hatte ich für uns ein paar Toasts gemacht. Athan hatte nicht viel zu essen zuhause und ich sagte ihm bereits, dass er einkaufen sollte... mich würde er wahrscheinlich nicht aus dem Haus lassen. Oder Eila würde mich umbringen, würde sie so etwas mitbekommen.

Jetzt, eine Zeit nach dem Abendessen, war ich Athan jedoch heimlich in den Garten der weißen Rosen neben seiner Villa gefolgt.
Ich hatte ihm vorher schon zugesehen, wie er ein paar Tabletten genommen hatte. Für mich sah es aus, als wären es etwas zu viele, aber ich konnte nichts sagen.
Ich hatte keine Ahnung davon...
Also war ich ihm gefolgt.
Nun stand er mit einer Gießkanne in der Hand zwischen den Rosen und goss die schimmernden Blumen mit einer Vorsicht, die mich staunen ließ.
Er hatte sich auch eine Zigarette angezündet, mit der er seine Runden im Rosengarten abging und sich um jede  einzelne Rose kümmerte.
Ihn rauchen zu sehen, das wollte ich nicht... aber trotzdem musste ich zugeben, dass er mich faszinierte.
Trotz all der Dinge, die er tat und dem Symbol, für das die weißen Rosen standen, die er so liebevoll umsorgte, zeigte er eine Seite, die gar nicht zum Gesicht eines Mörders passte.
Aber er war nun mal einer.

Seufzend lehnte ich mich gegen den Rahmen der Schiebetür, durch die ich hinaus sah, und musterte Athan weiter.
Da blieb er stehen und drückte seine Zigarette am Verband an seiner Hand aus.
Er hörte auf, die Rosen zu gießen und legte seine Hand an seinen Bauch.
Verwirrt spähte ich genauer hin und erkannte durch das schwache Mondlicht, dass er aussah, als hätte er Schmerzen.
Unsicher öffnete ich die gläserne Schiebetür und rief ihm zu "Athan! Alles in Ordnung?!"

Darauf sah er mich taumelnd an und ich erkannte den Schmerz und die Müdigkeit in seinen Augen.
Und da wusste ich, dass irgend etwas schiefgegangen war... 

𝑫𝒆𝒂𝒅𝒍𝒚 𝒂𝒇𝒇𝒆𝒄𝒕𝒊𝒐𝒏Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt