17. Erzählungen

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-2 𝑾𝒐𝒄𝒉𝒆𝒏 𝒔𝒑𝒂̈𝒕𝒆𝒓:

Nun war mein offizieller Umzug schon eine Zeit lang her und ich hatte mich hier eingelebt.
Ich wusste, dass ich auch in die Stadt gehen könnte und es mir frei stand, Simon zu besuchen.
Aber noch hatte ich keinen Grund, von hier weg zu gehen.
Wenn es auch nur für einen Tag wäre.
Ich blieb lieber hier und wartete jede Nacht darauf, dass Athan von einem seiner Aufträge zurück kam.

Oder darauf, dass Eila uns besuchte und mit uns kochte.
Da Athan nicht kochen konnte und es freiwillig auch nicht tun würde, brachte sie es mir bei.
Ich hatte ihr einmal versprochen, mich um Athan zu kümmern und das würde ich auch tun.
Egal, in welcher Hinsicht.
Ob ich für ihn kochte...
Ihn... wie vor ein paar Tagen erst... aus einer Panickattacke holte oder ihm mit seinen Tabletten hinterher rannte, bis er sie endlich schluckte.
Egal wie... ich würde mein Versprechen halten.
Auch, indem ich ihm zuhörte.
So, wie jetzt.

.
"Du willst mir also von deinen Eltern erzählen?" wiederholte ich seinen Vorschlag überrascht und ließ beinahe sein langes, gebogenes Messer fallen, das er mir zur Reinigung gegeben hatte.
Man gewöhnte sich an einiges...

Athan nickte still und spielte mit der weißen Rose, die auf seinem Schoß lag.
"Es... fühlt sich richtig an, es dir zu erzählen." "Ich werd es Eila auch nicht weitersagen, wenn du das nicht willst." meinte ich und kam mit einem weichen Handtuch und dem Messer zu ihm.
Er lehnte sich auf der Chouch zurück und deutete auf seinen Schoß, bevor ich mich darauf setzte.
Ja... in diesen zwei Wochen hatte sich zwischen uns einiges verändert. Athan und ich, wir... hatten uns einander genähert.
Und ich überlegte schon eine Weile, ihm zu sagen... dass ich ihn liebte.

"Ich mach es kurz... ich rede nicht gerne darüber." murmelte Athan und ich nickte, während ich mit dem Handtuch sanft über die nasse Klinge des Messers fuhr.
Ich kuschelte mich an seine Brust und musterte die Rose, die er in seiner Hand hielt.
Dann begann er, zu erzählen.
"Mein Vater war zu meiner Kindheit ein verwirrter und verlorener Mann... er hat viel getrunken und war sehr aggressiv, auch im nüchternen Zustand. Er hat meine Mutter oft geschlagen und vergewaltigt... und das Ergebnis davon war ich... sie... waren nicht verheiratet... und Lane, mein Vater, ist gestorben, als ich zehn war."
Da hielt er kurz inne und ich sah ihn warm an.
Lächelnd drückte ich ihm das Messer in die Hand und nahm die Rose in meine eigene.
Ich musterte ihre schimmernden, weißen Blütenblätter und strich vorsichtig über die dicken Dornen an ihrem Stängel.
Athan legte seine Hand sanft auf meine und erzählte weiter
"Meine Mutter hieß Lillith und sie war ein Albino. Sie ist der Grund für meine weiß-roten Augen... wegen ihr... kann ich auch die Sterne nicht sehen. Aber das nehme ich ihr nicht übel-..." "Warte... du kannst die Sterne nicht sehen?" fragte ich entsetzt und stellte mir vor, wie es wäre, den Himmel als schwarzes Nichts sehen zu müssen.
"Meine Augen spiegeln das schwache Licht der Sterne nicht wieder, Micah. Ich weiß nicht, wie sie aussehen. Aber lass mich zuerst weiter reden." erklärte er mir und ich nickte schmollend.
Aber er hatte recht, ich sollte ihn nicht unterbrechen.

"Bevor Lane jedoch starb, ungefähr nur ein paar Wochen zuvor... ist Lillith gestorben. Und ich war dabei. Ihr Tod war der erste, den ich hautnah miterlebt hatte. Sie war in einem alten Krankenzimmer dank ihrer Albino-Krankheit und ihrem schwachen Immunsystem an Krebs gestorben. Und mein Vater...? Er gab mir die Schuld. Einem traumatisierten, alleine gelassenen Kind. Und nur ein paar Wochen später... habe ich meinen Vater getötet."
Seufzend legte er eine kleine Pause ein und wich meinem Blick aus.
Ich aber, legte meinen Kopf an seine Schulter und meinte leise "Es ist ok... ich möchte gerne alles über dich wissen, Athan."
Darauf sah er mich zuversichtlich an und setzte fort.

"Ich habe ihn mit 10 Jahren erstochen. Damals war ich so sehr im Rausch... meine Mutter liebte Drachen, den Mond und Blumen, besonders Rosen über alles und sie war eine gute Zeichnerin. Sie malte oft wunderschöne, weiße Rosen, Drachen oder den Himmel mit all seinen Sternen, die ich nicht sehen konnte, und schenkte mir die Bilder heimlich, sodass Lane es nicht merkte. Als ich ihn also getötet hatte, fand ich zufällig eine weiße Rose und rammte sie in seine Brust, als hätte ich ihm einprügeln können, was er alles falsch gemacht hatte. Als hätte ich ihm einprügeln können, was er mit meiner Mutter verloren hatte, was er ihr und mir angetan hatte... Irgendwann war die Blüte der Rose so zerfetzt und zerstört, dass man die Blume vor Blut kaum noch erkennen konnte... Damals davon zu kommen war leicht... wer verdächtigte ein Kind, jemanden so brutal zu erstechen?... Aber damit zu leben... das war wirklich schwer. Als ich älter wurde, begann ich, immer mehr Leute zu ermorden, die mir schlecht vorkamen und bald ließ ich mir das Tattoo stechen... als Erinnerung an Lillith. Und die Rosen..." "... Legst du aus Reue zu deinen Opfern." beendete ich seinen Satz und musterte erst das Tattoo auf seinem Arm, dann die Rose in meiner Hand.
"Deshalb hast du auf mich reagiert, als ich von dem Tattoo gesprochen habe..." murmelte ich und erinnerte mich an meine erste Nacht hier zurück.
Jetzt, da Athan es mir erzählt hatte, konnte ich ihn besser verstehen. Ich wusste auch, dass es verständlich war, warum er nicht mehr aufhören konnte, zu töten.
Warum er solche Albträume hatte, die ihn nachts wach hielten oder er manchmal minutenlang an die weiße Wand oder ins Nichts starrte.

Sein Verstand war... hinüber.
Seine Kindheit hätte anders verlaufen sollen.
Seine Eltern hätten andere Menschen sein sollen.
Aber so war es nun mal.
Und jetzt lag es nun mal an mir, ihn Stück für Stück wieder zusammen zu bauen.

𝑫𝒆𝒂𝒅𝒍𝒚 𝒂𝒇𝒇𝒆𝒄𝒕𝒊𝒐𝒏Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt