4. Dornen stechen

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"Simon? Wir treffen uns bei mir. Komm sofort her." "Micah, es ist fast Mitternacht und du *gähn* rufst mich jetzt an und bestellst mich zu dir? Ernsthaft?" murrte er mich durchs Handy an und ich knurrte zurück.
"Dein weißer Sensenmann hat meinen Vater umgelegt und ich weiß nicht, ob ich sein nächstes Ziel bin! Also beweg deinen Arsch hier her!"
Darauf hörte ich kein Jammern mehr von ihm, sondern nur noch laute Geräusche im Hintergrund des Anrufs.
"Bin gleich da!"

Nur um die 10 Minuten später klopfte es schon an meiner Haustür und ich ließ Simon herein.
Ohne mich auch nur zu begrüßen oder... einmal Luft zu holen, fragte er "Was ist passiert?! Ich will alles wissen. Hast du ihn gesehen?!"
Seufzend schloss ich hinter ihm die Haustür und meinte "Ja, mir geht's gut, danke der Nachfrage."
Darauf sah er mich mit verzogenem, entschuldigendem Gesicht an und ich schüttelte den Kopf.
"Ich erzähl dir alles, wenn du deine Schuhe ausgezogen hast, Simon..." murmelte ich als Antwort und ging schonmal vor, ins Wohnzimmer.
Im Moment war ich einfach froh, dass er hier war.
Alleine wollte ich im Moment überhaupt nicht sein...

"Ich will alles wissen. Dein Vater war doch so ein Arsch, oder?"
Seufzend ließ ich mich auf der Chouch in meinem Wohnzimmer nieder und nickte.
"Dass er tot ist... schert mich eigentlich gar nicht. Ist eher wie ein Weihnachtsgeschenk... aber trotzdem..." "Du hast Angst, dass er es auf dich abgesehen hat, huh?" vermutete Simon und ich bestätigte seine Vermutung.
Er setzte sich neben mich und sah mich voller Spannung und Vorfreude an.
"Du bist ja echt aufgeregt..." murmelte ich und sah mich, immer noch unsicher, im Raum um.
An den Fenstern sah ich nichts...
Dort war niemand.
Hoffentlich.

"Natürlich! Ich dachte nicht, dass ich einen Fall des weißen Sensenmannes mal so nah erleben könnte. Der Kerl ist eine echte Sensation." entgegnete mein bester und... einziger Freund und sah mich an, als wäre er ein kleiner Junge, der gerade eine Batman-Figur bekommen hatte.
"Kannst du mir erzählen, was passiert ist? Ich will alles wissen!" quängelte er und rutschte etwas näher.
Ich verdrehte die Augen und begann, ihm zu erzählen.

"Kurz gesagt ist mein Vater telefonieren gegangen und eine Zeit lang nicht mehr zurück gekommen. Als meine Mutter ihn dann suchen gegangen ist, hat sie ihn tot in der Küche gefunden. Seine Brust war von Einstichen zerfetzt und dort lag-..." "Eine weiße Rose?" "Ja, Simon. Eine weiße Rose." seufzte ich und sah ihm zu, wie er jubelnd seine Arme in die Luft warf.
Aber dann stockte er.
"Du... hast gesagt, dass... er es vielleicht auf dich abgesehen hat. Glaubst du das wirklich?" murmelte er und ich war über den plötzlichen Umsprung seiner Emotionen ziemlich überrascht.
"Naja... ich hab einfach Angst. Das versteht sich ja von selbst, oder?"
Darauf nickte Simon leicht und sah sich nachdenkend um.
"Weißt du was? Ich werde heute bei dir übernachten." meinte er dann schließlich und ich sah ihn zögernd an.
"Aber... du hast nichts dabei und vielleicht... bist du dann auch ein Ziel..." "Na und? Dann gehen wir eben zusammen unter." grinste er zurück und reckte stolz die Brust.
"Es wäre mir eine Ehre, durch den weißen Sensenmann zu sterben."
Innerlich seufzend schüttelte ich den Kopf und musterte den übermütigen, braunhaarigen IT-Angestellten neben mir.
"Sag ihm das doch direkt. Vielleicht verschont er uns ja." scherzte ich und bekam ein fieses Grinsen zurück.
"Würde ich ihn treffen, würde ich es ihm sagen. Aber wer weiß... vielleicht schlitzt er mir ja vorher noch die Kehle durch."

Nur etwa eine halbe Stunde später waren wir auch schon schlafen gegangen.
Wir hatten mein Haus gründlich untersucht und uns vergewissert, dass niemand hier war. Simons Rücksicht auf mich und seine bloße Anwesenheit brachten mir etwas Ruhe ein und ich konnte in dem Wissen einschlafen, dass ich nicht alleine war.
Wenn, dann würden wir zusammen untergehen.
Bei dem Gedanken an Simons übertriebenen Optimismus musste ich nun doch etwas grinsen.

.
Am nächsten Morgen wachte ich langsam auf und begab mich von dem Status 'Schlafend' zu 'Halbschlaf'.
Mein Körper fuhr seine Funktionen langsam hoch und mein Gehirn schrie mir sofort entgegen, dass ich noch lebte.
Das war gut.
Wäre ich wirklich ein Ziel von diesem weißen Sensenmann gewesen, hätte er mich jederzeit töten können, während Simon und ich geschlafen hatten.
Also ließ ich meine Augen noch geschlossen und drehte mich auf die Seite.
Ich stützte mich auf das Bett, als sich plötzlich etwas Spitzes in meine ganze Handfläche bohrte.
"Aua!"
Ich fuhr erschrocken hoch und musterte meine Hand.
Ich blutete aus mehreren kleinen Einstichstellen.
Es war nicht viel, aber es schmerzte.

"Was?! Was ist los? I-ich bin wach, bin... bin wach..."
Simon war anscheinend gerade erst aufgewacht.
Er stand vom Boden auf und streckte sich, als er meine Handfläche sah.
"Wow, was ist denn mit dir passiert?" fragte er und untersuchte meine zuckenden Fingern, die ebenfalls leicht bluteten.
"Ich weiß nicht... ich hab mir nur zur Seite gedreht und-..."
Da sah ich zur Seite, auf die Decke, genau dort, wo ich meine Hand ins Bett gestemmt hatte, und erstarrte. 

Denn neben mir lag eine weiße, dornige Rose auf dem Bett...

𝑫𝒆𝒂𝒅𝒍𝒚 𝒂𝒇𝒇𝒆𝒄𝒕𝒊𝒐𝒏Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt