Ehrliche Tränen

164 12 2
                                    

„Bob?"

Sein Name hallte durch das Zimmer, das plötzlich jegliche anderen Geräusche zu verschlucken schien.

„Was ist das? Warum hast du dieses Quiz gemacht? Und was soll diese Liste hier?"

Peter deutete mit dem Finger auf den Bildschirm. Bob stand immer noch wie eingefroren mitten im Raum. Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder, schluckte.

„Ich ...", setzte er an, brach ab, schluckte noch einmal. Dann hörte er sich selbst lachen. Zittrig und unsicher, nicht echt. „Äh, ich –"

„Die Wahrheit, bitte", unterbrach Peter ihn. Seine Augen fixierten Bob und ließen den Kloß in dessen Hals noch weiter anschwellen.

Bob spürte die Panik. Den Schweiß auf seinen Handflächen, das Pochen seines Herzschlags, die Anspannung in jeder Faser seines Körpers. Doch in seinem Kopf herrschte seltsamerweise absolute Stille. Kein Karussell, keine Achterbahn, kein Suchen nach Ausreden. Er wusste, dass er keine Wahl hatte. Dass es nur eine Option gab. Zumindest nur eine, die er ernsthaft in Betracht ziehen konnte. Die Wahrheit.

Instinktiv schloss er die Augen und atmete tief ein und wieder aus. Dann bewegten sich seine Beine wie von allein auf Peter zu. Bob sah ihm fest in die Augen und nahm ihm den Laptop aus der Hand. Er klappte ihn zu und legte ihn beiseite, während er sich Peter gegenüber auf dem Bett niederließ.

„Peter, es tut mir so leid", begann er.

Die Worte formten sich, ohne dass er darüber nachdenken musste. Der einzige Gedanke, der ihm durch den Kopf ging, war, dass seine Stimme nicht wie seine eigene klang. Sie wirkte irgendwie fremd und obendrein viel zu entschlossen. Andererseits fühlte er sich gerade insgesamt nicht wie er selbst. Es war, als hätte er innerhalb der letzten Sekunden auf Autopilot geschaltet und war nun selbst nur ein Beobachter der Situation, die sich vor ihm – mit ihm – abspielte.

„Erinnerst du dich, dass ich dir gesagt habe, ich hätte einen Haschimitenfürst im Kopf?", hörte er sich fragen.

Peter nickte nur. Sein Gesicht verriet immer noch nicht, was in ihm vorging.

„Ich wünschte, ich könnte dir genau sagen, was passiert ist. Aber die Wahrheit ist, dass ich es selbst nicht weiß. Alles, was ich weiß, ist, dass ich mit einer heftigen Erkältung im Bett lag und eingeschlafen bin. Als ich wieder aufgewacht bin, war ich plötzlich wieder kerngesund. Allerdings war außerdem ein anderer Wochentag und mein Dad wollte mir einreden, ich hätte einen Filmriss. Justus hat mir dann erzählt, wir seien in LA feiern gewesen."

Bob machte eine kurze Pause. Während er geredet hatte, hatte Peter die Stirn gerunzelt und angefangen, geistesabwesend seine Hände zu kneten, die in seinem Schoß lagen. Seine Anspannung fachte die brodelnde Panik in Bobs Körper zusätzlich an. Doch er hatte anscheinend nach wie vor keine Kontrolle über das, was er tat und sagte. Zumindest fuhr er unbeirrt mit seiner Erklärung fort.

„Die Wahrheit, Peter, ist, dass ich mich an nichts erinnern kann. Nicht an die Party, nicht an unseren Fall, nicht an –"

Nun zögerte er doch. Aber es half alles nichts.

„Nicht an uns."

Peter rührte sich nicht. Er hatte aufgehört, seine Hände zu kneten, und starrte Bob einfach nur an.

„Was meinst du damit?", fragte er, nachdem etliche Sekunden vergangen waren. Seine Stimme klang weder schockiert, noch vorwurfsvoll oder aufgebracht. Sie klang tatsächlich eher ... verwirrt.

„Ich wusste nicht, oder nicht mehr , dass wir zusammen sind", antwortete Bob sachlich. Langsam wurde es ihm unheimlich, dass er so ruhig blieb, wo ihm doch gleichzeitig zwanzig Ziegelsteine im Magen lagen. „Ich habe keine Ahnung, warum. Möglicherweise ist es ein besonders ausgeprägter Filmriss oder ein Realitätsverlust oder ..."

Die drei ??? - verque(e)re Welt (PeterxBob)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt