Kapitel 2 - Ein nicht sehr engelhafter Engel

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Wir saßen bereits lange auf der Bank. Und ich hatte mir viel anhören müssen. Gabby/Die Verrückte/Der Engel hatte mir diverse Leute gezeigt, die an uns vorbeikamen und die angeblich Schutzengel waren. Und irgendwann konnte ich es auch nicht mehr ignorieren. Denn es war schon auffällig, dass viele Zweiergruppen unterwegs waren. Nicht immer schienen diese Personen zusammenzupassen, aber immer ignorierte die eine Person (wohl der Mensch) die andere Person (den Schutzengel). Mein Kopf wollte das zwar nicht wahrhaben, aber da war einfach dieses Gefühl tief in meinem Inneren, das mir sagte, dass ich gerade nicht Opfer der versteckten Kamera war, sondern mich in der knallharten Realität befand.

„Sind Schutzengel hauptsächlich dafür da, Leben zu retten?", stellte ich eine der Tausend Fragen, die in meinem Kopf herumflatterten.

„Nicht unbedingt. Wir sind grundsätzlich für die Menschen da. Bei allen kleinen und großen Nöten. Menschen sind sehr tollpatschig. Ohne uns würden wahrscheinlich noch mehr Handys zu Bruch gehen, noch mehr Haustürschlüssel in Gullideckeln landen oder kleine wie größere Autounfälle passieren."

Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte.

„Wie oft hat man einen Schutzengel bei sich?"

„Total unterschiedlich. Wir werden jeden Tag neu zugeteilt."

„Von wem?"

„Von regionalen Einsatzleitern."

„Klingt als wären wir bei der Feuerwehr."

Gabby nickte langsam. „Die Feuerwehr leistet übrigens fantastische Arbeit. Daher bekommen sie von uns regelmäßig Unterstützung, um noch mehr Leute zu retten."

Das waren mir viel zu viele Infos auf einmal und gleichzeitig auch viel zu wenige. Es war schwer, nicht durchzudrehen.

Da fiel mir etwas ein.

„Ich habe mich gar nicht bedankt. Ehrlich. Vielen Dank, dass du mir das Leben gerettet hast."

Mir wurde auf einmal klar, wie knapp alles wirklich gewesen sein musste. Hätte Gabby nicht schnell Hilfe geschickt, wäre ich jetzt eventuell tot. Diesen Gedanken hatte ich sowieso schon gehabt. Der Unfall war beängstigend genug gewesen. Aber dieses Wissen, das ich nun hatte, machte alles nur noch heftiger.

„Du musst dich nicht bei mir bedanken", sagte Gabby. „Ich habe nur meinen Job erledigt. Im Gegensatz zu einem gewissen anderen Schutzengel."

„Wie meinst du das?"

Gabby seufzte. „Ehrlicherweise war dir für den Tag jemand zugeteilt worden. Aber der hat seine Arbeit wohl nicht ernst genommen."

„Mich hätte jemand sterben lassen?"

Gabby verzog zerknirscht das Gesicht. Dann zuckte sie mit den Schultern, als ob sie sagen wollte, dass sie selbst schließlich nichts dafürkönne.

„Wer ist dieser Typ?", entfuhr es mir eine Spur zu aufgebracht. Ich merkte sehr wohl, dass mich ein älterer Herr, der unweit von uns spazieren ging, komisch anschaute. Vermutlich, weil ich aus seiner Sicht mit mir selbst sprach.

„Er heißt Joel."

Stimmt, jetzt erinnerte ich mich wieder, dass dieser Name bereits im Krankenhaus gefallen war. Wie konnte dieser Joel es wagen, mich im Stich zu lassen? Okay, bis vor Kurzem hatte ich nicht gewusst, dass es überhaupt Schutzengel gab. Aber jetzt, da ich es wusste, bekam ich eine irre Wut auf ihn. Ich hätte wirklich draufgehen können. Der Unfall war real gewesen. Ich musste mich immer noch schonen, nachdem ich am Arm operiert worden war. Und die Stelle, an der ich am Kopf genäht werden musste, sah ich immer noch, sobald ich in den Spiegel sah. Ich hasste es, an den Unfall erinnert zu werden. Und dieser Hass übertrug sich jetzt auf diesen Joel. Es war beinahe gut, ein Ziel für all die aufgestauten Emotionen zu haben. Zu gerne würde ich ihm die Meinung geigen. Schließlich hatte er es vermasselt, oder etwa nicht?

10 Dinge, die ich an meinem Schutzengel hasseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt