Kapitel 12 - Ein klärendes Gespräch

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„Mund zu, es kommen Fliegen rein!"

Völlig perplex klappte ich meinen offenstehenden Mund zu. Ich konnte Joel nur anstarren, meine Stimme versagte. Oder vielmehr mein Gehirn, denn ich wusste nicht, was er mir damit sagen wollte, dass er mich nie gehasst hat. Natürlich hatte er das, oder etwa nicht?

„Warum schaust du so ungläubig?", fragte er.

Ich blinzelte und versuchte, wieder zu Sinnen zu kommen. „Aber du hast dich immer so scheiße mir gegenüber verhalten."

Joel seufzte. Er sah ehrlich zerknirscht aus. „Mir war nie klar gewesen, wie das für dich gewesen sein muss, bis du mich komplett ignoriert hast. Ich habe wirklich große Fehler gemacht. Es tut mir leid."

„Wie war das?"

„Ehrlich, Kaja. Es tut mir wirklich leid."

„Ich glaube, ich habe dich nicht richtig verstanden." Etwas theatralisch legte ich meine rechte Hand an mein Ohr. Ein Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen.

Joel verdrehte die Augen, aber das kleine Zucken seiner Mundwinkel war nicht zu übersehen. „Okay, das habe ich nach der Aktion auf dem Flug wohl verdient."

Wie schade, dass ich ihn nicht auch dermaßen ärgern konnte, wie er mich eben mit seinem plötzlichen Sinkflug. Ich hätte es sicher auch genossen, wenn er seine Entschuldigung in den Nachthimmel rief. Aber es genügte mir schon, dass er sich überhaupt entschuldigte. Das war für mich schon Überraschung genug.

„Ich verstehe es trotzdem nicht", sagte ich immer noch ziemlich verwirrt. „Ich kann dein Verhalten einfach nicht einordnen."

„Es stimmt, am Anfang war ich nicht erfreut, jeden Tag auf dich aufpassen zu müssen."

„Ach, ist mir gar nicht aufgefallen", sagte ich voller Ironie.

„Aber das hatte seinen Grund", fuhr Joel fort.

„Wäre ja noch schöner, wenn es keinen gegeben hätte und du einfach aus einer Laune heraus entschieden hättest, mich und diese Aufgabe zu hassen."

„Kann ich bitte mal ausreden?"

Oh, okay. Joel war wohl nicht mehr für Witze zu haben. Ich machte eine Bewegung mit der Hand vor meinen Lippen, die signalisieren sollte, dass ich ab sofort ruhig sein würde.

„Ich wollte nicht auf dich aufpassen, weil ich nicht täglich daran erinnert werden wollte, was ich versäumt hatte", sagte Joel. „Ich habe mich schuldig gefühlt. Es war nicht das erste Mal gewesen, dass ich zu meiner Arbeit zu spät kam, aber es war das erste Mal, dass dabei fast jemand gestorben wäre. Du wärst fast gestorben. Und das hat mich echt fertig gemacht."

Das hätte ich im Leben nicht gedacht. Joel war damals so kühl rübergekommen, so gleichgültig. Ich dachte, es wäre ihm vollkommen egal gewesen, dass ein Mensch fast umgekommen war.

Joel knetete nervös seine Hände, als er weitersprach. „Ich hatte das Gefühl, alles runterspielen zu müssen, damit ich mich nicht damit auseinandersetzen muss, was ich getan, oder besser nicht getan hatte."

Es war verrückt. Aber ein Teil von mir verstand seine Erklärung. Er wollte sich seinen eigenen Schuldgefühlen nicht stellen und diese lieber beiseiteschieben.

„Dann war ich jeden Tag bei dir und habe dich kennenlernen dürfen. Ich habe mich in deiner Nähe immer wohler gefühlt und wollte auch Zeit mit dir verbringen. Ich war sogar öfter bei dir als ich es laut Adriels Plan gemusst hätte."

Okay, was sollte ich davon halten? Fand ich das nun gut oder schlecht? Einerseits hatte es mich immer genervt, wenn er aufgetaucht war. Andererseits war sein Geständnis auch irgendwie ... süß.

10 Dinge, die ich an meinem Schutzengel hasseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt