Kapitel 4 - Eindringling unerwünscht

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Der Vortag war eine dermaßen krasse Achterbahnfahrt der Gefühle gewesen, dass die Nacht natürlich nicht beschissener hätte sein können. Nachdem wir aus dem Himmel zurückgekehrt waren – das klang immer noch verrückt – hatte sich Joel ziemlich schnell verabschiedet. Ehrlicherweise war mir das nur Recht. Adriel hatte klargemacht, dass er nicht durchgehend auf mich aufpassen sollte, wofür ich echt dankbar war. Jede Minute war vermutlich schon eine zu viel.

Gabby hatte auch irgendwann gehen müssen, sodass ich allein mit Tausend Fragen zurückgeblieben war. Und es war wirklich nicht schön, wenn man mit niemandem darüber reden konnte, was einem gerade passierte. Ich hatte kurz darüber nachgedacht, es meiner WG-Mitbewohnerin und Freundin Helena zu sagen, aber die Idee hatte ich schnell verworfen. Ich hatte keine Lust auf besorgte Blicke oder die freundliche Bitte, mich doch beim Arzt noch einmal durchchecken zu lassen.

Also hatte ich mich alleine mit dem ganzen Schutzengel-Himmel-Zeug auseinandergesetzt und mich nachts schlaflos hin und her gewälzt. Dementsprechend wunderte es mich überhaupt nicht, dass ich vollkommen übernächtigt aussah. Während ich im Bad Zähne putzte, starrte ich wütend mein eingefallenes Gesicht an, in dem sich tiefe Ringe unter meinen Augen gebildet haben. Die morgendliche Dusche hat auch nichts genutzt. Ich sah eher aus wie ein begossener Pudel. Absolut bemitleidenswert.

„Hast du heute irgendwas Bestimmtes vor?"

Vor Schreck fuhr mein Körper zusammen, ich wollte Schreien, aber das ist mit einer Zahnbürste im Mund nicht gerade einfach. Ich schwöre: Ich holte so tief Luft, dass ich kurz Panik hatte, die komplette Bürste würde in meinen Mund und Rachen gezogen werden. Ich zog sie schnell heraus, spuckte aus und hustete mir anschließend die Seele aus dem Leib.

„Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken", sagte Joel, der tatsächlich wie aus dem Nichts in unserem Badezimmer aufgetaucht war. Ich wiederhole: Im Badezimmer!!!

Durch Tränen hindurch, die durch den Hustenanfall ausgelöst wurden, sah ich zu Joel, der an der Tür lehnte, die Arme verschränkt und eine unfassbare Gelassenheit ausstrahlte, die mich sofort auf hundertachtzig brachte.

„Hast du sie noch alle?", schimpfte ich. „Wie kannst du einfach hier auftauchen? Ich hätte auf dem Klo sitzen oder noch unter der Dusche stehen können. Schon mal was von Privatsphäre gehört?"

Wütend wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht. Jetzt konnte ich Joel auch besser erkennen. Er trug eine schwarze Stoffhose und dazu einen weißen Pullover, der unglaublich edel wirkte. Sein Rollkragen war nur an einer Seite hochgekrempelt. Seine dunkeln Haare fielen ihm locker in die Stirn. Er erinnerte mich an diese gutaussehenden, meist stinkreichen Hauptcharaktere aus K-Dramas. Er sah unglaublich attraktiv aus und vermutlich wusste er das auch.

Als ich das dachte, fiel mir auf, was ich im Gegenzug für ein Erscheinungsbild abgeben musste. Ich steckte in meinem pinken Bademantel, meine Haare hingen mir triefend nass über die Schultern und mein Gesicht hätte wahrscheinlich eine Menge Make-Up gebraucht, um einigermaßen vorzeigbar auszusehen.

„Du hast Zahnpasta im Gesicht."

Auch das noch! Wütend drehte ich mich zum Spiegel und wischte mir anschließend über den Mund.

„Was machst du hier?", sagte ich genervt.

„Ich soll auf dich aufpassen, schon vergessen?"

„Ich meine, was machst du hier im Badezimmer?"

Joel zuckte kurz mit den Schultern. „Hast du eine Ahnung, wie viele Unfälle im Bad passieren? Und wie viele mehr es wären, wenn Schutzengel nicht manchmal aufpassen würden?"

„Ihr seid nicht ernsthaft in so intimen Momenten bei uns?" Das schockierte mich wirklich. Allein die Vorstellung, dass mich jemand heimlich beobachtete, löste ein unbehagliches Kribbeln in mir aus.

10 Dinge, die ich an meinem Schutzengel hasseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt