Helena hatte viele Fragen gestellt und ich hatte versucht, ihr so viele wie möglich zu beantworten. Mit jeder Antwort, die sie bekommen hatte, hatte sie mehr so gewirkt, als würde sie mir tatsächlich glauben. Wir hatten bis spät in die Nacht zusammengesessen, Gabby war irgendwann gegangen. Ich war ihr für ihre Hilfe wirklich sehr dankbar. Allerdings verstand ich einfach nicht, warum sie sich getraut hatte, mir zu helfen und Joel nicht. Hatte er wirklich Angst vor Konsequenzen oder war er einfach der Meinung, dass Menschen nichts von Schutzengeln wissen sollten?
Ich hätte gerne noch einmal mit ihm darüber geredet, aber er war nicht mehr aufgetaucht. Mittlerweile war der nächste Tag angebrochen. Ich musste gegen zehn Uhr in der Uni sein und da Helena zur selben Zeit losmusste, machten wir uns gemeinsam auf den Weg. Helena fuhr uns sogar. Wir hatten es zwar nicht weit, aber sie würde hinterher noch ihre Familie etwas außerhalb der Stadt besuchen, weil ihre Mutter Geburtstag hatte. Für mich war es praktisch. So musste ich nicht zu Fuß gehen oder mit Bus oder Straßenbahn fahren. Ein neues Fahrrad hatte ich mir seit dem Unfall nämlich noch nicht wieder zugelegt.
„Und? Ist Joel noch aufgetaucht?", fragte Helena, als sie den Motor startete.
Ich hatte ihr gestern vorm Zubettgehen gesagt, dass ich fest mit ihm rechnete. Solange blieb er nämlich normalerweise nie weg.
„Nein", sagte ich knapp, weil ich verärgert war. Ich war es nicht gewohnt, dass Joel mir aus dem Weg ging. Und genauso schien es zu sein.
„Habt ihr euch so sehr gestritten?", fragte Helena.
Ich konnte nur seufzen anstatt zu antworten. Ich hatte ihr alles über Joel erzählt. Von unseren Anfängen, dem Hass, den ich auf ihn hatte und wie er mir das Leben gerettet hatte. Und auch davon, wie sehr mein Herz raste, wenn er in meiner Nähe war.
Nur leider war er das gerade nicht.
Dabei hätten wir dringend mal ein paar Dinge klären müssen. Wir sollten nicht nur den Streit wegen Helena aus dem Weg räumen. Vielmehr sollten wir mal darüber sprechen, was das mit uns genau war. Wir hatten das nicht definiert. Es fühlte sich nicht so an, als hätten wir jetzt eine Beziehung. Aber es war auch nicht so, als wären wir nur Freunde. Wobei wir noch nie Freunde gewesen waren. Also, was waren wir jetzt?
„Macht dieser Joel dich glücklich?", fragte Helena.
Ich lachte kurz laut auf. „Bis jetzt hat er mich eher an den Rand des Wahnsinns getrieben."
„Was mir nur sagt, dass er dir viel bedeutet."
„Was ist das für eine Logik?"
„Was sich neckt, das liebt sich."
Ich stöhnte.
Helena lachte.
Die restliche Fahrt über ließ sie das Joel-Thema zum Glück gut sein, denn ich wollte gar nicht mehr über ihn nachdenken. Nur, dass mir das leider nicht gelang. Früher hatte ich es gehasst, wenn er die ganze Zeit bei mir war. Jetzt hatte ich ihn schon fast vierundzwanzig Stunden nicht mehr gesehen und es war wirklich, als würde ein Teil von mir fehlen.
Als Helena und ich auf einem der Parkplätze in der Nähe der Uni ankamen, kreisten meine Gedanken immer noch um Joel und ich hasste das.
Helena quatschte mich mit anderen Themen voll, wofür ich ihr hätte dankbar sein können. Aber leider konnte ich mich überhaupt nicht auf sie konzentrieren. Aber immerhin redete sie nicht über Joel oder Schutzengel im Allgemeinen. In der Öffentlichkeit wäre das dann doch nicht so gut gewesen. Es war eine Sache, ob ein paar Leute die Wahrheit kannten. Es war aber was ganz anderes, wenn die ganze Menschheit davon erfuhr. Wir waren schließlich nicht alleine hier draußen unterwegs. Wir standen an einer Ampel, neben uns waren noch drei andere, die vom Alter her auch aussahen wie Studierende.
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10 Dinge, die ich an meinem Schutzengel hasse
FantasíaONC 2024: Nachdem Kaja nur knapp dem Tod entkam ist alles anders: Sie sieht auf einmal Schutzengel und erfährt, dass derjenige, der sie hätte beschützen sollen, seine Arbeit nicht richtig gemacht und sie fast dem Tod überlassen hätte. Sie macht sich...