„Willkommen zurück."
Eine tiefe, freundliche Stimme drang gedämpft an mein Ohr. Es war, als würde ich gerade aus einem Traum erwachen, denn ich konnte nicht einordnen, ob ich die Stimme wirklich hörte, oder ob ich mir das alles nur einbildete. Meine Augenlider waren schwer. Ich fühlte Bett und Kissen unter mir, aber irgendetwas stimmte nicht. Ich hatte nicht das Gefühl, in meinem eigenen Schlafzimmer zu liegen. Irgendetwas war anders. Auch das nervige Piepsen klang nicht wie mein Wecker. Und es hörte vor allem nicht auf. Irritiert versuchte ich, endlich die Augen aufzubekommen.
„Frau Miller, Sie sind im Krankenhaus. Sie hatten einen Unfall, aber es geht Ihnen den Umständen entsprechend gut." Ein Mann mittleren Alters mit einem angenehmen Lächeln beugte sich über mich, sodass er in meinem Blickfeld erschien. Er trug eine blaue Haube auf dem Kopf und blaue Kleidung, die sehr nach Krankenhausoutfits aussahen. Aber was machte ich hier?
Der Arzt fing an, um mich herum irgendwelche Sachen zu machen oder zu checken. Er schaute auf ein seltsames Gerät, von dem offenbar dieser nervige Piepton ausging. Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen. Eine Frau sprach mit dem Arzt, ebenso in blau gekleidet. Sie machte sich Notizen. Beide warfen sich Wörter zu, die wie medizinisches Kauderwelsch klangen, von dem ich absolut nichts verstand. Sie hätten auch in einer anderen Sprache sprechen können, ich hatte genauso wenig kapiert.
Und dann war da noch eine Frau, die irritierenderweise überhaupt nicht in dieser Krankenhauskluft steckte, sondern in völlig normalen Klamotten. Eine weite Jeans, ein lockeres Shirt in strahlendem Gelb, was einen herrlichen Kontrast zu ihrer dunklen Haut bot. Die Farbe Geld machte mir sofort gute Laune. Sie lehnte gegenüber von mir an einer Wand, ihre schwarzen Haare, die zu unfassbar langen Rastazöpfen geflochten waren, hingen über eine Schulter. Scheinbar gelangweilt spielte sie mit ihren Haarspitzen. War sie eine Praktikantin und hatte nichts zu tun?
„Frau Miller, können Sie sich daran erinnern, was passiert ist?", fragte der Arzt.
Es war seltsam, gesiezt zu werden. Daran konnte ich mich nicht gewöhnen. Obwohl ich mittlerweile zwei Jahre aus der Schule raus war und in der Uni auch fast alle Professoren Sie zu uns sagten. Es fühlte sich trotzdem noch falsch an.
Mein Studium. Richtig. Ich war auf dem Weg zur Uni gewesen. Mit dem Fahrrad. Das war das Letzte, woran ich mich erinnerte.
„Ich hatte einen Unfall?", fragte ich. Das hatte der Arzt doch eben gesagt, oder?
Dieser nickte. „Ein Autofahrer hat Sie angefahren. Sie hatten eine Menge Glück."
Die junge Frau mir gegenüber schnaubte kurz. Es klang irgendwie verächtlich. Ich hatte keine Ahnung, wieso. Der Arzt und seine Kollegin beachteten sie gar nicht.
„Ihr Herz hatte bereits aufgehört zu schlagen", versetzte mir der Arzt den Schock meines Lebens. Ich war tot? „Aber Sie konnten erfolgreich reanimiert werden. Wir werden Sie vorsichtshalber noch ein paar Tage im Krankenhaus behalten und einige Untersuchungen machen. Sie haben ein paar Verletzungen davongetragen und wurden auch bereits operiert."
Erst da fiel mir auf, dass mein linker Arm bandagiert war. Genauso wie mein Kopf.
„Jetzt, da Sie wach sind, können wir Sie von der Intensivstation auf ein anderes Zimmer verlegen. Wir werden das veranlassen, Sie aber weiter engmaschig überwachen, um vor allem eine Gehirnerschütterung auszuschließen. Sie sind erst gegen das Auto und dann auf die Straße geprallt und haben keinen Helm getragen." Ich hörte den leichten Vorwurf, der darin mitschwang.
„Den Helm hätte sie auch nicht gebraucht, wenn Joel seinen Job gemacht hätte", sagte die Praktikantin.
„Wer ist Joel?", fragte ich irritiert. Etwa der Autofahrer?
Die Frau riss die Augen auf und starrte mich an, als hätte sie einen Geist gesehen. Ihr Mund stand sperrangelweit offen. Was war los mit ihr?
„Wer ist Joel?", wiederholte der Arzt meine Frage. Aber eher an mich gerichtet, als an die junge Frau, die sich nun zu meinem Bett vorschob und sich mit fragendem Blick vor mir aufbaute. Ich ließ sie dabei nicht aus den Augen. Und sie mich auch nicht. Sie beäugte mich dabei, als wäre ich ein seltenes Tier im Zoo. „Kannst du mich etwa sehen und hören?", fragte sie.
Irritiert blinzelte ich. „Du stehst genau vor mir. Natürlich kann ich dich sehen."
„Scheiße! Das ist gar nicht gut."
„Ist alles in Ordnung?", fragte der Arzt. „Frau Miller? Was oder wen meinen Sie zu sehen?"
„Na, die Praktikantin hier." Ich deutete auf die Frau, die nun schallend anfing zu lachen.
„Hier ist keine Praktikantin." Der Arzt sah zu seiner Kollegin. „Wir sollten vielleicht doch noch ein paar Untersuchungen machen." Er klang äußerst besorgt.
War ich in einem falschen Film, oder was?
Die vermeintliche Praktikantin hörte auf zu lachen und wurde schlagartig wieder ernst. „Das sollte so nicht sein", sagte sie kopfschüttelnd. „Ich muss das kurz klären."
Und dann, völlig unerwartet, löste sie sich einfach in Luft auf.
Und mir wurde schwarz vor Augen.
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10 Dinge, die ich an meinem Schutzengel hasse
FantasiONC 2024: Nachdem Kaja nur knapp dem Tod entkam ist alles anders: Sie sieht auf einmal Schutzengel und erfährt, dass derjenige, der sie hätte beschützen sollen, seine Arbeit nicht richtig gemacht und sie fast dem Tod überlassen hätte. Sie macht sich...