2. Kapitel - Tomatenrot

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„Also, dass musst du mir nun wirklich noch einmal erklären", murmelte Ruby konzentriert während sie operativ eine Tomate von ihrem Schinken Sandwich zu entfernen versuchte.
„Wieso machen die immer diese verdammten Tomaten darauf?"

„Da gibt es nicht zu erklären, Rubs", seufzte ich und versteckte mich schnell hinter meinem Bagel. Nach unserer erfolgreichen Shoppingtour hatten wir unserem Lieblingssandwich Laden einen Besuch abgestattet und uns entschlossen noch ein wenig im Golden Gate Park spazieren zu gehen.

Die Sonne strahlte vom Himmel und verwandelte die wunderschön angepflanzten Beete in einen farbenfrohen Blumenteppich. Die Strahlen reflektierten auf dem gläsernen Dach des Conservatory of Flowers und ließen dieses heiter glitzern und funkeln. Nicht zum ersten Mal musste ich lächelnd daran denken, wie mein Vater mich und meinen Bruder früher jeden Samstag pünktlich zum Sonnenaufgang in diesen Park geschleppt hatte um uns die Namen der verschiedensten Pflanzen- und Blumenarten zu lehren und gleichzeitig die Schönheit der Natur darzulegen. Die meisten unserer Kinderfotos und Erinnerungen waren in diesem Park entstanden. Auch heute noch stand mein Vater gern früh auf, um im Park oder anderswo spazieren zu gehen und die Natur zu genießen. Nachdem er dies getan hatte war er meist so zufrieden und glücklich, dass er das Wetter den lieben langen Tag als „Kaiserwetter" bezeichnete.

„Was meinst du mit: Da gibt es nicht zu erzählen? Als ich gerade eben aus dieser Umkleidekabine kam hatte dein Gesicht ungefähr die Farbe von...", sie unterbrach und hielt endlich triumphierend das verhasste Gemüse zwischen den Fingern „ ...dieser Tomate. Nichts für ungut."

Sie zuckte mit den Schultern, legte die Tomate wie selbstverständlich auf meinen Bagel und biss ein herzhaftes Stück von ihrem Brot ab. Noch während sie genüsslich kaute, spürte ich ihren prüfenden Blick auf mir und verdrehte innerlich die Augen.
„Mensch, da war wirklich nichts. Glaub mir."
Ungläubig zog sie die Augenbrauen hoch und sah mir tief in die Augen, bis ich klein beigab.

„Nun... möglicherweise sah er ganz gut aus, aber...."
„Wuuuuuh", aufgeregt quietschend sprang meine Beste Freundin von einem Fuß auf den anderen, weshalb ich das Sandwich vor meinem inneren Auge schon vor uns auf dem Asphalt liegen sah.
„Dass ich das noch erleben darf." 

Freundschaftlich rempelte sie mir ihre Schulter in die Seite und grinste. Ein hinterhältiges, für sie vielversprechendes für mich erschreckendes Grinsen. Ruby heckte irgendwas aus. Meist hatte dies nichts Gutes zu bedeuten.
„Sei nicht eingeschnappt, aber ich hätte nicht damit gerechnet diese Worte in den nächsten fünf Jahres aus deinem Mund zu hören."
„Na vielen Dank auch", grummelte ich verbissen und verbarg mein Gesicht wieder hinter dem Bagel, welcher mit Salat und Käse belegt war.
„Du weißt, dass ich das nicht böse meine aber komm schon Avery du musst zugeben, dass du nie irgendwelche Andeutungen bezüglich Jungs machst und auf einmal reißt du dir einem im Kaufhaus auf."

Na super, in Ruby's Augen war ich also wegen ein paar Blicken gleich zur Aufreißerin mutiert.
„Ich mach' doch nur Spaß", sagte sie irritiert, als ich ihr nicht sofort antwortete.
„Nun es ist aber nicht sehr aufbauend oder hilfreich ständig zu hören wie rot man doch war." Meine Stimme hatte ohne das ich es beabsichtigte einen abwertenden Ton angenommen, denn dieses Thema gehörte definitiv nicht zu meinen Lieblingsthemen. Ständig wurde es mir auf die Nase gebunden. „Du bist total rot geworden", oder „Man Avery wie kann man bloß so schüchtern sein. Komm doch mal ein bisschen aus dir heraus."
Danke für den Tipp, wenn du das so sagst werde ich wohl einfach meinen Charakter umstrukturieren und aus mir heraus kommen.

„Jaja", murrte sie genervt und ich wusste, ohne hinzuschauen, dass sie in diesem Moment die Augen verdrehte.
„Wir müssen das Problem beim Schopf packen", rief sie plötzlich euphorisch und schmiss dabei triumphierend das Sandwich Papier in einen fünf Meter entfernt stehenden Mülleimer.
„Getroffen," jubelte sie und sprang dabei so wild auf und ab, dass ihre Locken nur so flogen.
Unmerklich schüttelte ich den Kopf und versteckte mich hinter meinen langen Haaren, denn natürlich zog Ruby's Verhalten die Blicke der Menschen um uns herum magisch an.

The Silent Side of LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt