8.Kapitel - Freitagabend

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Trotz einiger Startschwierigkeiten und Komplikationen meinerseits vergingen die ersten zwei Wochen am College wie im Flug. Ruby und ich hatten glücklicherweise mehr Kurse zusammen als ursprünglich gedacht, was uns den Start allerdings nur in geringem Maße erleichterte. 

Vor allem mein Geschichtskurs hatte es in sich. Wenn man meine Highschool Leistungen in diesem Fach bereits als Versagen betitelt hatte, so müsste man es wohl jetzt als kompletten Absturz bezeichnen. Blöd nur, dass dieses Fach zu einem meiner Pflichtfächer gehörte. Natürlich war mir von vorn herein bewusst gewesen, dass das Studium kein Zuckerschlecken werden würde, aber solche Schwierigkeiten hatte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt. Zu meiner eigenen Verwunderung hatte ich jedoch in der kurzen Zeit schon zwei neue Freunde gefunden. 

Naja zugegebenermaßen hatte ich Kenny nur durch Ruby kennengelernt, aber immerhin hatte ich mich ihm bereits nach so kurzer Zeit öffnen können. Und das war wirklich etwas worauf ich stolz sein konnte.
Troian hatte ich allerdings wirklich komplett allein kennengelernt. Oder besser gesagt, hatte sie mich kennengelernt.
Dank ihr kam ich nicht direkt am ersten Tag zu spät zu meinem Hauptkurs Choreographie. Sie musste mir wohl meine verzweifelte Miene angesehen haben, denn sie kam mit einem freundlichen Lächeln, welches ihre Grübchen betonte, auf mich zu. Obwohl sie einen ganz anderen Kurs hatte, nämlich englische Literatur, konnte sie mir erklären, wo sich mein gesuchter Raum versteckte.

Ein kleiner Trost war es, dass ich immerhin noch zuhause wohnen konnte und nicht - wie viele andere - auf dem Campus oder in einem der unzähligen Verbindungshäuser wohnen musste. Zuhause fühlte ich mich nun mal am wohlsten, auch wenn meine Familie mir wirklich oft auf den Zeiger ging.

Glücklicherweise gingen meine Vorlesungen heute nur bis ein Uhr, weshalb ich nun an meinem Schreibtisch saß und ein Essay für Musikgeschichte vorbereitete. Und das, obwohl Freitagnachmittag war. Mein entspanntes Wochenende würde jedoch ohnehin erst morgen früh beginnen, da Ruby und Kenny mich heute unbedingt mit auf eine Verbindungsparty nehmen wollten. Die Party wurde von der beliebtesten Verbindung überhaupt abgehalten, weshalb ich mit einer Masse an Menschen rechnete und bereits versuchte mich seelisch darauf vorzubereiten.
Viel lieber würde ich den Abend mit Ruby allein verbringen, Unmengen an Schokolade und Chips verdrücken und über die neusten Gerüchte und Ereignisse des Alltags philosophieren. Doch so sehr ich es auch versucht hatte, Ruby und Kenny blieben hartnäckig und Widerstand war zwecklos. 

Bevor wir jedoch zu der Party gehen konnten, musste ich noch den Ballettunterricht der Kindergruppe übernehmen, da Mum heute nicht im Haus war. Just in diesem Moment klingelte mein Wecker, um mich daran zu erinnern, dass es höchste Zeit wurde die Tür der Tanzschule aufzuschließen. Ich schnappte mir noch schnell meine eigene Ballettkleidung und hastete nach unten.

Wie bereits erwartet standen schon einige eifrige Tanzschüler vor der Tür und begrüßten mich freudestrahlend, als ich ihnen öffnete.
Ihre kurzen Schritte tapsten über das Parkett bis in den Tanzsaal, wo sie sich lachend fallen ließen, um ihre Tanzschläppchen überzustreifen. Ich tat es ihnen gleich und holte noch schnell die richtige CD aus dem Regal im Flur, als ich plötzlich eine sanfte Berührung an meinem Knie spürte. Fragend drehte ich mich um und musste augenblicklich lächeln, als ich das strahlende Gesicht der kleinen Schwester von Riven sah. Ihre goldblonden Haare waren zu einer wunderschönen Flechtfrisur hergerichtet und sogar mit kleinen rosa Blümchen geschmückt worden. Dazu trug sie einen rosa Body und natürlich die passenden Strumpfhosen und Schläppchen.

„Hallo Kleine. Na du siehst aber toll aus." Ich ging vor ihr in die Hocke, um mit ihr auf Augenhöhe zu sein. Um endlich zu erfahren wie die Kleine denn nun wirklich hieß, tat ich so, als würde ich mich nicht mehr an ihren Namen erinnern. „Wie heißt du denn nochmal?"
„Claire", quakte sie und wiegte verlegen ihren Körper von links nach rechts.
„Hallo Claire, ich bin Avery. Wer hat dir denn die Haare so schön gemacht?" Sanft strich ich ihr eine lose Strähne hinters Ohr und lächelte sie an.
„Mein Bruder", grinste sie, reckte das Kinn in die Luft und verschränkte die Arme schüchtern hinter ihrem Rücken.
Beeindruckt verzog ich das Gesicht und merkte wie ich mich nach eben diesem Bruder umsah.
„Bist du etwa ganz allein gekommen?"
„Nein nein. Mein Bruder musste aber ganz schnell weg und hat mich deshalb nur kurz reingebracht. Er muss in einem Buch etwas Wichtiges für sein Leben lesen." Ihre zarte Stirn legte sich in Falten, während sie ernst nickte.
Ich konnte mir ein leichtes Lachen nicht verkneifen und strich ihr beschwichtigend über den Arm: "Na dann hoffe ich mal, dass es ihm in seinem Leben wirklich weiterhilft. Geh ruhig schon mal in den Raum. Ich komme gleich nach."
Mit ihren kleinen Milchzähnen biss sie sich auf die Unterlippe und nickte aufgeregt, ehe sie auf Zehenspitzen in den Raum schlich.

Die Doppelstunde verging schneller als gedacht und ich hatte eine Menge Spaß mit den Kleinen. Zugegebenermaßen stand das Tanzen ein wenig im Hintergrund. Aber sowohl ich als auch die Kinder waren einfach nicht konzentriert genug für richtigen Unterricht, weshalb die zweite Stunde eher in einer Tobestunde endete. Mit geröteten Gesichtern und völlig aus der Puste sammelten die Kinder schließlich ihre sieben Sachen zusammen und fielen ihren Eltern erschöpft in die Arme.
„Da wird aber jemand heute gut schlafen", hörte ich eine Mutter lachen, während sie ihrem Sohn in die Jacke half.
„Es hat heute so Spaß gemacht", rief ein kleines Mädchen mit roten Zöpfen, die stark denen der Buchfigur Pipi Langstrumpf ähnelten. Mein Herz füllte sich mit Wärme bei ihren Worten und ich ertappte mich dabei, wie ich dümmlich vor mich hin grinste. Nach und nach leerte sich der Flur und als schließlich auch der letzte Vater mit seinem Kind die Schule verlassen hatte, schloss ich die Tür hinter ihnen ab.
Geschafft. Nun gab es nur noch einen Punkt an diesem Tag zu erledigen, bevor mein wohlverdientes und entspanntes Wochenende beginnen konnte.

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Wie ich wenig später von Kenny und Ruby erfuhr, fand die Semesterparty im Verbindungshaus von Craig Baker statt. Nicht, dass ich besonders viel über ihn wusste, aber wenn man den Gerüchten Glauben schenkte, genoss Craig Baker nicht gerade den besten Ruf. Seine  Liebe zu Frauen, Geld und Partys war auf dem ganzen Campus Thema, und sein Lebensstil als Draufgänger und Womanzier stand ihm buchstäblich auf die Stirn geschrieben.

Schon von weitem dröhnte uns die laute Technomusik entgegen und auch die Beleuchtung bestrahlte die ganze Straße. Wie ein Schloss thronte das riesige Haus am Kopf der Allee, welche in einer Sackgasse mündete. Ruby schien sich hier pudelwohl zu fühlen und plapperte aufgeregt vor sich hin. Mit hohen Schuhen und einer engen Jeans bekleidet stolzierte sie die Veranda hinauf, gradewegs auf Craig zu welcher jeweils in der rechten und linken Hand eine Flasche Bier hielt. Er begrüßte Ruby mit einem albernen Wangenkuss und überreichte ihr strahlend eine der beiden Flaschen. Kenny nickte ihm höflich zu, was Craig allerdings schon gar nicht mehr bemerkte. Viel zu sehr war er mit Ruby oder besser gesagt ihrem tiefen Ausschnitt beschäftigt. 

Der Kragen seines babyblauen Hemds war lächerlich hochgestellt, ebenso wie seine blonden Haare. Natürlich steckte das Hemd akkurat in seiner dunklen Jeans, welche von einem teuer aussehenden braunen Gürtel gehalten wurde. Craig sah gut aus. Dennoch würde es nicht schaden, wenn man ihm seinen Reichtum - oder besser gesagt den seines Vaters - nicht an seinem selbstgefälligen Lächeln ablesen könnte. Anscheinend schien es Ruby nicht im Geringsten zu stören. Mich überkam ein Gefühl des Ekels und am liebsten hätte ich auf dem Absatz kehrt gemacht, wäre da nicht Kenny gewesen. Aufmunternd nickte er mit dem Kopf in Richtung Garten und mit einem dankbaren Lächeln folgte ich ihm.

Wie zu erwarten strotzte es auch hier nur so von Daddy Bakers Geld. Eine weitläufige Terrasse grenzte direkt an einem ebenso riesigen Pool, der von betrunkenen Studenten belagert wurde. Trotz der eher kühleren Temperatur, die der Abend mit sich brachte, stürzten sich die meisten spärlich bekleidet in die Fluten. Die Ecken der Terrasse zierten griechische - aus Marmor gemeißelte - Statuen und auch auf dem gepflegten Rasen stand eine Bank aus demselben edlen Material. Dies war wohl mit Abstand das eleganteste Verbindungshaus was ich je gesehen hatte und wohl auch jemals sehen würde. Gleichzeitig stieg die Frage in mir auf, warum ein Verbindungshaus überhaupt solche Statuen im Garten brauchte, doch vermutlich war das so ein Status-Reichen-Ding, von dem ich eh nichts verstand.

„Ich gehe mal rein und hole uns was zu trinken", schrie Kenny mir ins Ohr und ließ mich allein, ohne auf meine Antwort zu warten. Ich sah, wie sein schmaler Körper in der Menge verschwand und fühlte mich prompt allein und fehl am Platz. Ich zog meine Jeansjacke enger um mich und verschränkte die Arme vor der Brust.

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Hallo Ihr Lieben,

heute mal ein etwas kürzeres Kapitel, dafür wird das nächste länger :)

Was meint ihr, wird Avery sich auf der Party noch wohlfühlen? Was haltet ihr von Craig?

Geht ihr gerne auf Partys oder seid ihr lieber zuhause? :)

Wenn euch das Kapitel gefallen hat, gebt mir gerne ein Herzchen. Auch über Kommentare jeder Art freue ich mich super doll.

Bis Mittwoch:)

Viele Grüße,

Carla <3

The Silent Side of LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt