10. Kapitel - Auf dem Heimweg

19 5 1
                                    

An Kenny dachte ich erst wieder, als der schrille Ton meines Handys einen Anruf ankündigte. Schon seit Ewigkeiten hatte ich mir vorgenommen mir einen anderen Klingelton auszusuchen, es jedoch immer wieder vergessen. Denn seien wir ehrlich, mich rief so gut wie nie jemand an. Was vor allem daran lag, dass ich Telefonate verabscheute und jeder in meinem näheren Umfeld das wusste.

Kennys sonst eher ruhige, fast schon monotone Stimme schmetterte mir mit einer ohrenbetäubenden Lautstärke aus dem Hörer entgegen.
„Avery! Wo bist du?" Auch Kenny klang nicht mehr ganz nüchtern, doch schien er immerhin noch klar denken zu können.
„Ich bin auf dem Weg zur U-Bahn Station", antworte ich gedämpft. Am anderen Ende der Leitung hörte ich, wie Kenny etwas ins Ohr geschrien wurde. Natürlich in das Ohr vor, welches bis eben noch der Hörer gehalten wurde, sodass ich das Handy zerknirscht von meinem Ohr nahm.

„Alleine?" Seine Stimme klang bestürzt und ich bemerkte, dass er nicht mehr schreien musste, was mich vermuten ließ, dass er in einen ruhigeren Raum gegangen war.
„Nein, nein. Natürlich bin ich nicht alleine unterwegs. Ich habe vor dem Haus zwei Mädchen kennengelernt und sie waren auch grade auf dem Weg dorthin", log ich, ohne rot zu werden. Ruby hätte diese Aussage sofort als Lüge enttarnt, denn sie wusste, dass ich nicht einfach mal eben zwei Mädchen fragen würde, ob ich mit ihnen zur U-Bahn gehen könnte. Doch Kennys mangelndes Wissen über meine sozialen Kompetenzen, kam mir nun sehr zugute. Wenn ich jetzt zugab, dass ich ganz alleine durch die Straßen zog, würde Kenny, ob Alkohol oder nicht, in das nächst beste Auto steigen und mich holen. Genau das hieß es zu vermeiden. Das Einzige, was ich wollte, war mich in mein Bett zu kuscheln und für den Rest meiner Tage mit keiner Menschen Seele mehr zu reden.
Ich hörte, wie Kenny erleichtert aufatmete. Ohne weiter auf ihn einzugehen, wünschte ich ihm weiterhin viel Spaß und bat ihn, sich zu melden, sobald er in seinem Studentenzimmer angekommen war. Seine Antwort wartete ich gar nicht mehr ab und legte auf.

-⁕-

„Lügen kannst du aber gut."
Zum zweiten Mal in dieser Nacht erschreckte mich eine tiefe männliche Stimme und ließ meinen Puls rasant in die Höhe schnellen. Ein panischer Blick über die Schulter genügte, um zu erkennen, dass es sogar dieselbe Stimme wie vorhin war. Grant.

Verwirrt über sein plötzliches Erscheinen blieb ich mitten auf der Straße stehen. Und das, obwohl mein Verstand mich mit roten Fahnen zum Wegrennen animierte. „Schau mich nicht so ängstlich an, Avery." Die Straßenlaternen erhellten sein Gesicht und gaben den Blick auf ein schiefes Grinsen frei. Sie reflektierten in seinen blauen Augen und ließen sie finster wirken. Seine markanten Kieferknochen stachen selbst in der Dunkelheit hervor. Hatte er mich so eben wirklich beim Namen genannt?

„Was ... was willst du ?" Ängstlich lief ich einen Schritt zurück und kam dabei fast ins Straucheln. Ob Name gemerkt oder nicht was war er bitte für ein gruseliger Typ? Er war mir gefolgt, obwohl er vorhin noch behauptet hatte, kein Entführer oder Mörder zu sein. Bestimmt war das nur Ablenkung gewesen. Mein Herz pochte kräftig in meiner Brust, als wollte es selbst wegrennen, wenn ich es nicht tat.

„Ich bin dir gefolgt und ja, ich bin mir durchaus bewusst, welchen Eindruck das auf dich macht. Aber ich möchte, nur sichergehen, dass du auch zu Hause ankommst."
Skeptisch kniff ich die Augen zusammen und musterte ihn von oben bis unten. Dunkelblaue Jeans umhüllten seine langen Beine und wieder einmal steckte seine rechte Hand in der Hosentasche, während die Linke eine Zigarette hielt. Erst jetzt stieg mir der beißende Rauchgeruch in die Nase und ich wunderte mich still und heimlich, wie mir der Geruch nicht schon viel eher auffallen konnte.
Grant musste meinen angewiderten Blick bemerkt haben, denn wie vorhin schnippte er seine Zigarette weg. Umweltsau.

„Ja ich weiß, ist ne doofe Angewohnheit. Ich versuche es mir abzugewöhnen, aber das ist nicht so leicht, wenn man einmal dabei ist."
Ich nickte langsam. Noch immer unsicher, ob er mich wirklich sicher nach Hause geleiten wollte oder ob er einfach verrückt war, ging ich ein paar Schritte weiter.

The Silent Side of LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt