4. Kapitel -Croissants im Tanzsaal

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Wie jeden Samstag, war ich mit Ruby zum Tanzen verabredet, weshalb sie um Punkt zehn Uhr vor der Tanzschule stand und darauf wartete, dass ich die Tür für sie aufschloss. Der Tag hatte schon mit heftigen Regenschauern begonnen und so wunderte es mich nicht, dass ich einer völlig durchnässten und mürrisch drein blickenden Ruby gegenüber stand. Sie drückte mir zur Begrüßung eine Brötchentüte in die Hand, in welcher sich vier Croissants, zwei für jede von uns, befanden.

Obwohl meine Mutter es gar nicht gerne sah, wenn wir im Tanzsaal aßen, gingen wir das Risiko erwischt zu werden doch immer wieder ein, da wir uns Samstagmorgens einfach nicht zu meiner Familie an den Frühstückstisch setzen wollten. Oder konnten. Denn dank meines Bruders, welcher sich seit seinem 15. Lebensjahr für alles spirituelle und philosophische begeisterte, war für alle Familienmitglieder um sieben Uhr Zeit zum aufstehen. Oder zumindest Zeit um aufzuwachen. Um sieben Uhr öffnete er seine Zimmertür sperrangelweit, um dem „Chi" einen besseren Fluss zu gewähren und drehte dabei die Musik bis zum Anschlag auf. Ohne Rücksicht auf Verluste oder auf noch schlafende Personen im Haus.

Je nachdem in welcher Lebensphase er sich gerade befand, hallten dann die kratzigen Gitarren Solos von Guns n' roses oder die samtigen Stimmen von einer x-beliebigen Boyband von seinen Wänden wider. Die Reaktion meiner Eltern auf Aidens Verhalten, war auch nicht das, was man wahrscheinlich erwarten würde. Meine Mutter sprang bei egal welcher Musik euphorisch aus dem Bett und fing an durch das ganze Haus zu tanzen, oder den Haushalt zu bewältigen, während mein Vater den frühen Weckruf dazu nutzte, eine entspannte Runde um den Block zu laufen. Selbst hier unten in der Tanzschule hörte man die Musik noch leise schallen, was Ruby und mir jedoch um zehn Uhr morgens auch nichts mehr ausmachte.
Außerdem waren wir auch schon viel zu vertieft in unser Gespräch.

„Beschreib' mir genauer wie er aussah. War er groß und muskulös oder eher groß und schmächtig?"
Wild gestikulierend stellte Ruby mit ihren kleinen Händen dar, was sie unter muskulös und schmächtig verstand. Natürlich wusste ich, worauf ich mich einließ, wenn ich Ruby von Riven erzählte, jedoch wollte ich ihr unbedingt von der kleinen Belle und demnach auch ihrem Bruder berichten. Das Ruby sich bei der Erzählung eher auf Riven fokussierte, hätte mir bewusst sein sollen.

„Wieso hast du ihn nicht gefragt ob ihr mal einen Kaffee trinken gehen wollt?" Nicht so enthusiastisch wie ich mir ihre Reaktion vorgestellt hatte, mümmelte sie an dem letzten Stück ihres Gebäcks und betrachtete ihre Frisur in dem großen Wandspiegel.
„Ich war überhaupt froh mit ihm geredet zu haben Ruby. Außerdem geht es mir doch gar nicht um ihn."
„Ja das glaube ich dir aber du hättest ja mal was wagen können. Ich meine du siehst ihn doch wahrscheinlich sowieso niemals wieder oder meinst du er bringt seine Schwester jetzt immer zum Ballett? Das macht er vielleicht einmal und dann übernimmt das hundertprozentig seine Mutter." Lässig wuschelte sie sich durch ihre Lockenpracht um ihren Haaren einen noch wilderen Look zu verpassen.

„Außerdem fängt unser erstes Semester am College übermorgen an, da wirst du hier sowieso nicht mehr soviel Zeit verbringen." Ein Blick in den Spiegel verriet ihr, dass sie es mit dem durchwuscheln ihrer Haare etwas übertrieben hatte, weshalb sie rasch versuchte das Chaos mit den Handflächen zu bändigen.
Ich spürte wie sich mein Magen bei ihren Worten umdrehte und ich hatte das Angst, dass Croissant gleich wieder zu Gesicht zu bekommen. Ich hoffte, dass ich trotz des Colleges weiterhin Zeit finden würde, in der Tanzschule auszuhelfen. Und natürlich wollte ich auch weiterhin Zeit mit meiner Familie verbringen, ihre Nähe genießen. Im Grunde genommen wünschte ich mir, dass sich nichts ändern würde, aber ich wusste, dass Veränderungen unvermeidlich waren. Bevor ich mich weiter in meiner Gedankenspirale verheddern konnte, widmete ich wieder meiner besten Freundin.

„Ich weiß nicht. Irgendwie wirkte er so verantwortungsbewusst. Ich glaube schon, dass er hier noch das ein oder andere Mal auftauchen wird. Und nochmal Ruby... es ging mir nicht um ihn." Ich wusste selbst wie lächerlich es klang von einem Jungen dem man einmal begegnet war zu behaupten, man wüsste über ihn und sein familiäres Umfeld Bescheid. Mit einem Prusten bestätigte Ruby mir dieses Denken.
„Na wir werden ja sehen. Wollen wir jetzt anfangen ?"
Rubys heutige Laune ließ mich genervt meine Stulpen hochziehen und meinen Pferdeschwanz straffen, ehe ich auf den Playbutton meines Handys drückte. Heute standen Pirouetten auf dem Plan, doch bevor wir damit anfingen absolvierten wir ein ausgedehntes Aufwärm- und Strechting Programm.

Nach zwei Stunden voller Pirouetten wechselte die klassische Musik zu einem der neuesten Bruno Mars Songs. Sichtlich erfreut über diesen erfrischenden Wechsel fingen Ruby und ich an wie wild durch den Raum zu springen, Pirouetten zu drehen und Elemente des Modern Dances einzubringen. Wir improvisierten was das Zeug hielt, bis wir schließlich am Ende des Liedes völlig erschöpft auf dem Boden zusammen sanken und uns zum ausspannen flach auf den Boden legten. Meine Muskeln taten auch nach all den Jahren des Tanztrainings weh und ich freute mich bereits auf die heiße Dusche.

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