15. Schlechte Laune ist ansteckend

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Hätte mir jemand gesagt, wie anstrengend das Studentenleben sein konnte, hätte ich mir das mit dem Studium wohl definitiv zweimal überlegt. Obwohl nein, hätte ich nicht, weil was hatte ich für eine andere Wahl, um irgendwie zu meinem Traumberuf zu gelangen, außer durch ein Studium?
Die nächsten Wochen waren vollgestopft bis oben hin. Wenn ich grade nicht lernte oder irgendeine Hausarbeit schrieb, versuchte ich so viel zu tanzen wie ich konnte. In ein paar Wochen fand das jährliche Benefiz-Weihnachtskonzert statt, und ich sollte unsere Tanzschule auf der Bühne repräsentieren.
Viel Zeit für meine Freunde blieb mir demnach nicht mehr, was ich aber um ehrlich zu sein, auch nicht weiter schlimm fand. Kenny machte seit Wochen mit einem schnöseligen Senior rum und laberte mir in jeder freien Minute die Ohren damit voll. Troian hing hauptsächlich mit Ruby ab, was mir nur Recht war. Die Einzigen, die sich wirklich ins Zeug legten, um mit mir Zeit verbringen zu können, waren Kayleigh und Grant.

Kayleigh und ich hatten nach der Party unsere Handy Nummern ausgetauscht und uns ein paarmal in der Mittagspause zusammen gesetzt. Einmal hatte sie mich gezwungen, mit ihr und ein paar Freundinnen feiern zu gehen, doch ich hatte mich überhaupt nicht wohlgefühlt und war früh nach Hause gegangen. Ich war eben das Gegenteil von einer typischen Studentin. Keine Studentenpartys, kein Alkohol im Überfluss, keine Drogen und kein Sex. Langweilig. Eintönig. Avery. Kayleigh war auch die Person, die mich und Grant wie verrückt shippte, seit sie an jenem Abend auf Rivens Party aufgewacht war und uns aneinander gekuschelt auf der Liege hatte schlafen sehen. Immer wenn Grant in meiner Nähe war, zog sie vielsagend die Brauen hoch oder nickte mit dem Kopf in seine Richtung.

So auch jetzt. Es war mittlerweile Ende November, der Herbst hatte San Francisco endgültig in ein farbenfrohes Blätterkleid gehüllt und mit 6,5 Grad Celsius war es wohl auch der kälteste Herbst, den ich je erlebt hatte. Bereits in Winterjacke und dicken Schal eingemummelt, saß ich mit Kayleigh in der Bücherei. Wir lernten jeder für sich. Kayleigh studierte Soziologie, obwohl ich nicht ganz verstand, wieso sie das tat. Sie wollte Schauspielerin werden, hatte ihr Auslandsjahr in Italien nach zwei Wochen abgebrochen, um in der Heimat Karriere-technisch durchzustarten.
Bisher hatte sie sich vor jedem Casting Termin gedrückt, da sie kurz vorher immer von Angst gepackt wurde und sich von ihr hatte mitreißen lassen. Ja, ganz richtig Kayleigh Young hatte Angst. Kaum zu glauben, wenn man sie sah, mit ihrem Nasenpiercing, den filigranen Tattoos auf den Armen und ihrem vor Selbstbewusstsein strotzenden Auftretens.

Schon lange bevor Grant sich an unseren Tisch setzte, fing Kayleigh an, wie wild mit den Augenbrauen zu zucken.
„Hör auf damit", zischte ich peinlich berührt und vertiefte mich in mein Buch. Oder zumindest tat ich so, denn bei dem Gedanken an Grant wurden meine Hände schwitzig und mein Magen schien sich einmal um die eigene Achse zu drehen.
„Hey ihr beiden", sagte Grant grade so laut, dass wir ihn hören konnten die anderen Lernenden sich jedoch nicht gestört fühlten.
Kayleigh nickte ihm zu.
„Hi", flüsterte ich.

Sobald Grant neben mir Platz genommen hatte, spürte ich, dass irgendetwas nicht stimmte. Irgendetwas an Grant war anders. Er wirkte ausgelaugt und kaputt. Sein Haar hing kraftlos herunter und seinen Augen fehlte der übliche Glanz. Von dem schelmischen Grinsen ganz zu schweigen.
„Ist alles in Ordnung? Du siehst fertig aus", fragte ich besorgt.
Sein Blick zuckte unsicher zu Kayleigh, welche auf einem Bleistift herum kaute und ihn über den Rand ihrer Lesebrille - zumindest bestand sie darauf, dass es nur eine Lesebrille war - scharf anschaute. Sie schlug ihr Buch auf, fixierte Grant jedoch weiter mit einem kritischen Blick. Was war denn jetzt hier los?
„Hab nicht so gut geschlafen", antwortete dieser schließlich und schlug ebenfalls ein Buch auf. Die Stimmung zwischen uns dreien war auf dem Nullpunkt. Obwohl nichts passiert war, zumindest nichts, von dem ich wusste, schien es, als hätte jemand den Temperaturregler auf minus fünf Grad gestellt.
Das wars dann wohl mit dieser Konversation.

The Silent Side of LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt