6. Kapitel - Für immer

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Da Sonntage noch nie zu meinen Lieblingen gehört hatten - und es wahrscheinlich auch niemals werden würden - schnappte ich mir nach dem Frühstück meinen Laptop und verzog mich in mein Zimmer. Die neue Folge Grey's Anatomy war diese Woche erschienen, und noch hatte ich keine Gelegenheit gehabt, sie anzusehen. Als ich mein Zimmer betrat, grüßte mich das übliche Chaos und ich nahm mir fest vor heute Abend auf jeden Fall noch aufzuräumen, um mit einem ordentlichen Gefühl in die neue Woche und noch dazu in mein erstes Semester am College zu starten. Auch wenn die Ordnung spätestens morgen früh Geschichte sein würde.

Mein Zimmer war ein relativ überschaubarer Raum mit hohen Decken. Im Gegensatz zu den in die Decke gesetzten LED Lichtern, welche in den anderen Räumen der Wohnung für Licht sorgten, hingen an meiner Decke etliche Glühbirnen an Lichterketten. Durch das warme Licht strahlten die in Vanille gestrichenen Wände eine noch gemütlichere und einladende Atmosphäre aus, als ohne hin schon. Zufrieden ließ ich mich auf meinem Bett, welches in der Ecke direkt unter dem großen Fenster platziert war, nieder und zog meine weiche Lieblingsdecke über mich. An der Fensterwand befand sich außerdem ein riesiges Bücherregal, welches allerdings mittlerweile nur noch spärlich gefüllt war, da die meisten meiner Bücher im Regal des Wohnzimmers standen. Dies aus dem einfachen Grund, dass ich lieber im Wohnzimmer las als in meinem Zimmer, da das riesige Panoramafenster, das Platten- und Bücherregal diesen Raum besonders sanft und warm wirken ließen. Auf meinem Schreibtisch thronte noch immer ein Turm von Büchern die ich für meine Vorlesungen besorgt hatte und eigentlich schon längst hatte sortieren und wegpacken wollen. Auf dem Boden vor meinem Kleiderschrank lagen Kleidungsstücke sowie meine Ballettschuhe und Socken herum. Ich angelte mit dem Fuß nach einem Kissen, ließ mich auf dieses sinken und fing an meine Lieblingsserie zu schauen.

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Ein lautes Rumpeln, ein darauf folgender Fluch und schließlich das Krachen einer Tür rissen mich aus einem kurzen aber dennoch erholsamen Schlaf. Müde rieb ich mir die Augen und streckte mich nach meinem Handy. Ich musste wohl eingeschlafen sein.
Die digitalen Ziffern auf dem Bildschirm verrieten mir, dass es bereits halb sechs am Abend war, und somit wohl höchste Zeit für den nächsten Tag alles vorzubereiten.
Schlaftrunken rappelte ich mich auf, als meine Zimmertür mit einem Ruck aufgezogen wurde. Ein Zucken ging durch meinen Körper und mit einem Mal sah ich mich meiner beste Freundin gegenüber, welche mich entgeistert aus dem Türrahmen heraus anstarrte.
„Avery! Alarmstufe rot", keuchte sie und fuhr sich grob durch ihre krausen, wohl noch vom Duschen nassen Haare. Generell sah sie aus, als käme sie ebenfalls grade aus dem Bett. Sie trug eine pinke Leggings mit kleinen Kätzchen drauf und dazu ein gelbes Top auf dem dick und fett das Wort Flawless prangte. Ein ungewöhnlicher Anblick, vor allem wenn man wusste, wie viel Wert Ruby darauf legte, in der Öffentlichkeit stehts gut gekleidet zu sein. Dazu war sie ungeschminkt, wodurch man ihre Akne Narben auf den Wangen sah. Normalerweise versteckte sie diese immer hinter einer dicken Make-Up und Concealer Schicht, da sie sich sonst unwohl fühlte.
Alarmiert forderte ich sie mit meinen Blicken auf, mir zu erzählen, was sie mit ihren Worten meinte. Sie sprang auf mein Bett, schnappte sich eins meiner flauschigen Deko Kissen und vergrub ihr Gesicht darin.
„Ich weiß einfach nicht ob es die richtige Entscheidung war", nuschelte sie, mit vom Kissen unterdrückter Stimme. Natürlich. Wie immer erwartete sie, dass ich ihr jede Information aus der Nase ziehen würde.
„Raus mit der Sprache Rubs", seufzte ich, während ich ihr unsanft versuchte, das Kissen aus dem Arm zu ziehen.
„Lass mir doch wenigstens den einen Anhaltspunkt im Leben", jammerte sie und machte wie ein kleines Kind klauenartige Bewegungen mit ihren Fingern, um das Kissen zurück zu ergattern. Erst jetzt fiel mein Blick auf ihren abblätternden roten Nagellack. Wenn sie selbst keinen Wert mehr auf perfekt lackierte Fingernägel legte, schien sie ernsthaft etwas zu bedrücken.
„Was für ein Anhaltspunkt? Wovon sprichst du?" Irritiert strich ich die Fasern auf dem Kissen glatt und legte es zwischen uns.
„Ab morgen werden wir zur Uni gehen, Ave. Ich weiß nicht, ob das wirklich der richtige Weg für mich ist. Ich meine, ich weiß nicht, ob Studieren das Richtige für mich ist. Ich weiß nicht, ob der Studiengang der Richtige für mich ist. Ich bin noch gar nicht bereit, solche Entscheidungen zu treffen. Man ich weiß doch noch nicht mal, was man am ersten Tag an der Uni anziehen soll!"

Niedergeschlagen schnappte Ruby sich wieder das Kissen, legte es in meinen Schoß und platzierte ihren Kopf darauf. Mit Tränen verschleierten Augen sah sie mich von unten herauf an. Behutsam strich ich ihr eine Strähne aus dem Gesicht ehe ich antwortete:
"Ach Ruby. Ich weiß genau, wie du dich fühlst. Glaub mir. Weißt du, was mich immer wieder aufbaut? Wir beide können eine weitere Phase unseres Lebens miteinander verbringen. Und hey, bisher haben wir doch alles gemeinsam geschafft oder etwa nicht? Weißt du nicht mehr, was wir beide uns damals im Kindergarten geschworen haben?" Ich spürte, wie nun auch mir die Tränen kamen, doch versuchte ich sie mit aller Kraft zurückzuhalten. Es reichte, wenn eine von uns beiden am Boden war.
Mit einem Lächeln auf den Lippen kullerte ihr eine Träne aus dem Augenwinkel und verkroch sich im gelben Stoff ihres T-Shirts.
„Wir beide gegen den Rest der Welt", schniefte sie und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.
Grinsend hielt ich ihr meinen kleinen Finger entgegen. Sie tat es mir gleich und hakte ihren Finger in meinen. „Für immer."

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Hallo Ihr Lieben,

vielen Dank, dass ihr das 6. Kapitel meiner Geschichte gelesen habt :)

Kann jemand von euch sich in Averys chaotischer Ader wiederfinden? Oder in Rubys Sorgen vor einer falschen Entscheidung bezüglich des Studiums?

Ich bin gespannt auf euer Feedback :)

Viele liebe Grüße,

Carla <3



The Silent Side of LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt