3. Kapitel - Überraschungsgast

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Ein letzter Blick durch die Glasscheibe, welche in die Tür eingelassen war, bestätigte meinen Verdacht, dass die Tanzstunde bereits wieder in vollem Gange war.
Die enge Wendeltreppe, die unsere Wohnung mit der Tanzschule verband, war mit Schuhen und Kartons, in denen sich vermutlich Paketlieferungen für meinen Bruder befanden, vollgestellt. Seufzend machte ich mich daran einige davon aufeinander zu stapeln, um den Aufstieg zu erleichtern, als ich das Zufallen der Eingangstür hörte und auch sogleich einen kalten Windstoß auf meiner Haut spürte. Bestimmt handelte es sich bei dem späten Besucher bloß um einen Elternteil, welcher sein Kind von der Ballettstunde abholen und vorher die Tanzstunde noch ein wenig beobachten wollte. Trotzdem sollte ich nachschauen und den Gast begrüßen, denn immerhin hatte die Tanzschule einen Ruf zu verlieren.

Schleunigst stellte ich die Kartons auf einer der oberen Treppenstufen ab, damit die Schüler und Besucher das Chaos nicht sahen und spähte um die Ecke um einen Blick auf den Gast zu werfen.

Doch das Einzige was ich sah, war ein kleines komplett in rosa gekleidetes Mädchen das an ihrem langen, geflochtenen Zopf knabberte und interessiert die Bilder an der Wand studierte. Besonders fasziniert zu sein schien sie von dem Foto, auf welchem ein junges Mädchen im Tutu eine kunstvolle Pirouette ausführte. Heimlich verfolgte ich wie sie ehrfürchtig ihre kleine Hand gegen das Glas des Bilderrahmens drückte und mit dem Zeigefinger hin und her wischte. Ich war mir sicher das Mädchen hier noch nie gesehen zu haben und fragte mich, wie sie ganz allein hierher gekommen war. Die Frage erübrigte sich jedoch sogleich, da die Tür abermals aufgerissen wurde und ein muskulöser Körper sich seinen Weg ins Innere bahnte.

„Da bin ich, Belle. Alles in Ordnung?" Das Mädchen schien völlig in ihrer Traumwelt versunken zu sein, denn ihr kleiner Körper machte einen Satz als die tiefe Stimme zu ihr durchdrang.
Immer noch um die Ecke spähend sah ich zu wie ein Mann sich neben sie hockte und leise mit ihr sprach. Wohlwissend, dass die beiden nicht umsonst den Weg durch die kalte Abendluft gemacht hatten, trat ich aus meinem Versteck und machte mich mit einem leisen Räuspern bemerkbar.
Der Kopf des Mannes fuhr zu mir rum, was ihm einige dunkle Locken in die Augen fegte.

Erst jetzt konnte ich sehen, dass er noch recht jung war. Er konnte nicht älter als 25 Jahre sein. Seine Wangen waren gerötet, und hoben sich deshalb stark von seinem hellen Hautton ab. Den Rahmen seinen Gesichts bildeten dunkle, dominante Augenbrauen, welche seinen markanten Zügen eine gewisse Härte verliehen. Sogleich verdammte ich mich dafür, nicht einfach sofort in die Wohnung gegangen zu sein, um dieser bevorstehenden Konversation aus dem Weg zu gehen. Denn ich wusste sofort, innerhalb der nächsten Sekunden würde mein Kopf die Farbe des Feuerlöschers neben der Tür annehmen und mein Mund nur noch hilflose Stottergeräusche von sich geben. Sein selbstsicheres Auftreten und dazu das charmante Lächeln, welches jetzt seine Lippen zierte taten auch sogleich seine Wirkung und ließen mein Selbstbewusstsein - oder eher das bisschen was ich jemals hatte - in Sekundenschnelle auf null sinken.

Mit großen Schritten kam er jetzt auf mich zu und ich spürte wie ich immer kleiner wurde.

„Guten Abend. Mein Name ist Riven Pearce. Es tut mir Leid, sie so spät noch zu stören, aber meine Schwester würde gern Ballettstunden nehmen und wir wollten uns mal nach den verfügbaren Kursen erkundigen."
Immer noch lächelnd hielt er mir seine Hand hin und sah mir auffordernd in die Augen. Still zwang ich mich dazu ruhig ein und aus zu atmen und seine Fragen einfach zu beantworten. Egal welche Hautfarbe, mein Gesicht dabei annahm, irgendwann müsse ja wohl auch eine Avery Picton es schaffen, mit einem Fremden des anderen Geschlecht zu kommunizieren. Vor allem wenn es nur um die Arbeit ging. Aus einem unerfindlichen Grund war es mir schon immer leichter gefallen mich mit Frauen zu unterhalten, als mit Männern.

Schwer schluckte ich den riesigen Kloß in meinem Hals hinunter und versuchte mich an einem zaghaften Lächeln. Meine Mundwinkel fühlten sich an, als würden sie von Zentner schweren Gewichten runtergezogen, doch ich zwang mich dazu, das schwerfällige Lächeln beizubehalten. Meinem Gegenüber schien es entweder nicht aufzufallen oder nichts auszumachen, denn er schüttele bloß freundlich meine ihm entgegen gestreckte Hand.

The Silent Side of LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt