17. Kapitel - Perfekter Freitagabend

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Glücklicherweise hatte Mum mir erlaubt, das Auto zu nehmen, und so parkte ich wenig später direkt vor dem Haus, in dem die Pearce-Familie lebte. Mit Claire auf dem Arm fühlte ich mich sicherer. Niemand hatte einen Grund, wegen meines plötzlichen Auftauchens sauer zu sein, denn immerhin brachte ich ihre Schwester nach Hause. Die sie vergessen hatten. Ich hatte natürlich trotzdem Muffensausen, als ich die Klingel betätigte und gleich darauf der Summer ertönte.

Mit einem 7-jährigen Kind auf dem Arm die 11 Stockwerke hochzukraxeln war noch mal eine ganz andere Stufe von Fitness, und als ich oben ankam, fühlte ich mich, als würde der Schweiß mir in Flüssen von der Stirn rinnen. Hoffentlich war dem nicht so.

Die Tür stand ein Stück weit offen, aber es war niemand zu sehen. Na toll, innerlich hatte ich gehofft, demjenigen, der aufmacht, einfach das Kind in den Arm zu drücken und zu verschwinden. Tja, es kommt immer anders, als man denkt oder es sich wünscht.
Mit dem Fuß schob ich die Tür weiter auf und trat über die Türschwelle.

„Hallo?" Krächzte ich und schlich ins Wohnzimmer.
„Hey Avery, was machst du denn h-?" Ich drehte mich in die Richtung, aus der die Stimme kam, welche beim Anblick der schlafenden Claire erstarb.
Riven stand vor mir. Seine dunklen Haare waren zerzaust, seine Augen wirkten geschwollen und rot und ein langer Blick in sein Gesicht ließ mich stocken. Er wirkte um Jahre gealtert, stand dort wie ein in sich zusammengefallener alter Mann. Irgendwie abgekämpft.
„Oh Shit. Ich hab total vergessen, Claire abzuholen." Er verschränkte die Hände hinter dem Nacken und legte den Kopf zurück. Augenblicklich tat er mir leid.
„Ist doch nicht schlimm. Hier ist sie ja. Soll ich sie direkt ins Bett bringen?" Eigentlich hatte meine Mutter mich beauftragt, Riven und Grant eine kleine Standpauke zum Thema Kinder pünktlich abholen zu halten, doch diesen Gefallen würde ich ihr im Anbetracht von Rivens Anblick nicht tun.

Rivens Augen wurden groß.
„Ehm... klar, wenn du das tun würdest. Ihr Zimmer ist dort."
Er zeigte auf die Tür neben dem Badezimmer.
„Ich komme sofort wieder", sagte er hektisch und verschwand Haare raufend im gegenüberliegenden Zimmer.
Ich trat die Tür zu Claires Zimmer auf und lächelte augenblicklich. Die Wände waren in einem gelben Pastellton gestrichen, mit ganz vielen Fotos und einem riesigen Wandbild von Tinkerbell verziert.

„So meine Kleine, jetzt bist du wieder zuhause", flüsterte ich und legte Claire behutsam in ihr Bett. Was hatte Riven bloß so wichtiges in seinem Zimmer zutun? Oder war es Grants Zimmer. Im Kopf ging ich die Türen des Flurs durch und kam zu dem Entschluss, dass es ein Zimmer zu wenig gab. Möglicherweise teilten Riven und Grant sich ein Zimmer. Ein Zupfen an meinen Haaren holte mich aus meiner Grübelei.

„Kannst du mir noch was vorlesen?" flüsterte Claire hinter vorgehaltener Hand, als erzähle sie mir ihr größtes Geheimnis.
Ich lächelte sie an und nahm ein Buch von ihrem Nachttisch.
„Die Schwanenprinzessin?"
Ihre Augen fingen an zu und strahlen während sie schläfrig mit dem Kopf nickte. So kam es, dass ich noch circa 15 Minuten auf Claires Bettkante saß und ihr das Märchen der Schwanenprinzessin vorlas. Als sie eingeschlafen war, klappte ich das Buch leise zu und wandte mich zum gehen. Ich erschrak, als ich sah, dass Riven im Türrahmen lehnte.

„Wie lange stehst du schon da?" fragte ich erschrocken und legte eine Hand auf mein Herz.
„Seit zehn Minuten ungefähr. Deine Stimme hat etwas beruhigendes", er grinste zwar, wirkte aber nicht minder erschöpft als noch vor einigen Minuten.
Mir fiel auf, dass er sich umgezogen hatte. Sein Haar war gestylt doch sein Blick wirkte nach wie vor leer. Wir gingen ins Wohnzimmer und setzten uns aufs Sofa.
„Gehst du heute noch weg?" fragte ich beiläufig, um ihn von seinen Freitagabendplänen nicht abzuhalten.
„Eigentlich wollte ich noch ein paar Dinge besorgen und noch einiges für die Arbeit erledigen aber ich bleibe lieber hier und kümmere mich um Claire und Grant."
„Grant ist hier?" rutschte es mir heraus.
„Ja in seinem Zimmer. Er ist zurzeit nicht so fit, deswegen schiebe ich Wache, falls er etwas braucht. Obwohl er jetzt grade schläft."
Sobald die nächsten Worte meinen Mund verließen, hätte ich am liebsten meinen Kopf gegen die Steinwand geschlagen.
„Ich könnte für eine Stunde aufpassen, dann kannst du die paar Besorgungen machen."
„Meinst du das ernst?"
Gute Frage. Irgendwie schon aber irgendwie auch nicht. Nein, hauptsächlich meinte ich es nicht ernst.
„Klar, sonst hätte ich es nicht gesagt." Lügnerin.
„Wow. Eh... vielen Dank. Dann mach ich mich direkt auf den Weg. Ich bin in einer Stunde wieder da. Fühl dich wie zu Hause."
Riven beugte sich zu mir herunter und umarmte mich dankbar.
Einen Atemzug später fiel auch schon die Tür ins Schloss. Laut seufzend lehnte ich mich auf dem Sofa zurück. Babysitten für ein kleines Mädchen und einen erwachsenen Mann. Wie schwierig konnte das schon sein.

The Silent Side of LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt