Lionella, Tigerin der Venus
In Einöden der weit entfernten Venus geboren
Schien ein schwarzes Kätzchen tief im Sternendunst verloren
Bis es einst von gutmütiger Hexe ward gefunden
Schrecklich ausgezehrt und vom Schmerze umwunden
Die halbmenschliche Dame mit feuerroter Haarespracht
Gab seither stets, dem Argus gleich, auf ihr einzig Kindlein acht
Jenes wuchs allmählich zur grazilen Tigerin empor
Welche mit Muttern gemeinsam sich der Magie verschwor
Als wohl imposanteste Katze dreier Galaxien
War ihr nunmehr der Name Lionella verliehen
Ein Auge funkelte immerfort in smaragdenem Grün
Ihr andres glich rotschimmernd dem reinsten Rubin
Meist ward das Raubtier am flauschigen Schweife erkannt
Der schier bedrohlich sich um Gruppen von Schauenden wand
Nah dem Schatten der Anakonda, von solch wundersamer Länge
Trieb jener ärgste Feinde flink in Lionellas Fänge
Manchmal tat die Tigerin bloß Lust am Müßiggang bekunden
Und verbrachte hoch im Hexenturme selige Stunden
Auf wolkig weichem Schlummerkissen, leicht zerbissen wie zerkaut
Da reich gefüllt mit venusianischem Katzenkraut
Fremde jedoch trachteten nach Lionellas Leben
Lauerten ihr morgens auf in finsterem Bestreben
Denn die Tigerin der Venus galt als schillerndes Juwel
Mit gemischtem Augenpaar anscheinend unnahbar und kühl
Die junge Hexe aber braute den mächtigsten Trank
Aus Windesbrisen, Wildkräutern und mancherlei Gerank
Um das einstige Findelkind ob aller Gefahren
Vor feigem Raub und gnadenloser Arglist zu bewahren
Niemand brach je den schützenden Zauberbann
Deshalb flanierte Lionella weitaus tapferer fortan
Durch ihr verträumtes Heimatdorf unter grell funkelnden Sternen
Oder schlief ganz friedlich dort im Lichte festlicher Laternen
Doch die langschwänzige Katze war weit über den Rand
Ihres kleinen Hoheitsgebietes hinaus bekannt
So pflegten Individuen beider Hemisphären
Lionella als lebende Legende zu verehren
Heute künden bloß Schriften aus erstorbener Zeit
Von venusianischen Tagen voller Seligkeit
Die Stimme jener Hochkultur scheint längst verklungen
Ihr Geist aber spricht noch aus Erinnerungen
Sternreisende bergen derweil das gebündelte Wissen
So wird der leblosen Venus das Gedächtnis entrissen
Bald haben die zweibeinigen, gar wundersamen Wesen
Lionellas Geschichte als wertvoll auserlesen
Während sie gläserne Kugeln über den Köpfen tragen
Samtweiche Ohren tarnend, die empor zur Sonne ragen
Bleibt manch buschiger Schweif zugleich sorgsam verhüllt
Sanft eingefasst im Schutzgewand aus ferner Katzenwelt
(2024)
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Gesammelte Gedichte
PoetryGesammelte Gedichte, die ich innerhalb des Zeitraums von 2012 bis 2024 verfasst habe. Nicht abgeschlossen, wird ständig erweitert.