Frei im freien Fall

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„Strike!"
Jubelnd drehte Bill sich um und hüpfte wie ein kleines Kind auf und ab. Cassia nippte an ihrem Cocktail und grinste den Sänger an. „Mich überholst du trotzdem nicht", verkündete sie und stand auf. Der Fernseher über der Bowlingbahn zeigte ihren ersten Platz schon seit einer Weile und sie hatte nicht vor, diesen kampflos aufzugeben.
„Du bist aber auch verdammt gut", stellte Gustav fest, der gerade sein nächstes Bier bestellte und Georg prostete ihr zu. „Ganz seiner Meinung."

Die Schwarzhaarige nahm eine der Bowlingkugeln zur Hand und verdrehte bei den Kommentaren die Augen, da ertönte Toms gereizte Stimme. „Schleimt doch nicht so, ist ja furchtbar!"
Er saß in der hintersten Ecke der roten Couch und starrte seit einer geschlagenen Stunde nur auf sein Handy, beteiligte sich weder am Spiel noch an Gesprächen und motzte, wo immer es ging. Bill schien das ebenso auf die Nerven zu gehen.
„Wenn du es hier so schrecklich findest, wieso bist du dann mitgekommen?", fragte er den Gitarristen, der die Schultern zuckte. „Keine Ahnung." „Dann fühl dich eingeladen, einfach zu gehen, wenn dir was nicht passt", erhob Gustav sein Bier in Toms Richtung. „Denn wir sind noch keine vierundzwanzig Stunden hier und du grummelst nur vor dich hin."
„Keine Sorge", mischte sich Cassia ein. „Das liegt bestimmt an mir. Einfach ignorieren."

Sie bemerkte den Blickwechsel nicht, der darauffolgte, da sie ausholte und die Bowlingkugel auf die Bahn brachte, sie rollte geradeaus nach vorne, traf auf die Kegel und schmiss alle bis auf zwei um. Sie ergriff die zweite Kugel und schaffte es, einen weiteren umzuwerfen, wodurch sie in Führung blieb. Triumphal drehte sie sich um bemerkte die drückende Stimmung der Jungs.
„Was ist los?"
„Ich glaube", stand zu ihrer Überraschung Tom auf. „Dass du eine Abreibung gebrauchen könntest." Er sagte es in einem derart dunklen, sündhaften Tonfall, dass Cassia sich erheblich zusammenreißen musste, um nicht zu erschauern. Der Gitarrist trat auf die Bahn zu und erstellte sich an deren Display ein weiteres Profil, wodurch er ein neues Spiel anbrach und die alten Spielstände einfach löschte, was vor allem bei Bill Protest auslöste. „Hey, das ist nicht fair!"
Tom beachtete seinen Bruder nicht, sondern tippte auch die Namen der anderen ein und trat schließlich an der Schwarzhaarigen vorbei, um sich eine Kugel zu schnappen. Dabei streifte seine Hand die von Cassia und ein Stromstoß durchfuhr sie beide. Sie zuckten zusammen und schauten sich einen Moment lang in die Augen, wobei Toms Blick zu ihren Lippen huschte, nur eine Sekunde, aber sie bemerkte es dennoch.

Die Schwarzhaarige trat von ihm weg und machte damit den Weg frei, Tom trat an die Bowlingbahn, holte aus und seine Kugel rollte geradewegs in die Kegel und schmiss alle auf einmal um.
„Strike!", ließ der Fernseher verlauten, Tom reagierte kaum, außer dass er einen Seitenblick auf Cassia warf, der nicht weniger als eine Herausforderung war, bevor er sich demonstrativ wieder setzte. Die Schwarzhaarige schmunzelte in sich hinein. Das versprach lustig zu werden.

Georg ergriff seine Bowlingkugel, danach Bill und Gustav und schließlich war Cassia an der Reihe, die ihre Bowlingkugel perfekt gezielt über die Bahn rollen ließ und ebenfalls einen Strike erzielte. Sie drehte sich um und zuckte in Toms Richtung triumphierend die Schulter. „Tut mir leid, aber leider wird das nichts mit der Lektion", meinte sie lächelnd und er lehnte sich zurück, um aus seinem Glas einen Schluck zu nehmen. „Abwarten", erwiderte er leise.

Fast eine Stunde später war Tom tatsächlich in Führung und deswegen in viel besserer Laune. Cassia setzte sich gerade hin, nachdem sie einen Fehlwurf einstecken musste und dadurch keine Punkte erhalten hatte. Sie ärgerte sich, denn wann immer einer der anderen dran war, berührte Tom sie wie zufällig, seine Finger streiften ihre Hüfte, berührten ihre Haare und ihren Rücken. Dadurch war ihr mittlerweile warm geworden, selbst in der klimatisierten Bowlinghalle und sie war unkonzentriert.
„Ich gewinne", meinte der Gitarrist hinter ihr leise, da die Schwarzhaarige gerade Georg dabei zusah, wie er ein paar Kegel umwarf und damit Bill knapp überholte. „Abwarten", wiederholte Cassia und versteifte sich, da Toms Hand ihre Wirbelsäule streifte, aber sie wollte sich nicht zu ihm umdrehen.
„So empfindlich wie du auf Berührungen reagierst, könnte man meinen, ich hätte dich zuvor nie angefasst", provozierte Tom sie und Cassia biss sich auf die Lippen. „Vielleicht werde ich einfach nur nicht gern betatscht von jemandem, der mein Leben kaputtgemacht hat."
„Ich mache es wieder gut", bot er ihr dreist an. „Wenn du mich lässt."
Diesmal drehte sich Cassia tatsächlich um und funkelte ihn wütend an. „Du bist ein Arsch, weißt du das?"
„Wenn ich jedes Mal fünf Euro bekommen würde, wenn das eine Frau zu mir gesagt hat, hätte ich schon vor Jahren aufhören können, Musik zu machen", grinste der Gitarrist überheblich. „Trotzdem sollten wir einen Gewinn aushandeln, findest du nicht?"
„Nein", antwortete Cassia und wollte demonstrativ aufstehen, doch Tom war schneller als sie und ergriff ihren Oberarm, sodass sie beinahe beim Versuch aufzustehen, getaumelt und auf seinem Schoß gelandet wäre.
„Tom!"
„Komm schon", sagte dieser herausfordernd. „Oder hast du Angst, dass du verlierst." „Nicht wirklich. Aber ich habe keine Lust, deine Trophäe zu sein", erwiderte Cassia trocken und riss sich los. Tom zog die Augenbrauen hoch. „Ich bitte dich. Keine Panik, ich war vorher bei Heidi, ich bin für heute zufrieden."

Cassia riss erschrocken die Augen auf und stand mit einem Mal auf den Beinen. „Das ist gegen unsere Vereinbarung", meinte sie ernst und er grinste arrogant. Am Rande bemerkte sie, wie die anderen drei sich verdutzt umdrehten. „Du weißt ja keine Details", zuckte Tom die Schultern und lächelte süffisant. „Aber wir können es nachspielen, wenn du mich lieb fragst."
Die Schwarzhaarige wusste nicht, warum ihr plötzlich und unerwartet die Tränen in die Augen schossen und sie blind machten. Dieses verdammte Arschloch! Nicht einmal an ihre jetzigen Forderungen konnte er sich halten, obwohl sie sich dazu erniedrigen ließ, seine Freundin zu spielen. Tom schien das alles wie einen Witz zu sehen, sie war seine Spielfigur und auch noch selbst schuld daran!
„Weißt du was?", fragte Cassia mit bebender Stimme. „Du kannst mich mal! Mach dir nicht die Mühe mich zum Prozess anzumelden, ich bin raus! Nicht einmal jetzt, wo ich dir den Arsch rette... egal, es spielt keine Rolle. Ich packe meine Sachen und verschwinde."
Sie schnappte ihre Tasche von der Couch und war weg, bevor einer der vier Männer reagieren konnte, doch es dauerte nur wenige Sekunden, bis sie Toms Stimme hinter sich hörte.

„Cassia, jetzt warte doch mal."
Die Angesprochene drückte die Tür der Bowlinghalle auf, lief am Empfang vorbei, wo die Mitarbeiter sie verwirrt musterten und kam ins Freie. Sie war nicht einmal halb über den Parkplatz, da holte Tom sie ein. Seine Hand packte ihren Arm und drehte sie herum.
„Verstehst du jetzt gar keinen Spaß mehr?", fragte der Gitarrist nur und hielt sie weiterhin fest, selbst als Cassia sich losreißen wollte. „Lass mich zufrieden! Es wäre sowieso das Beste, wenn ich verschwinde!" „Überhaupt nicht, in diesem Prozess brauchen... brauche ich dich", presste er hervor und entlockte ihr damit tatsächlich ein müdes Lächeln. „Wie viel Stolz es dich kostet, allein das zuzugeben! Unfassbar! Als wäre ich diejenige, die dir etwas angetan hätte."
„Das hast du", unterbrach Tom knurrend. „Seit du hier bist, forderst du mich geradezu heraus." „Das Problem hast du bald nicht mehr, denn ich gehe ja jetzt", erklärte Cassia würdevoll und er zog sie dichter zu sich. „Und wie willst du nach Hause kommen? Du kennst weder den Türcode, noch wirst du um diese Zeit ein Taxi erwischen."
„Das ist allein meine Sache und geht dich nichts mehr an. Viel Glück beim Prozess", fauchte Cassia und schaffte es endlich, sich aus seinem Griff zu befreien. „Und viel Spaß mit Heidi."
Sie stapfte davon, mit wild klopfendem Herzen und noch immer tränenden Augen. „Cassia, verdammte...", hörte sie Tom hinter sich fluchen, dann hob er die Stimme. „Herrgott, komm wieder her! Es tut mir leid, okay! Das war nicht mein Ernst, es ist nichts passiert, also beruhig dich mal wieder!"

Cassia war schon dabei stehenzubleiben, lief dann aber schnurstracks weiter, trotz ihrer Überraschung darüber, dass er sich entschuldigt hatte. Das musste ein Rekord sein, eigentlich war Tom jemand, der sich nie ohne Diskussion entschuldigte. Sie hörte seine schnellen Schritte hinter sich.
„Steig in den Wagen, ich bringe dich zur Villa. Los, Cassia, komm schon", sagte er ernst und wollte ihre Hand ergreifen, doch sie entzog sich wieder. „Lass mich in Ruhe!"
„Hör mir zu, wenn jemand uns gerade fotografiert, dann bist du irgendwann zu tief drin und kommst um eine Aussage nicht mehr herum. Also reiß dich zusammen und steig in den Wagen", fuhr er sie an. „Wir reden zuhause, ich sagte dir doch, dass ich dich absichtlich provoziert habe, das machst du seit du hier bist!"
Cassia bremste sich aus und wagte es sich zu ihm umzudrehen. Tom sah ihre Tränen und hielt inne, da er gerade nach ihr greifen wollte. „Was-? Cassia, ich habe dich nur verarscht, ich habe nicht gegen deine Forderungsliste verstoßen, ich habe sie nicht gefickt!"
„Wo ist das Auto?", wollte die Schwarzhaarige mit Grabesstimme wissen.
„Cassia-"
„Wo steht dein scheiß Auto!?"
Der Gitarrist schaute sie unschlüssig an. „Um die Ecke", antwortete er dann langsam. „Aber ich fahre dich nur, wenn du nicht fliegst."
„Du hast mir keine Befehle zu erteilen", zischte Cassia zornig, er hob die Hände. „Ich schwöre dir, es war nicht so. Ich habe sie nicht angefasst, seit das mit uns läuft und auch keine andere. Du weißt, wenn ich lüge. Also erkennst du ja selbst, ob ich die Wahrheit sage. Daher habe ich gegen nichts verstoßen und du hast keinen Grund nach Hause zu fliegen."
„Ich habe allen Grund dazu", flüsterte die Angesprochene tonlos. „Weil du mich um jeden meiner Nerven bringst, seit du vor meiner Tür gestanden hast."

Es dauerte ein paar Momente, bis Tom das verarbeitet hatte. Schließlich sagte er: „Wir wussten beide, dass es eine Herausforderung werden würde. Es ist schlimmer als erwartet, ja. Aber du kannst mir glauben, dass ich keine Frau hatte, seit ich bei dir war."
Es wurde still zwischen den beiden, bis Cassia ergeben ausatmete. „Schön. Jetzt bring mich zu deinem scheiß Auto, ich will zurück."
Tom scannte sie einen Moment von oben bis unten und einen Moment lang hatte die Schwarzhaarige das dumpfe Gefühl, dass er ihr etwas sagen wollte. Doch er schwieg, ging nur an ihr vorbei und um die Halle herum, wo der schwarze Porsche stand. Cassia riss die Beifahrertür auf und setzte sich in den Wagen. Tom startete den Motor und über die gesamte Heimfahrt schwiegen sie sich an, bis sie auf den Hof fuhren und Cassia so schnell ausstieg, als würde gleich der Wagen explodieren.

„Wieso bist du wütend auf mich?", wollte Tom wissen, Cassia lief um das Fahrzeug herum in Richtung Haustür. „Ich habe dir gesagt, dass es nicht mein Ernst war."
„Dann versetz dich in meine Lage und denk mal aus der Sicht eines anderen, statt immer nur deiner eigenen!", drehte Cassia sich angepisst um. „Wenn ich einen Mann hätte, der getrennt von mir lebt wegen einem Missbrauchsprozess und du müsstest meinen Freund spielen, obwohl ich dir so sehr wehgetan habe... und dann sage ich dir plötzlich, dass ich bei ihm war und mit ihm gefickt habe! Scheiße, fändest du das lustig?"
Sie sah, wie Tom sich anspannte, sein Kiefer mahlte. „Ich würde ihn umbringen", zischte er schließlich. „Egal, ob gefickt oder nicht."
„Und du hättest genau so wenig das Recht dazu, wie ich. Alles außer Sex ist erlaubt und das habe ich nur aufgeschrieben, weil es dich abfucken sollte!", erklärte Cassia und zerrte ihr Handy aus ihrer Tasche. Tom stöhnte auf. „Ich wollte dich nur ärgern, ich war lediglich bei ihr, um etwas wegen der Scheidung zu klären! Bist du jetzt zufrieden?"

Cassia wollte etwas zurück zicken, hielt dann jedoch inne. Der Gitarrist schloss das Auto ab und lief an ihr vorbei und ins Haus. Die Dunkelhaarige blieb auf dem Hof zurück und ihre Gedanken überschlugen sich. Tom und Heidi würden sich scheiden lassen? Aber wieso? Nach dem Prozess war alles vorbei und es war bisher kein Tropfen an die Öffentlichkeit gelangt. Sie hätten danach einfach wieder Zusammensein können. Dennoch erwischte Cassia sich bei dem Gedanken, dass sie davor nie darüber nachgedacht hatte, ob Tom und Heidi wirklich getrennt waren. Sie hatte mit ihm geknutscht, sich von ihm berühren und fast befriedigen lassen, völlig den Hintergrund ausblendend, dass er noch verheiratet war.

Als sie sich nach einer Ewigkeit wieder bewegen konnte, betrat Cassia die Villa und schmiss ihre Sachen achtlos auf den Esstisch. Ihr war heiß und sie schwitzte am ganzen Körper. Sie war müde und fühlte sich kraftlos. Als wäre eine Herde Elefanten über sie hinübergetrampelt.
Irgendwie fühlte sie plötzlich Schuld in ihrem Bauch. Wieso war sie nie auf die Idee gekommen, Tom nach seiner Beziehung zu Heidi zu fragen? Sie schmiss sich ihm an den Hals und dachte dabei gar nicht daran, dass er eventuell wieder mit ihr eine Beziehung führen wollte. Hatte sie diese Ehe kaputtgemacht, weil er sich auf ihre Provokation eingelassen hatte? Rache hin oder her, eine Beziehung kaputt zu machen, war nie Cassias Absicht gewesen.

Ein lautes Platschen ließ sie aus ihren Gedanken erwachen und sie verließ das Esszimmer, um in den Garten zu schauen. Tom hatte sich wohl für eine Abkühlung entschieden, denn er drehte gemächlich eine Runde im Pool. Mitsamt Kleidern.

Cassia wusste nicht, welcher Teil ihres Gehirns sich dazu überredete, die Tür zum Garten zu öffnen und ins Freie zu gehen. Sie zog ihre Sandalen aus und trat auf den Pool zu, wo der Gitarrist seine Bahnen schwamm. Er musste sie bemerkt haben und dennoch machte er damit weiter.
Die Schwarzhaarige schaute ihm eine Weile zu, bevor sie eine Nachricht an Bill schickte, dass er sich keine Sorgen machen musste und sie die Situation geklärt hatten. Dann legte sie ihr Handy auf den Tisch der Terrasse und setzte sich vorsichtig an den Beckenrand, wo sie die Beine ins Wasser hielt, durch die kurze Hotpants konnte sie sich schön runterkühlen. Sie betrachtete Tom beim Schwimmen, das Spiel seiner Muskeln unter der Haut, seine konzentrierten Gesichtszüge. Der Gedanke daran, dass die für diesen Mann einmal mit dem Kopf voran in eine Kreissäge gelaufen wäre, ließ sie schaudern. Vielleicht war Tom Kaulitz tatsächlich dieser eine Mann, den es im Leben jeder Frau gab. Der Mann, den man einfach nicht aus seinen Gedanken verbannen konnte.

Schließlich lehnte Tom sich mit den Armen auf dem Beckenrand neben ihr ab und atmete tief durch. Cassia schaute auf die Wellen im Pool und eine Weile schwiegen sie sie sich an, bis sie ihrer Stimme genug traute, um das Wort zu ergreifen.
„Warum lasst ihr euch scheiden?", wollte sie wissen und traute sich nicht, ihn dabei anzusehen. Tom strich sich die nassen Haare aus dem Gesicht. „Was geht es dich an?", fragte er zurück und das mit einem Tonfall, der eindeutig so klang, als wäre das Thema sehr grenzwertig. Die Schwarzhaarige blickte zu ihm herunter und seine braunen Augen bohrten sich in ihre. „Mein Gott, sag doch einfach, wenn du in Ruhe gelassen werden willst, Idiot", murmelte Cassia und wollte gerade aufstehen, da entschied sich Tom doch für ein paar mehr Worte.
„Wir lassen uns scheiden, weil sowieso nichts mehr so wie vorher ist. Ich habe keine Geheimnisse vor Heidi und daher ist es das Beste so", erklärte er, ohne die Augen von ihrem Gesicht zu nehmen. Die Dunkelhaarige schluckte hart. Der Kloß in ihrem Hals schmerzte. „War das wegen mir?", fragte sie dünn. „Weil ich dich provoziert habe, dass du... bist du wegen mir fremdgegangen?"

Sie hatte beinahe Angst vor der Antwort, doch Tom schüttelte langsam den Kopf. „Nein", erklärte er ruhig. „Es war nicht deine Schuld. Es war meine Entscheidung und das habe ich ihr auch gesagt. Ich habe ihr gesagt, wer du bist und wer du mal warst... sie hat es verstanden, da wir sowieso getrennt gelebt haben und sie war mit der Scheidung einverstanden. Ich bin ihr weder fremdgegangen, noch konntest du etwas dafür."
„Wir hatten noch etwas vereinbart, Tom", wisperte Cassia und fühlte sich zehn Kilo schwerer. „Keine Lügen, erinnerst du dich?"
„Ich bin ihr nicht fremdgegangen", wiederholte der Gitarrist und sie sah, dass dieser Teil stimmte. Doch zum Rest sagte er nichts, weswegen sie auf ihre Beine hinabschaute und den Blickkontakt unterbrach. „Dann muss ich mich auch entschuldigen, wie es aussieht", brachte sie über die Lippen. „Denn deine Ehe wollte ich nicht zerstören."
„Nein, hör auf", wehrte Tom ab und Cassia erschreckte ein wenig, als seine kalte Hand sich auf ihren Oberschenkel legte. „Das war nicht deine Schuld", behaarte er und auch hier war keine Lüge in seinen Augen. Er leckte sich über die Lippen und spielte mit seinem Piercing, wie immer, wenn er nervös war. „Aber ich leugne nicht, dass du eine gewisse Rolle gespielt hast. Nicht so, wie du denkst. Aber ich hielt es für das Beste, meine Beziehung zu Heidi zu unterbinden, bevor ich ihr wehtue. Weil ich mich selbst kenne und... wusste wie ich auf dich reagieren könnte und als ich dahinterkam, was du geplant hast, wollte ich Heidi das ersparen."

Cassia fühlte sich, als hätte ihr jemand eine reingehauen. „Tom, wenn du das nur einmal erwähnt hättest, nur einmal! Dann hätte ich damit sofort aufgehört!" „Vielleicht wollte ich das nicht", widersprach der Gitarrist rau. „Vielleicht wollte ich auch einen Ausweg und es war am bequemsten so, dann musste ich mich nicht mehr schlecht damit fühlen, dich zu wollen, als dieses Spiel anfing. Gib dir nicht die Schuld an einer Entscheidung, die ich getroffen habe, Cassia. Du hattest nichts damit zu tun. Zumindest nicht absichtlich."
„So fühlte es sich aber an", nuschelte diese mit zitternder Stimme und fuhr sich durch die Haare. „Ich hatte solche Angst, dass du mir jetzt sagst, ihr wärt immer noch zusammen."
„Ich gehe nicht fremd", unterbrach Tom kalt und sie blickte verschreckt hoch. „Nein, so war das nicht gemein, ich-... ich dachte nur... ich wollte wissen, ob du mir die Schuld darangibst, dass du diese Entscheidung treffen musstest."
„Du hast dich entschieden, deine Rache zu wollen", sagte Tom ruhig. „Ich habe mich entschlossen, dich das tun zu lassen. Nichts davon hat darauf abgezielt, Heidi eins auszuwischen und daher erneut ein Nein, Cassia. Ich gebe dir nicht die Schuld daran, aber ich würde gern aufhören, darüber zu reden. Das ist nämlich momentan eine der Dinge, über die ich nach dem Prozess nachdenken möchte."

„Natürlich", nickte Cassia ernst. „Das verstehe ich. Ich wollte nur sagen..., dass ich keine Ehe kaputtmachen wollte, egal wie sehr ich dir eins auswischen will, das wäre zu weit gegangen." „Du warst schon immer zu gut für diese Welt", stellte Tom fest. „Eigentlich müsstest du mir jede Nacht die Eier in deinem Glätteisen einklemmen, wenn ich schlafe."
Die Schwarzhaarige schmunzelte. „Bring mich nicht auf Ideen."
Tom setzte ein diebisches Lächeln auf und ehe Cassia auf diese eindeutige Gefahr reagieren konnte, hatte der Gitarrist sie gepackt und nach vorne gezogen. Sie verlor den Halt und fiel vornüber ins kalte Poolwasser, wo sie Sekunden später prustend auftauchte.

„Tom, du bist so ein elender-"
„Nana! Wir wollen doch nicht ausfällig werden", lachte dieser von irgendwo und Cassia strich sich die langen Haare aus dem Gesicht. Tom stand zwei Meter von ihr entfernt und lachte sich gerade kaputt. „Du brauchtest dringend eine Abkühlung, deine Haut glühte fast", verteidigte er sich und duckte sich gerade rechtzeitig weg, als Cassia auf ihn zu hechtete und ihn unter Wasser drücken wollte. Stattdessen ergriff er ihre Hüfte und ließ sich mit ihr nach hinten fallen. Erneut wurde die Schwarzhaarige von Wasser umfangen und tauchte hustend wieder auf.
„Schon gut, ich ziehe den Angriff zurück!", schrie sie halb lachend, da sie noch immer Luft holen musste. „Sonst ertränkst du mich noch." Tom war gerade dabei gewesen, erneut nach ihr zu greifen und hielt zufrieden inne.
„Na schön", gab er nach. „Frieden?"
„Frieden... in gewisser Weise", gab Cassia zurück und legte den Kopf in den Nacken, da das Wasser angenehm kalt war. Ihre Kopfhaut nahm die Kühlung gerne an und sie seufzte wohlig. Bill hatte recht, sie hätte den Pool schon viel öfter nutzen müssen.

„Cassia", ertönte Toms Stimme ziemlich nahe bei ihr und als die Schwarzhaarige den Kopf hob, bemerkte sie erschrocken, dass er direkt vor ihr stand und sie musterte. Der Pool war an der Stelle gerade so tief, dass sie beide stehen konnten, wobei Tom einen Kopf größer war als sie. Augenblicklich wusste Cassia, was in ihm vorging und hielt erschrocken die Luft an. Der Gitarrist drängte sie zurück, bis ihr Rücken an die Wand des Pools stieß und streichelte ihr Gesicht. Obwohl sie nass bis in die Haarspitzen war und bis zum Hals im Wasser stand, wurde ihr bei seiner Berührung heiß. „Du bist so schön", hörte sie sein murmeln. „Ich weiß schon, wieso ich dich gerne hinter den Kulissen versteckt habe, bevor irgendein arroganter Vollidiot noch sein Auge auf dich werfen konnte.
„Genau das ist doch passiert", meinte Cassia gespielt verdutzt und er nahm den Seitenhieb mit einem leichten Schmunzeln zur Kenntnis. „Ich war das Schlimmste, was dir passieren konnte", murmelte er dann und schaute seinen Fingern dabei zu, wie sie ihre Gesichtszüge nachzeichneten. „Nein, warst du nicht", widersprach Cassia ihm, zu ihrer eigenen Überraschung. „Durch dich habe ich auch viel über mich selbst gelernt und mein Selbstbewusstsein hast du auch ziemlich gestärkt."
„Das ganz bestimmt", gab Tom ihr recht und schluckte tief. „Trotzdem ist es nicht richtig, dass ich dich nach all der scheiße immer noch will. Ich sollte mich von dir fernhalten, zu deinem und meinem Schutz." „Das hat noch nie funktioniert", wisperte Cassia dünn. „Damals schon nicht und jetzt wohl noch weniger. Wir sind einfach krank, wir beide."
Tom nickte nur und schaute ihr tief in die Augen. „Ich werde dich bald vor Gericht zerren, hast du keine Angst?"
„Nein", gab Cassia ehrlich zu. „Ich fürchte mich nicht vor ein paar lügenden Tussen, vor allem dann nicht, wenn sie der Band und dir schaden möchten. Völlig egal, was passiert ist, das verdient niemand und jemanden zu beschuldigen, nur weil der eigene Stolz gelitten hat, ist nicht richtig."

Sie erkannte ein sanftes Funkeln in den Augen des Gitarristen. „Das ist mein Mädchen", hörte sie ihn dann flüstern, so leise, dass sie kurz sicher war, ihre Fantasie hätte die Worte projiziert. Sie löste den Blickkontakt und schaute schwer atmend auf Toms Brust. Sein Shirt klebte ihm am Körper und zeigte die Kurven seiner Muskeln darunter.
Das war falsch. Sie sollte diesem Mann nicht nah sein wollen, er hatte ihr wehgetan! Er war dafür verantwortlich, wie ihr Leben die letzten Jahre gewesen war und dafür hasste sie ihn. Zumindest ein Teil von ihr, der andere Teil wollte ihn nicht hassen. So sehr sie es auch unterdrücken wollte, ein Teil von ihr wollte bei ihm sein.
Toms Finger legten sich unter ihr Kinn und hoben es an, sodass sie ihn ansehen musste. „Versteck dich nicht vor mir, Cassia", raunte er ihr zu. „Sonst muss ich dich suchen kommen."
Die Schwarzhaarige schluckte tief. Tom hatte schon immer genau gewusst, wie er mit ihr reden musste und das war bis heute der Fall. Der Gitarrist lehnte sich näher an sie.

„Darf ich-", begann er und unterbrach sich kurz. „Ich würde es dir durchaus zutrauen, mir eine runterzuhauen. Aber darf ich dich küssen?", fragte er und Cassia wollte zurückweichen, doch die Wand des Pools war ihr im Weg. Sie schaute Tom bedeutungsschwer an, ihre Lippen kribbelten.
Sie wusste nicht, warum sie nickte. Sie wusste auch nicht, ob er oder sie anfing, aber schon im nächsten Moment lagen ihre Lippen aufeinander. Tom legte seine Hände unter Wasser an Cassias Hüfte, glitt nach hinten zu ihrem Rücken und schließlich wagte er sich weiter und legte sie auf ihren Po. Sein Mund bewegte sich auf ihrem, die Schwarzhaarige schlang die Arme instinktiv um seinen Hals und presste sich dicht an ihn. Tom umfasste ihren Hintern ein wenig fester, sie verstanden sich ohne Worte, Cassia gab dem Druck nach und ließ sich von ihm ein hochheben, sodass sie die Beine um seine Hüfte schlingen konnte.
Durch das Wasser lag die Kleidung so eng am Körper an, dass sie sofort alles an Tom spürte und dieser vertiefte den Kuss, was die Schwarzhaarige leise seufzen ließ. Scheiße, er hatte das immer noch drauf. Der Gitarrist tauchte seine Zunge in ihre Mundhöhle und sie tastete sich an seiner Brust herunter und ihre Hand glitt ins Wasser und immer tiefer, bis sie ihre Finger umständlich unter sein Shirt schieben konnte. Sie ertastete seine Bauchmuskeln und unter ihrer Berührung spürte sie sein Zittern, was sie grinsen ließ.

So hätte es ewig weitergehen können, wenn sie nicht in diesem Moment eine zornige Stimme aus ihrer Blase katapultiert hätte.
„Scheiße, was ist nur los mit euch beiden!", schrie Bill erzürnt und sie schreckten auseinander.


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