Vergessene Kinder

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„Das ist nicht dein fucking Ernst!?"
Cassia schaute in das Gesicht ihres besten Freundes, auf dem die Fassungslosigkeit stand. „Du willst mir weißmachen, dass Tom Kaulitz vor deiner Tür stand? Gestern Abend? Und er verlangt, dass du seine Freundin spielst, weil er bis zum Hals in der Scheiße steckt? Kneif mich mal einer! Nach sieben Jahren, will der Kerl deine verfickte Hilfe?"
„Sehr gut zusammengefasst", bestätigte Cassia angesäuert und nahm einen Schluck aus ihrer Tasse. „Er sagt außerdem, dass ich dafür praktisch alles im Gegenzug verlangen kann und er ist auch bereit, mir jede Summe dafür zu zahlen."
„Du hast hoffentlich seinen Schwanz mit den Glätteisen bearbeitet und ihn achtkantig vor die Tür gesetzt?", fragte Marius wütend und starrte sie förmlich nieder. Cassia schluckte schwer. Ihre beste Freundin Jenny schaute sie noch immer an, als wäre sie von Dämonen besessen. Sie hatte bisher noch gar nichts dazu gesagt. Cassia holte Luft.

„Das... also zuerst habe ich darüber nachgedacht, seine Handynummer auf Instagram zu veröffentlichen und darunter zu kommentieren, dass falls man verarscht werden möchte, man sich hier melden kann... Aber danach kam Elisa nach Hause und... sie war gekleidet wie eine Nutte, sturzbetrunken und konnte heute Morgen wieder nicht zum Zeitungsaustragen auftauchen. Der Chef meinte, wenn das nochmal vorkommt, kündigen sie ihr. Das ist das vierte Mal diesen Monat und... sie hatte mehr als hundert Euro dabei, Marius... keine Ahnung, woher sie es hatte... aber wenn sie anfängt zu klauen, nur weil sie mitbekommt, dass ich uns nicht mehr über Wasser halten kann."
„Hey, Cassia! Du musst hier keinen über Wasser halten, du bist nicht ihre Mutter! Du tust, was du kannst!", unterbrach ihr bester Freund und legte seine Hand auf ihre. In dem ruhigen Café am Stadtrand war zum Glück an diesem Morgen nichts los.
„Aber es reicht nicht!", sagte die Schwarzhaarige verzweifelt. „Wir sind mit der Miete im Rückstand, nächsten Monat stellen sie uns wieder das Internet ab. Wie soll Elisa lernen? Wenn sie uns dem Strom abschalten, kann ich nicht mal mehr kochen..."

„Er wusste das doch", zischte Marius zornig. „Du sagtest, Tom weiß von den Schulden. Das ist ein Spiel für ihn, Cas! Er will dich nur wieder in seiner Reichweite, um seine kranken Spielchen mit dir abzuziehen! Wieso sonst taucht er auf und bietet dir Geld an?"
„Aber wir brauchen es", flüsterte Cassia kraftlos, Marius schüttelte den Kopf. „Ich leihe dir was! Wie viel brauchst du!"
„Ich möchte kein Geld von dir, du brauchst es wirklich selbst! Und meinen Vater kann ich nicht fragen, er ist nicht bereit, Elisa und meine Mutter durchzufüttern, er würde nur mir etwas geben und dann auch nur, wenn er sicher wäre, es bekäme keine der beiden einen Cent davon!", zischte Cassia angewidert, Jenny räusperte sich.
„Du denkst also ernsthaft darüber nach?"
„Es werden vielleicht Wochen, oder Monate vergehen", bedachte Marius ebenfalls. „Wochen in denen eine Menge passieren kann."
„Tom will nur mit mir gesehen werden, er möchte mich als seine Freundin und beim Prozess soll ich aussagen", erklärte die Schwarzhaarige leise. „Danach spielen wir das Theater ein paar Wochen weiter und trennen uns wieder. Ich kann auf diese Liste schreiben, was ich will. Alle Schulden könnten verschwinden, Elisa könnte sogar ins Ausland. Das wollte sie nach dem Abi unbedingt, und mit dem Geld kann sie es tun. Außerdem kann ich verlangen, dass er uns eine Wohnung besorgt, dann wäre Mama nämlich endlich auf sich gestellt und könnte alleine versauern, ohne zwei Kinder, die ständig dafür sorgen, dass sie noch ein Dach überm Kopf hat."
Cassia redete sich so in Rage, dass sie die Blicke von Marius und Jenny fast nicht bemerkt hätte. Sie unterbrach sich und schaute zwischen ihren Freunden hin und her. „Was ist los?"

„Damals als du fix und fertig aus Los Angeles gekommen bist und mir erzählt hast, was er abgezogen hat", begann Jenny vorsichtig. „Da habe ich dir gesagt, dass ihr das zwischen euch nie hättet anfangen dürfen. Tom war schon immer ein Arsch, Cassia. Er hat sich nicht geändert. Wenn das mit euch wieder losgeht..."
„Es wird nichts wieder losgehen", meinte diese fest überzeugt, Marius seufzte. Er hatte Cassia erst kurz nach dem Theater mit Tokio Hotel kennengelernt, Jenny hingegen kannte die Schwarzhaarige seit der Grundschule. Marius hatte jedoch alles natürlich durch Erzählungen nach und nach erfahren.
„Versprich mir eins", beschwor Jenny weiter und schmiss beinahe ihren Milchkaffee um, als sie Cassias Arm ergriff. „Wenn du wieder dabei bist, dich in ihn zu verlieben-"
„Jenny!", wollte Cassia empört einwerfen, doch diese brachte sie mit einem Blick zum Schweigen.
„Wenn du wieder dabei bist, dich in ihn zu verlieben und ich weiß, dass du ihn damals geliebt hast... dann versprich mir, dass du gehst und ihm den Rücken kehrst. Dass du es uns sagst und die Bremse ziehst! Denn wenn er das nochmal mit dir abzieht... ich möchte dich nicht von den Zugschienen kratzen müssen, Süße. Tom Kaulitz ist wahrscheinlich der einzige Mann der Welt, für den du über Leichen gegangen wärst und wenn er dich wieder so weit bekommt...dann verschwinde. Solange du noch kannst."
„Wirklich Cas", murmelte Marius zustimmend. „Wenn ihr wieder so viel Zeit miteinander verbringt, wird Tom irgendwann seine Dämonen nicht mehr im Griff haben. Er wird dich vernichtet sehen wollen und wir wissen alle drei, dass dieser Kerl scheiß gefährlich für dein Herz ist."
„Ich habe schon damals nicht den letzten Schritt getan", beteuerte Cassia, deren besagtes Herz wie wild in ihrer Brust hämmerte. „Ich habe nie mit ihm geschlafen."
„Das war aber sein Ziel und wie oft hatte er dich beinahe so weit?", wisperte Jenny und lächelte die Bedienung sanft an, die herbeihuschte und wissen wollte, ob man ihnen nochmal Kaffee oder ein Stück Kuchen bringen sollte. Die drei Freunde bestellten ihre Getränke, Marius wandte sich direkt danach an Cassia, als wären sie nicht unterbrochen worden. „Wenn man bedenkt, was ihr sonst alles gemacht habt, wart ihr vom Ficken nie weit entfernt. Wenn er dieses Ziel diesmal wieder hat... er kennt dich, Cassie! Tom kennt dich, er weiß, wie dein Verstand funktioniert und wie er dich um den Finger wickelt. Bei dir kann er sogar der Mann sein, den er vor jedem anderen versteckt."

Cassia atmete tief ein. Ja, diesen Tom kannte sie und je länger er im Rampenlicht gestanden hatte, desto mehr war eine Seite in ihm erwacht, die sie fasziniert hatte, aber von der sie sich hätte fernhalten müssen. Die Seite von Tom, die dominant, dunkel und gefährlich war. Er konnte der netteste Mensch der Welt sein, sanft und beinahe behutsam mit ihr umgehen, doch als irgendwann seine „Dämonen" wie er sie nannten, immer mehr erwacht waren, war ein anderer Tom Kaulitz gekommen, der hier und da die Kontrolle über ihren besten Freund übernommen hatte.
Der Tom Kaulitz, der sie nachts aus dem Tourbus und auf verlassene Spielplätze geschmuggelt hatte, um sie dort zu lecken, bis ihre Beine gezittert hatten. Dieser Tom, der sie bei einer frechen Bemerkung zu seinen Gitarrenkünsten bei einem Auftritt gegen die Wand gedrückt und ihr schmutzige Dinge ins Ohr geflüstert hatte, während seine Finger zwischen ihren Beinen gespielt hatten, bis ihr die Luft ausgegangen war. Der Tom Kaulitz, der sie mit eben diesen geschickten Fingern stundenlang foltern konnte.
Die Reize waren überall da gewesen, doch natürlich wusste Cassia, dass sie zu weit gegangen waren. Schon nach dem ersten Kuss, der ersten Berührung, hätte Schluss sein müssen. Natürlich hatte Tom von ihren Gefühlen gewusst, er wäre ein Idiot, wenn er es nicht bemerkt hätte. Immerhin kannte er sie besser, als viele andere Menschen und konnte aus ihr lesen wie aus einem Buch.

„Das wird nicht passieren", sagte sie deswegen und lächelte dünn. Marius blickte sie ernst an. „Tom macht dich aber emotional angreifbar. Weißt du, wie du hier vorhin reingelaufen bist?" Jenny nickte bekräftigend. „Du hast am ganzen Leib gezittert, bist über den Teppich gestolpert... du siehst aus, als hättest du kein Auge zugemacht und deine Nägel sind wundgekaut."
„Es ist nicht gerade einfach gewesen", gab Cassia zu und blickte auf ihre blutige Nagelhaut. „Ihn wiederzusehen nach all den Jahren. Aber Fakt ist: auch wenn er ein Arsch ist und kein Recht darauf hatte, in meinem Privatleben zu schnüffeln... er weiß, dass ich Geld brauche und das wäre ein Ausweg. Raus auf diesem Leben, vor allem aber, wäre es ein Neustart für Elisa. Sie... sie sagt es mir nicht, aber ich weiß, dass sie manchmal von Kerlen Geld annimmt für gewisse Gefälligkeiten. Sie fängt sogar an zu klauen und wenn das weitergeht und sie an den nächsten Kerl gerät, der sie dazu überredet, jemanden zu überfallen – ist sie irgendwann im Knast. So wie Tom, wenn man ihn so hört, sollte ich ihm nicht helfen."
„Und du denkst, er ist unschuldig an der Sache?", fragte Jenny vorsichtig. „Der Mann, der dich vor sieben Jahren wie Abfall entsorgt hat...? Könntest du dir nicht vorstellen...?"
„Tom würde viele Dinge tun", sagte Cassia entschieden. „Aber eine Frau gegen ihren Willen vögeln, das würde er nicht machen. Sonst hätte er bei mir mehr als einmal die Gelegenheit gehabt und dass ich es nicht wollte, kann ich auch nicht gerade behaupten."
Sie unterbrach sich und biss sich auf die Lippen.

Die Erinnerungen an diese Zeiten taten weh. Als Tom und sie noch beste Freunde gewesen waren, die ganze Band war ihre Familie gewesen. Mit Bill war sie durch Japan im Shoppingrausch gewesen, Georg war ihr absolut liebster Videospielgegner und mit Gustav hatte sie oft stundenlang über Gott und die Welt philosophiert.
Sicher waren die vier Jungs ihr wichtiger gewesen als alles andere und das über Jahre hinweg. Bis irgendwann etwas zwischen Tom und Cassia entstanden war, dass sich die Schwarzhaarige nicht erklären konnte. Spielerische Flirts und auch der ein oder andere dreckige Spruch waren an der Tagesordnung gewesen, darin war die Band nicht schüchtern, aber zwischen Tom und ihr war es irgendwann anders geworden. Bei seinen Flirts hatte er sie anders angesehen, sie gemustert, als würde er sich auch vorstellen, was er sagte. Die zufälligen Berührungen und schließlich die ersten wirklichen Sätze, mit denen er ihr gesagt hatte, was er tun würde, wenn sie in bestimmten Momenten alleine wären.

„Wenn du seine Freundin spielst und für ihn aussagen sollst, dann lass dich das so viel kosten, dass er sich wünschen wird, er wäre nie zu dir gekommen", meinte Marius plötzlich und grinste teuflisch. Jenny seufzte. „Ich weiß nicht. Vielleicht war es damals gut, dass ihr beide auseinandergegangen seid, auch wenn es dir das Herz gebrochen hat, Cassie. Aber wer weiß, was sonst noch passiert wäre."
„Das ist noch lange kein Grund, dass sie ihn jetzt nicht für diese Aktion bestrafen kann", widersprach Marius einfach. „Er wusste, dass sie eine jüngere Schwester hat und eine Mutter mit einem Alkoholproblem. Hat er sich dafür interessiert? Nein. Also sollte Cassia sich eigentlich auch nicht für ihn interessieren."
„Tut es mich auch nicht", mischte sich diese ein und ihr Herz knirschte verräterisch. „Aber wie gesagt, der Bastard von einem Rockstar hat recht. Wenn er tatsächlich wahrmacht, was er sagt, dann bin ich endlich aus diesem scheiß Leben raus und kann mit Elisa tun und lassen, was ich will. Sie hätte ein Leben, das ich mir für sie wünsche. Und Mama könnte in ihrer Bude versauern, wenn ihre Kinder nicht mehr ständig das Wasser finanzieren, mit dem sie sich den Schweiß und die Kotze abwäscht!"

„Elisa wäre dann aber allein, oder?", murmelte Jenny und Cassia zuckte zusammen. Daran hatte sie nicht gedacht. Tom lebte in den USA. Er würde kaum nach Deutschland ziehen und Elisa musste hier in die Schule.
„Dann ist das die erste Bedingung", entschied Marius gelassen und zog einen Stift aus seiner Tasche, nur wenig später folgte ein sehr gebraucht aussehender Collegeblock. Er ließ den Kulli klicken und schrieb ein paar Worte.
„Okay, erstens: Elisa bekommt eine neue Bleibe. Vielleicht hat Tom Freunde oder Bekannte hier, bei denen sie unterkommen kann", las er vor und knabberte an der Stiftrückseite. Dann grinste er diabolisch und schrieb eine Zahl und die erste Forderung.
„Zehntausend im Monat?", keuchte Jenny entgeistert und auch Cassia verschluckte sich an ihrem Kaffee. Marius lachte. „Kommt schon, das ist für den doch gar nichts. Außerdem hast du ihm was Sechsstelliges angedroht, oder?", fragte er Cassia, die fassungslos nickte. „Ja, aber das war doch nicht so... das ist viel zu viel Geld, Marius!"
„Und der Kerl, der gestern vor deiner Tür stand, ist also kein verdammter Rockstar? Denkst du, dem tut das Geld weh? Es ist noch viel zu wenig, für das, was du im Gegenzug tun sollst. Nämlich verliebt zu spielen, obwohl du ihn am liebsten lebendig häuten würdest."

„Schreib auf, dass er dafür sorgen soll, dass Elisa nach dem Abitur ins Ausland kann", bedachte Jenny vorsichtig. „Sonst redet er sich am Ende damit raus, dass er dir ja genug Geld dafür gegeben hätte." Cassia betrachtete die Liste. „Leute, ich kann so viel Geld nicht verlangen. Wenn das fünf Monate so geht, dann habe ich fünfzigtausend Euro."
„Du wirst deine Ausbildung schmeißen müssen, das ist dir schon bewusst, oder?", fragte Marius mit einem warnenden Unterton. „Genau wie du damals für diese Arschlöcher die Schule geschmissen hast. Also brauchst du ein bisschen Geld, findest du nicht? Packen wir eine Ablösesumme drauf."
Er begann zu schreiben. „Ich denke, wenn er die Summe der Monate, die du ihn aushalten musstest, am Ende nochmal verdoppelt, wäre das mehr als angemessen."
„Du spinnst", stellte die Schwarzhaarige fest, er schaute vom Blatt zu ihr hoch. „Cassia, ich weiß, dass du echt empfindlich bist, was diesen Kerl angeht. Aber jetzt gerade vergisst du, dass er dein Leben zerstört hat. Und jetzt verlangt er nichts anderes, als dass du die nächsten Monate grinsend und verliebt an seiner Seite umherstolzierst, wie eine verdammte Puppe und du möchtest wahrscheinlich hundert Euro dafür? Er zahlt den angemessenen Preis und noch ein bisschen mehr."

Cassia verschwieg ihren Freunden, dass sie sich nicht deswegen schlecht fühlte, weil es viel Geld war. Sondern wegen der Tatsache, dass sie das Geld brauchte und dafür tatsächlich Toms Willen erfüllte. Etwas, das sie nie wieder hatte tun wollen und sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er zwar jetzt gerade den Hilfsbedürftigen spielte, aber sobald sie einen Satz zu viel sagte, wer garantierte, dass er sie nicht wieder wie damals angehen würde? Wenn er sich wieder das nahm, was er wollte und das Schwein wusste genau, worauf sie stand und dass sie es ihm jedes verdammte Mal so leicht gemacht hatte. Wenn er es richtig machte... würde sie ihm widerstehen können?
Sie hatte keinen Schimmer, ob die letzten Jahre Tom so verändert hatten, dass sie ihm das nicht mehr zutraute. Er war ein Mann, der sich schon immer das geholt hatte, was er wollte, und dafür machte er auch vor nichts Halt. Und sie wäre ihm ausgeliefert, denn der Deal würde laufen. Darum durfte sie nicht nachgeben, denn versuchen würde er es vielleicht. Allein wegen seinem viel zu großen Ego und dem Wissen, dass er sie haben könnte, wenn er wollte. Oh ja, das wäre Balsam für seine Selbstgefälligkeit.

„Ich bin ja der Meinung, wir sollten das noch ein wenig Demokratischer machen", murmelte Marius verschlagen. „Was wäre, wenn diesmal du mit seinem Verstand spielen würdest?"
„Marius", zischte Jenny warnend. „Was du da vorschlägst, ist scheiß gefährlich."
„Wie meinst du das?", wollte stattdessen Cassia wissen und ihr bester Freund grinste. „Der wird dich auf die schicksten Partys mitnehmen, wahrscheinlich sogar mal auf ein öffentliches Event, in Luxushotels und auf die teuersten Yachten. Sorg dafür, dass er es diesmal ist, der auf dem Zahnfleisch geht. Mach ihn scharf!"
„Du hast keine Ahnung, wer das ist", brachte die Schwarzhaarige hervor. „Wenn ich das probiere, würde er es doppelt und dreifach zurückzahlen und glaub mir, Tom lässt keine Provokation auf sich sitzen."
„Dann schreibe ich rein, dass er dich nicht vögeln darf", schlug ihr bester Freund vor, Jenny schnaufte. „Genau, mach es noch auffälliger, du Genie!"
„Cas", sprach Marius die Dunkelhaarige an. „Der Kerl ist dir ebenso ausgeliefert! Ich sehe dir an, dass du Angst hast, aber hast du dich verdammt nochmal angesehen? Du hättest ihn an den Eiern, wenn du nur wolltest."

Cassia atmete zitternd ein. „Das Problem ist nicht er, sondern ich. Ich traue meinem eigenen Verstand nicht, wenn er in der Nähe ist und Gott weiß, dass Tom es versteht, bis ans Äußerste zu gehen. Wenn ich diese Seite von ihm heraufbeschwöre, wird das sehr hässlich."
„Keiner sagt, dass du etwas herauskitzeln musst", grinste ihr bester Freund verschlagen. „Sorg dafür, dass er dich so sehr will, dass er fast wahnsinnig wird und dann", er schnipste mit den Fingern, „machst du mit ihm dasselbe, wie er mit dir vor sieben Jahren. Du lässt ihn sitzen, nimmst die Kohle und haust ab. Ich schreibe auf diese Liste, wenn nach dem Deal noch Kontakt herrschen soll, dann weil du das entscheidest und nicht er."

Die Schwarzhaarige dachte nach. Marius' Idee war geisteskrank. Sie kannte Tom und wusste, dass auch wenn er ihre Hilfe brauchte, er keinesfalls zulassen würde, dass sie die Kontrolle übernahm. Bestimmt würde er sie nicht anrühren, das war ihm erstmal zu gefährlich, doch wenn sie ihn absichtlich provozierte, würde der Mistkerl sie vernichten. Er wusste, dass er in der Lage dazu war.
Aber die Aussicht auf diese Art der Rache... Cassia musste fast grinsen. Die Genugtuung, dass er sein eigenes Gift schlucken musste, weil sie ihn trotz allem nicht ranließ, die Vorstellung gefiel ihr. Sie wollte, dass er für das leiden musste, was er ihr damals angetan hatte. Er sollte spüren, wie es war, wenn einem bei lebendigem Leib das Herz herausgerissen wurde und ihr innerer Teufel, der kleine Bastard, flüsterte ihr zu, dass sie nur zu gerne dabei zusehen würde, wie Tom Kaulitz zu spüren bekam, was er damals ihr angetan hatte. Wie es sich anfühlte, verraten und weggeschmissen zu werden.
Der andere Teil von ihr, der Teil der vernünftiger war, wusste ganz genau, dass sie sich dabei auf ein Spiel mit dem Teufel einließ. Tom war der leibhaftige Teufel, zumindest in ihrer Welt. Der einzige Mann, der genau wusste, wie er mit ihr umgehen musste und davor hatte sie Angst. Wenn er dahinterkam, dass sie versuchte mit ihm zu spielen und er sich dazu entschloss, das Spiel mitzumachen...dann wäre sie sowas von erledigt. Gegen Tom kam sie nicht an. Das würde sie niemals können.

„Ich denke darüber nach", wich sie Marius schließlich aus, der sie schon begeistert musterte und nun enttäuscht wirkte. „Na schön. Dann lass mich aber wenigstens eine Sache machen, die ihn fuchsen wird", meinte ihr bester Freund flehend. „Wenn er dir nur Geld zahlt und ein bisschen neben dir herlaufen muss, wird das doch alles nur zu seinen Gunsten ausgehen."
„Was schlägst du vor?", fragte Cassia ergeben und blickte auf die Worte, die Marius auf die Liste schrieb, bevor sie die Augen aufriss.
„Er wird mich umbringen."
„Du wirst es genießen, dass er verrückt wird, das weiß ich jetzt schon", meinte Marius zufrieden und Jenny linste über Cassias Schulter. Sie wirkte entsetzt.
„Er darf mit keiner ficken, solange wir ein Paar spielen", las sie vor und keuchte. „Bist du irre?" „Ist noch nicht rausgekommen", grinste Marius und wedelte mit dem Stift. „Wieso so negativ, Jen?"
„Weil Tom sowieso schon gefährlich für Cassia ist, weil er noch so ehrenhaft tun kann und wir trotzdem wissen, dass er jederzeit seine andere Seite zeigen könnte und weil du es damit noch viel Schlimmer machst", zischte Jenny wütend. „Wenn Cassia ihm verbietet, während der gesamten Zeit eine andere Frau zu vögeln, wird am Ende sie in seinem Bett unter ihm liegen. Du wirst dafür sorgen, dass sie ihm ausgeliefert ist!"
„Genau das ist mein Punkt", verteidigte Marius und das Paar am Nachbartisch wurde bedeutend leiser, weil sie wahrscheinlich bereits der Konversation lauschten. „Wenn Tom keine andere mehr ficken darf, dann wird es für Cassia noch viel einfacher, dass er irgendwann auf sie fixiert ist."
„So sollte es aber nicht sein", fuhr Jenny ihn an.

„Leute!", erhob Cassia die Stimme und schaute zwischen ihren Freunden hin und her. „Ich verstehe eure Aufregung, aber wir unterhalten das gesamte Café."
„Cassie, wenn du dich an Tom rächen willst, das ist einfach die Chance deines Lebens", meinte ihr bester Freund eindringlich. Die Schwarzhaarige schaute ihn zwiegespalten an, während er näher an sie heranrückte. „Was willst du, was bei der ganzen Sache rausspringen soll? Willst du mit dem Geld weglaufen und er hat die Gewissheit, dass er dir damals wehgetan hat und nie Konsequenzen gespürt hat? Oder willst du ihn auf den Knien sehen, bettelnd, du könntest ihm endlich nachgeben? Nur um ihn dann spüren zu lassen, wie es ist, wenn man wie Müll behandelt wird?"
„Marius, ich verstehe deine Sicht auf diese Angelegenheit, aber du kennst Cassie nicht so lange wie ich", meinte Jenny flüsternd. Sie wirkte nun tatsächlich, als hätte sie Angst. „Tom lässt sich nicht von uns verarschen und wenn du das aufschreibst, wird er verrückt werden, das ist wahr. Aber Cassia wird uns beide dort in den USA nicht haben, um sie von dummen Fehlern abzuhalten und du hast keine Ahnung, wie exzellent Tom darin ist, mit dem Verstand anderer Leute umzugehen. Er wird sie vernichten, vor allem wird er das da", sie nickte auf das Papier, „als eine Herausforderung ansehen und glaub mir..., das wollen wir nicht."

„Doch, das wollen wir", warf Cassia unerwartet ein. „Marius hat recht. Er soll fühlen, wie das ist." Sie schaute auf den Collegeblock und fühlte eine Mischung zwischen Genugtuung und Angst. Ja, Tom würde das als eine Herausforderung sehen und auch wenn er ihre Hilfe brauchte, war zwischen ihnen das letzte Wort noch nicht gesprochen und diesen Punkt würde sie ihm definitiv zu erklären haben. Wobei, wieso sollte sie? Er wollte in dieser Angelegenheit ihre Hilfe und nicht umgekehrt. Sie wollte nur den Preis.
Gleichzeitig aber verstand sie Jenny. Ihre beste Freundin war sich völlig darüber im Klaren, dass Cassia in Los Angeles allein sein würde, ohne Freunde, die ihr im Notfall eine Backpfeife geben konnten. Wenn Tom sich entschied, dieses Spiel mitzuspielen, dann war sie allein. Und sie wusste nicht, ob sie es allein mit ihm aufnehmen könnte. Trotzdem war der Gedanke, er könnte tatsächlich Begierde für sie empfinden in dem Wissen, dass sie ihn nicht ranließ, die Vorstellung gefiel ihrem inneren Teufel viel zu sehr. Sie könnte aber auch erneut verlieren. Das wäre dann die andere Seite dieses Spiels, ein Risiko, welches sie eingehen musste.

„Lass es stehen", murmelte sie und Marius grinste breit. „Na endlich! Sie wird vernünftig!"
Jenny tippte auf das Papier. „Schreib auf, dass er dich jeder Menge Leute bekanntmachen soll, vielleicht ist ja ein Mann dabei, der dir nicht das Herz bricht. Ein bisschen Eifersucht schadet auch Tom Kaulitz nicht und vielleicht verliebst du dich sogar", schlug sie unerwartet vor, die aus irgendeinem Grund sehr abweisend dem wirkte. „Dann würdest du eventuell schnell über alles hinwegkommen, denn die Sache wird dich aufwühlen und dich in seiner Nähe zu wissen, macht mir Angst. Tom hat dich schon immer aus dem Gleichgewicht gebracht."
„Das ist eine gute Idee", stimmte Cassia ihrer besten Freundin zu, die sanft und doch besorgt lächelte. Jenny wusste, wie dreckig es ihr nach der damaligen Situation gegangen war. Sie wollte bestimmt nicht, dass es nochmal so weit kam und die Schwarzhaarige konnte es ihr nicht verübeln.

„Wie hast du eigentlich vor, deinem Vater von seinem Glück zu berichten? Er hat den Job in der Kanzlei damals ja über das Management von Tokio Hotel bekommen und ist jetzt einer der größten Anwälte der Welt. Wie hast du vor, ihm das zu verkaufen?", wollte Marius wissen, der halb abgelenkt noch über der Liste brütete.
„Das ist eine ausgezeichnete Frage, aber zum Glück bin ich seine Tochter und er schuldet mir so einiges. Vor allem, da er sich seit Jahren nur noch an meinem Geburtstag und manchmal an Weihnachten mit ein bisschen Geld meldet. Und einer Nachricht auf der Überweisung. Süß nicht?", schnaufte Cassia lachend und winkte die Kellnerin zum Zahlen herbei. Marius riss das Blatt unordentlich aus seinem Block heraus und reichte es der Schwarzhaarigen. Er funkelte sie warnend an. „Wehe, wenn du auch nur eine Sache streichst, Cassia. Du schickst ihm das ohne Änderungen." Die Angesprochene kam um eine Antwort herum, da in diesem Moment eine Nachricht auf ihrem Handy aufblinke. Es war Sonntag, morgen musste sie Tom zu- oder absagen.

„Ich habe noch einen Tag Zeit", erinnerte sie ihre Freunde und hielt das Handy hoch. „Und wenn man vom Teufel spricht. Mein Erzeuger hat sich gemeldet. Ich soll ihn so schnell wie möglich anrufen, er hat ein paar Fragen und es duldet keinen Aufschub."
„Der arbeitet am Sonntagmorgen?", fragte Marius und reichte der Bedienung einen Zwanziger, ohne richtig hinzusehen. „Mein Vater arbeitet immer", meinte Cassia geringschätzig und schulterte ihren Rucksack. „Kein Wunder, das er nie Zeit für seine Familie hat, oder?"

~~~~*„Cassia, ich bin die Tochter von Anwalt Nino Curie. Ich soll ihn anrufen, es sei wichtig", meldete sich Cassia etwa eine Stunde später, als sie das miefige Haus betrat. „Tut mir leid, leider ist Monsieur Curie sehr beschäftigt. Ich richte ihm aus, dass er sich bei Ihnen rückmelden soll", säuselte der Sekretär mit Gereiztheit in jeder Silbe. Cassia stöhnte.
„Ich bin seine verdammte Tochter!"
„Gestern erst behauptete eine Dame, sie wäre seine Cousine und das war ebenso eine Lüge", meinte der Kerl am Telefon. „Wie ich bereits sagte, ist er sehr beschäftigt."
„Sagen Sie ihm, dass ich am Telefon bin, wenn Sie Ihren scheiß Job behalten wollen!", zischte Cassia ins Telefon. „Sagen Sie, seine Tochter will ihn sprechen, deren Existenz er hier und da vergisst, oder ich schreibe ihm eine Nachricht auf sein Handy und Sie haben dann ein verdammtes Problem mehr, um das Sie sich kümmern können und zwar eine neue Arbeit zu suchen."

Nun wirkte der Kerl verunsichert. „Na schön, ich werde einmal nachsehen, ob er zu sprechen ist. Momentchen", meinte er nur und es ertönte eine Warteschleifenmusik. Cassia testete gerade, ob der Strom noch angeschaltet war, da meldete sich der Sekretär zurück.
„Er ist sofort für Sie da, Mademoiselle. Bitte haben Sie Verständnis, es rufen jeden Tag Leute an, die- ja, sofort, Monsieur. Hier ist Ihre Tochter, ich stelle durch."

„Cassia", ertönte eine männliche Stimme und die Angesprochene erkannte ihren Vater sofort. Allein die Begrüßung, ohne ein Hallo, ohne einen Hauch von Freude war schon ausreichend. Sie räusperte sich. „Hallo Papa."
„Deine Nachricht kam unerwartet", meinte dieser gedehnt. „Ich ging davon aus, dass du unter Drogen stehen musst, als ich sie erhalten habe." Er klang so gleichgültig, dass Cassia unwillkürlich Wut empfand. „Nein, keine Drogen, Papa. Aber schön, dass du dir darüber Sorgen machst."
„Was soll das, Cassia?", unterbrach er scharf. „Hast du den Verstand verloren? Einen Missbrauchsprozess gegen einer deiner früheren Freunde? Ich erinnere mich, dass du ziemlich fertig warst, als du damals, wieso auch immer, zu deiner Mutter zurückgekehrt bist. Du hättest am besten zu mir kommen sollen."
„Du hättest mich in irgendein Penthaus gesperrt und mir einen Psychiater ans Ohr getackert. Ich kam bis dato auch ohne dich klar", meinte Cassia entschieden. „Aber ja, ich will, dass du ihn in diesem Fall vor dem Gericht der USA vertrittst."
„Ich muss die Akte dazu sehen, dann kann ich entscheiden, ob er eine Chance hat. Auf meinem Schreibtisch liegen hunderte Fälle, Cassia. Wieso sollte ich mir gerade diesen ansehen?", fragte ihr Vater genervt.

„Weil du ein scheiß Vater bist und das ja wohl das Mindeste ist, oder? Ein kleiner Gefallen für das Kind, dass du finanziell nur nicht unterstützt, weil deine Frau ein Kind mit einem anderen hatte, während von dir wahrscheinlich zehn Bastarde von irgendwelchen Assistentinnen durch die Gegend rennen!"
Cassia biss sich auf die Lippen, doch die Worte waren ihr entschlüpft, bevor sie sich hatte bremsen können. Einige Momente war es still am Telefon. Entweder sie hatte ihren Erzeuger gerade verärgert, oder aber er war tatsächlich sprachlos, weil er beeindruckt war.
Dann ertönte ein Seufzen.

„Schön! Sag diesem Kerl, dass er mir alles zuschicken soll, was zu dem Fall vorliegt. Ich werde ihn schon irgendwie rausboxen. Wenn er nicht gerade die gefährlichsten Menschen Amerikas gegen sich verschworen hat." Cassia lachte schnaubend auf. „Na dann wird dir der Fall sicher gefallen..."


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