Thema Nr. 1

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Der Gitarrist neigte den Kopf und biss von dem Toast ab, den sie noch immer in der Hand hatte, die er festhielt. Cassia hielt die Luft an. „Du spielst genauso wie ich, Tom. Du kannst es ruhig zugeben." Er grinste. „Immer doch, Kis. Du musst schließlich einen würdigen Gegner haben."

Einige Stunden nach dieser Begegnung hockte Cassia mit Bill und Tom am großen Tisch auf der Terrasse und saß vor einer dampfenden Tasse Kaffee. Georg und Gustav waren über den Laptop zugeschaltet, da sie erst in wenigen Wochen nach LA reisen konnten.
Die Schwarzhaarige wippte unter dem Tisch nervös mit dem linken Bein und weigerte sich beharrlich, Tom in die Augen zu sehen, der immer wieder über den Tisch hinweg zu ihr schaute. Dann warf sie einen Blick auf ihr Handy und öffnete hier ihr Online-Banking. Ihr stockte der Atem. Richtig, es war Monatsanfang. Sie betrachtete die Zahlen auf ihrem Konto und schluckte hart. Sie wusste nicht, wann sie das letzte Mal so viel Geld besessen hatte. Wahrscheinlich noch nie. Sie war schon froh, wenn sie Ende des Monats noch einen kleinen Puffer gehabt hatte. Nun stand da eine fünfstellige Summe. Außerdem war der Urlaubsanteil ihres Arbeitgebers bis zur Kündigung und der restliche Lohn ausbezahlt worden. Sie schickte direkt einen Teil des Geldes an ihre kleine Schwester und schrieb ihr eine Nachricht dazu, wie es ihr ging. Danach legte sie zähneknirschend das Handy zu Seite.

Sie mochte es nicht, dass sie sein Geld annehmen musste. Zwischen Tom und ihr war so viel passiert, dass sie sich wie gekauft vorkam, wenn sie sein Geld nahm und dennoch war ihnen beiden klar, dass das die Abmachung war. Er bekam sie und sie das Geld, es war eine simple Transaktion. Sie würde am morgigen Abend seine Freundin spielen müssen und danach, da war sie sicher, wäre sie psychisch am Ende. Den ganzen Abend an seiner Seite...
Cassia blickte unsicher hoch und erwischte Toms Blick. Sollte sie sich bedanken? Nein, er erfüllte nur die Abmachung. Sie war ihm kein Dankeschön schuldig und sie bezweifelte stark, dass sie dieses Wort zu ihm rausbringen würde.

„Morgen Abend werden wir außerdem auf die Yacht von Miles gehen", verkündete Bill gerade und seine Bewegung als er Cassia die Hand auf den Arm legte, unterbrach den Blickkontakt von Tom und ihr. Die Schwarzhaarige schaute den Sänger an.
„Tom hat heute Morgen schon etwas erwähnt, als er mich im Proberaum gefunden hat", meinte sie höflich. „Ich komme natürlich mit."
„Willst du später in die Stadt und mit mir einkaufen gehen?", fragte Bill mit neutraler Stimme, obwohl er die Begeisterung kaum verbergen konnte. Cassia wollte schon verneinen, da kamen ihr Toms Worte in den Sinn.

„Gib meinem Bruder nicht die Schuld für etwas, dass ich bei dir damals verbockt hab! Bill tut das alles am meisten leid, obwohl er am wenigsten dafürkann."

Das waren seine Worte gewesen und sie hatte zugesagt, Bill eine Chance zu geben. Cassias Augen huschten für einen Sekundenbruchteil zu Tom, der kaum merklich nickte. Die Luft zwischen ihnen wurde dünner, Cassia spürte das starke Pochen ihres Herzens.
„Klar, gern", rang sie sich ein Lächeln zu Bill ab. „Wenn du dir das Shoppen mit mir antun willst?" „Das war immer lustig, damals in Japan, erinnerst du dich noch?", fragte der Sänger ausgelassen und schien seinen Fehler eine Sekunde zu spät zu bemerken. Sowohl Cassia als auch Tom schauten demonstrativ in andere Richtungen.

„Wie dem auch sei", holte Gustavs ruhige Stimme ihre Aufmerksamkeit zurück. „Ich hoffe, dass du gut angekommen bist, Cassia. Und dass LA dir gefällt."
„Bisher ganz angenehm, aber die Zeitverschiebung macht mir zu schaffen", erwiderte die Angesprochene ehrlich, Georg winkte ab. „Das dauert noch zwei Tage, dann hast du dich daran gewöhnt! Bill soll dir die Stadt zeigen, damit du ein wenig mehr siehst als nur die Einkaufsläden."
„Hast du ein Kleid dabei? Und Schuhe? Was ist mit Schmuck?", unterbrach Bill den Bassisten und schaute auf Cassias Hände. „Und du brauchst eine Maniküre", stellte er fest. „Deine Haare könnten wir hochstecken."
„Nein", fiel Tom ihnen ins Wort und es wurde still. Cassia und Bill schauten den Gitarristen überrascht an, dessen Stimme einen Befehlston angenommen hatte. „Trag deine Haare offen", sprach Tom Cassia direkt an, die kurz nickte und dann erschrocken innehielt. Seit wann ließ sie sich von ihm etwas befehlen? Das Nicken war ein willkürlicher Reflex gewesen. Bill wirkte nicht minder überrascht, dass sie Toms Forderung so leichtfertig angenommen hatte. Misstrauen schlich sich in seinen Blick und er schaute zwischen den beiden hin und her.

„Ich brauche dringend ein Kleid", sagte die Schwarzhaarige in die angespannte Stimmung und der Sänger lächelte ehrlich erfreut. „Sehr gut. Du wirst sehen, auf dieser Party bist du der Hingucker."
„Zu einem anderen Thema", meinte Georg ernst. „Hast du einen Gerichtstermin bekommen, Tom?"
Der Angesprochene spannte sich an. „Eine Anhörung vorerst. Man will sehen, ob wir uns nicht doch außergerichtlich einigen können, was nicht funktionieren wird."
„Wieso nicht?", wollte Cassia wissen, Bill seufzte. „Weil die Forderungen dermaßen hoch sind, dass wenn je etwas davon rauskäme, die Band deswegen gefährdet wäre. Jeder würde denken, dass Tom es getan haben muss und sich damit freigekauft hat. Das hat zumindest dein Vater gesagt, als wir das erste Mal mit ihm gesprochen haben."
„Eine Millionen für jede von ihnen und ich muss öffentlich Stellung dazu nehmen", redete Tom weiter, Cassia runzelte fragend die Stirn. „Das ist schon die ganze Zeit ein Rätsel für mich; wieso diese Stellungnahme? Du hast rein gar nichts getan, zumindest, soweit ich weiß und die wollen, dass du zu etwas öffentlich Stellung nimmst, das nicht passiert ist?"
„Demütigung", murmelte Gustav, im Hintergrund rief dessen Tochter seinen Namen. „Sie wollen ihn öffentlich demütigen, weil sie sich in ihrem Stolz gekränkt fühlen."
„Deswegen brauchen wir dich ja", meinte Bill sehr leise. „Du kennst ihn am besten von allen Frauen, abgesehen von unserer Mutter und du kannst bezeugen, dass er dir gegenüber nie so war. Wir haben mit deinem Vater abgesprochen, dass wir die Wahrheit sagen, wo es nötig ist. Sprich, dass du unsere Praktikantin warst und am Ende Toms Freundin, bis ihr euch getrennt habt und nun habt ihr euch wiedergesehen und verliebt. Auch er kennt... die ganze Geschichte nur lückenweise, da wir uns sicher waren, dass es dir so lieber wäre."

„Ähm...und wo genau ist dabei die Wahrheit, abgesehen von der Sache mit der Praktikantin?", fragte Cassia verdutzt und lachte. „Ich war nie seine Freundin und wiedergesehen ist auch eher Interpretationssache. Bis auf den Teil von der Trennung, wenn das auch eher übertrieben gesagt ist, da wir nie zusammen waren, ist also alles gelogen."
„Oh, du willst also die Wahrheit sagen?", fuhr Tom ihr wütend über den Mund und stand auf. „Welche Wahrheit denn, Cassia? Willst du, dass ich öffentlich aufkläre, was genau wir beide hatten? Die werden dich ohnehin in der Luft zerreißen, wenn deine Identität bekannt wird, soll ich da wirklich Öl ins Feuer gießen und auspacken, wie es wirklich gewesen ist?"
„Hört auf damit!", herrschte Bill, mit einer solchen Autorität, dass Cassia ihn erstaunt anstarrte, statt zurückzugiften. „Das bringt uns nicht weiter, wir müssen zusammenarbeiten. Tom, setz dich hin!", befahl der Sänger mit Nachdruck und Tom ließ sich in seinen Stuhl fallen.

„Ihr beide müsst euch noch gehörig warmmachen, wenn ihr morgen auf dieser Yacht einer Party beiwohnen wollt, wo jeder euch als leidenschaftlich verliebtes Paar sehen soll. Im Moment wirkt es eher so, als würdet ihr euch gleich an die Gurgel gehen", kommentierte Georg den Vorfall trocken. „Mit dir hat noch niemand Kontakt aufgenommen, Cassia?"
„Bisher nicht", gab diese Antwort und checkte ihr Mailpostfach auf dem Smartphone. „Keine Nachrichten, keine Mails und keine Anrufe. Vielleicht finden sie mich nicht..."
„Noch nicht", sagte Tom gereizt. „Diese Mistkerle sind dem schon hinterher, das kannst du mir glauben. Sie haben dich wahrscheinlich noch nicht gefunden, weil du kein Gast im Hotel warst und wegen dem Datenschutz dürfte die Hotelkette auch nicht verraten, dass ich dort ein Zimmer hatte. Deutschland liebt sowas."
„Wenn ein Strafbestand vorliegt, könnten sie gerichtliche Verfahren einleiten und das Hotel müsste deine Daten rausgeben", erklärte Gustav ruhig. „Man hat Cassia nur noch nicht kontaktiert, weil die alle noch nicht wissen, wer sie ist und wie sie heißt."
„Das wird sich dann relativ schnell klären, wenn wir auf dieser... was war es? Eine Yacht?", fragte Cassia und die Zwillinge nickten. „Das wird sich dann relativ schnell klären, wenn wir auf dieser Yacht auftauchen und das verliebte Paar spielen." Georg und Gustav nickten gleichermaßen. „Danach werden sie auf jeden Fall Kontakt aufnehmen", meinte Letzterer.
„Wenn das passiert, musst du es uns sofort sagen", murmelte Bill bittend, die Schwarzhaarige nickte steif. „Natürlich. Die werden wollen, dass ich eine haarsträubende Story erfinde und dafür bekomme ich einen Teil des Kuchens ab. Durch diese scheiß Fotos werden sie denken, dass Tom mich erpresst." „Was nicht gerade vorteilhaft ist", kommentierte Georg trocken. „Wir aber jetzt nicht mehr ändern können."

„Gut", meinte Bill schließlich, nachdem die Band noch ein paar Worte über eventuelle neue Songs geredet hatte und Cassia sich entschuldigte, um währenddessen mit ihrem Vater zu telefonieren, der sie darum bat, Tom seine Bürodurchwahl zu geben und ihn so bald wie möglich zurückzurufen. Dabei verkündete er ebenfalls, dass er Cassia Geld überwiesen hätte, da sie endlich von ihrer Mutter losgekommen war.
Als die Schwarzhaarige auf die Terrasse zurückkam, herrschte Gewitterstimmung. Tom schrieb die Nummer aus Cassias Handy ab und verkündete, er würde anrufen, sobald sie und Bill in der Stadt wären. Dabei bemerkte die Schwarzhaarige zum ersten Mal, dass ihm die Sache mehr zusetzte als zu Beginn erwartet. Er hatte sichtbare Augenringe und wirkte blasser als sonst. Tom ließ es sich selten anmerken, wenn ihm etwas Sorgen machte, doch offensichtlich ging es ihm mit der Sache wirklich nicht gut.
„Wir werden das schaffen", hörte Cassia sich sagen und der Gitarrist schaute auf. „Was?" „Das hier", wiederholte die Schwarzhaarige und nickte zu den Unterlagen, die auf dem Tisch waren und über denen die Zwillinge brüteten. „Diesen Prozess, das schaffen wir. Die kommen damit nicht durch, das ist gar nicht möglich."
„Wir sind in Amerika, Cassia", erklärte Tom gepresst. „Hier kannst du Red-Bull verklagen, wenn du keine Flügel bekommst und diese Frauen spielen die Opferrollen perfekt."
„Aber gegen uns kommen sie nicht an", sagte Cassia überzeugt. „Wir kriegen das schon hin."

Sie wollte die Hand ausstrecken und ihn berühren, ihm noch sagen, dass er sich keine Sorgen machen sollte und ein wenig Schlaf brauchte, aber sie bremste sich in letzter Sekunde. Sie und Tom standen sich nah gegenüber und schauten sich wortlos an, während die Welt um sie herum verschwand. Cassia versank in dem braun seiner Augen. Diese Augen kannte sie seit ihrem zwölften Lebensjahr und dennoch kam es ihr vor, als wäre Tom gerade weit weg von ihr. Unerreichbar und voller Geheimnisse und Schmerz, den er ihr gegenüber nicht offenbarte. Er hatte eine Mauer um sich herum errichtet, wie sie selbst auch und der jeweils andere war nahe dran, diese Mauer zum Einsturz zu bringen.
Gustav hatte einmal gesagt, Tom hätte für sie sein ganzes erfolgreiches Leben aufgegeben, wenn sie nur danach gefragt hätte. Sie wunderte sich nicht zum ersten Mal, ob er damals damit rechtgehabt hatte.

„Cassia", holte Bills vorsichtige Stimme sie in die Realität zurück und sie riss sich von Toms Augen los. Bills braune Augen waren nur ein klein wenig heller als die seines Bruders, doch auch viel offener. Im Blick des Gitarristen erkannte die Schwarzhaarige auch stehts eine gewisse Wachsamkeit ihr gegenüber und auch ein gefährliches Funkeln, welches ihr Herz schnellerschlagen ließ, als wollte es vor einer nahenden Katastrophe davonlaufen.
„Bill?", fragte sie zurück und der Sänger stand ebenfalls vom Tisch auf. „Es soll später noch regnen, daher würde ich am besten gleich losgehen?"
„Losgehen, wohin?", fragte Cassia abgelenkt, da Tom sie immer noch anschaute wie etwas äußerst Faszinierendes, das er selten zu Gesicht bekam. Der Blick machte sie zittrig, da sie ihn nicht einschätzen konnte.
„Einkaufen?", meinte Bill verwirrt. „Dein Kleid für die Feier. Und ich hoffe es ist okay, wenn ich mich auch noch etwas umsehe...?"
„Dein Schrank ist randvoll!", drehte Tom sich entrüstet um, Bill hob die Hände. „Man hat nie genügend Kleider, Brüderchen. Und du hast Telefonate zu führen, wenn ich mich recht erinnere."
Der Gitarrist nickte verstimmt. „Zuerst der Anwalt, dann Heidi... ich gehe danach Motorradfahren also wundert euch nicht, wo ich bin."

Cassia konnte sich ein liebliches Lächeln nicht verkneifen. „Es wird bestimmt nicht mal auffallen, dass du fehlst." Sie biss ich fest auf die Lippen und schmeckte das zähe Gift in ihrem Mund. Er wollte Heidi anrufen? Warum wollte er mit seiner Ex sprechen? War da noch etwas zwischen ihnen, obwohl er gesagt hatte, Heidi wolle sich und ihre Kinder da raushalten?
Nein, das konnte nicht sein. Andererseits waren sie noch nicht lange auseinander und dann nur wegen der Gerüchte. Was wäre, wenn das alles vorbei war und Toms Unschuld bewiesen? Würde er dann wieder anfangen, das Supermodel zu daten? Gewiss waren die Gefühle nicht wie ein Lichtschalter ausgeknipst worden, als die Gerüchte aufgekommen waren.

„Cassia", brummte Bill tadelnd und schob sich zwischen sie und Tom. „Geh dich umziehen, ich muss mit meinem Bruder reden", bat er sie eindringlich. „Denk unbedingt an eine Sonnenbrille, falls uns jemand erkennt, ist das bei Fotografen unerträglich, wenn du keine trägst. Ich bin in zwanzig Minuten am Auto."
„Schön", murmelte Cassia nur, schaute dabei jedoch ausschließlich Tom an. Ob er Heidi noch liebte? Oder hatte er schon damit abgeschlossen, um sie auf keinen Fall hineinzuziehen und damit in Verruf zu bringen? Cassias Ruf war ihm egal, wie es schien.
Die Schwarzhaarige biss sich auf die Lippen. Ihre Gedanken waren heimtückisch und böse. Wie kleine Monster faselten sie ihr Dinge ins Ohr, die sie nicht denken wollte. Was ging sie das Verhältnis von Heidi und Tom an? Vielleicht waren sie nach der Trennung ja Freunde geblieben, wer wusste das schon. Es interessierte sie auch rein gar nicht!

Cassia drehte sich auf dem Absatz um und war so schnell verschwunden, als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Diese Wochen würden mit die härtesten ihres Lebens werden!


Stereo HeartsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt