Dogs Unleashed

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„Sowas sagt man doch nicht einfach!", wisperte Cassia und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Bill saß neben ihr und streichelte ihren Rücken. „Das musste er sagen", murmelte der Sänger beruhigend. „Das war er sich selbst und dir schuldig. Es musste endlich raus und sei ehrlich... du wusstest das schon lange. Dass da etwas ist."
„Wissen", lachte die Schwarzhaarige auf. „Ich weiß gar nicht mehr, was ich alles nicht weiß. Wieso sagt er das heute, warum jetzt?"
„Weil er verhindern will, dass du gehst", erklärte Georg bereitwillig und sagte damit zum ersten Mal etwas, seit Tom gegangen war. Er stand ein paar Schritte entfernt an der Tür und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. „Tom ist verrückt nach dir", sagte der Bassist in Cassias Richtung. „Er hat vor nichts auf der Welt Angst, außer dass du morgen weg bist und er verantwortlich ist. Eure Vereinbarung, die Liste, das alles spielt keine Rolle mehr. Jetzt ist es an dir, zu entscheiden, ob du hierbleibst. Diese Wahl wird diesmal keiner von uns treffen."

„Aber", flüsterte Cassia ergeben. „was soll ich denn hier bei euch? Ich habe keinen Job, ich habe nicht einmal eine Bleibe."
„Das hat doch in unserem Haus ganz gut funktioniert", warf Bill der vernunfthalber ein. „Außerdem würde Tom nie zulassen, dass du eine eigene Wohnung in LA suchst. Ich muss mir wahrscheinlich Ohrenschützer zulegen, aber..."
„Bill", stöhnte die Schwarzhaarige und warf ihm einen bösen Blick zu, sah jedoch den Anflug eines frechen Lächelns auf seinem Gesicht. „Was? Willst du mir weißmachen, ihr lasst die Finger voneinander?"
„Was den Job angeht", mischte sich Gustav ein, seine Stimme war voller Ruhe. „bin ich auf Georgs Seite. Du wolltest immer in Richtung Veranstaltungsmanagement gehen. Du planst unsere Tour und das Album mit und danach kannst du dich jedem Produzenten von Los Angeles vorstellen."
„Ich wollte eigentlich... selbst etwas erreichen", brummte Cassia mehr zu sich selbst, Bill schien zu verstehen, denn er beugte sich näher zu ihr. „Nimm Hilfe an", bat er leise. „Wir haben so viel kaputt gemacht, diesmal möchten wir helfen. Also lass zu, dass wir dich unterstützen."

Die Dunkelhaarige schaute Bill eindringlich an. Sie wusste, dass die Bandmitglieder über eine Zeit redeten, die lange vorbei war. Die Zukunft in Los Angeles war so weit von ihren Gedanken entfernt, dass es ihr wie ein Traum vorkam. Sie als Produzentin, Tourneeplanerin bei einem Konzern in Amerika? Mit Wohnsitz in Los Angeles und Tom als ihrem... Partner?
Mit einem Mal durchfuhr sie die Angst. Zwischen Tom und ihr war bisher nie klar kommuniziert worden, was sie eigentlich waren und was, wenn der Gitarrist das gar nicht so wollte? Immerhin hatte er klargemacht, dass sie abreisen sollte und das gut so wäre. Aber jetzt standen die Worte zwischen ihnen.

Ich liebe dich. Ich will, dass du das weißt.


Ein Satz und schon redeten alle davon, dass sie einen Job brauchte, einziehen sollte und von Tom als ihrem Freund. Dabei war nichts davon sicher und sie machte ihre Welt nicht von diesem einen Satz abhängig. Sie traute Tom durchaus zu, dass ihm diese Entscheidung von ihr, in LA zu bleiben, zu viel wäre.
„Du musst das nicht jetzt entscheiden", meinte Bill sanft und holte sie aus ihren Gedanken. „Rede erstmal mit Tom und... macht euch bewusst, was ihr füreinander seid. Danach können wir weitersehen."
„Wenn er ihr weißmacht, dass er das gerade nicht ernstgemeint hat, weil er kalte Füße bekommt, werde ich ihm eine reinhauen", kündigte Georg finster an. Cassia schluckte und sah zu ihm. Seine Stimme hatte einen Hauch von Bitterkeit. Ob es ihn schmerzte, dass Tom endlich offene Karten spielte und sie schon daran dachte, deswegen ihr Leben aufzugeben? Dachte er daran, ob sie das auch für ihn getan hätte oder nur für Tom? Seinen besten Freund...
Herrjeh war das ein Durcheinander. Cassia griff sich an die Stirn und atmete ein paar Mal durch, um sich zu beruhigen.

Tom liebte sie.
Das sollte sie glücklich machen und das tat es auch... aber gleichzeitig erfüllte sie ein Gefühl von Angst. Angst vor dem Unbekannten und der Tatsache, dass sie darüber reden mussten, wenn sie diesen Tag gemeistert hatten.

Sie wurde von dem Einschalten des Fernsehers im Raum abgelenkt. Sie erblickte den Anhörungssaal und erkannte Tom und seine Anwälte, unter denen auch ihr Vater war. Außerdem saß eine hochgewachsene, wunderschöne Frau dabei. Addison. Die Frau, die sich auf der Party an sie gehängt hatte, um Tom eins auszuwischen.
Es begann alles mit Tom. Er wurde in den Zeugenstand berufen und Addisons Anwältin trat vor. Es war Eloise Torres, wie Cassia feststellte und wir wirkte sehr überzeugt von sich, als sie zu sprechen begann. „Sie sind Tom Kaulitz?"
„Offensichtlich", antwortete der Gitarrist ein wenig ungeduldig, Cassia musste an sich halten, sich nicht die Hand vor die Stirn zu klatschen. Die Anwältin lächelte schmallippig. „Sie sind heute hier, weil meine Mandantinnen Sie der sexuellen Gewalt, Nötigung, Belästigung und Erpressung zur Last legen. Was haben Sie dazu zu sagen?"
Tom lehnte sich vor. „Es ist nicht wahr. Ich hatte mit Jessica und Addison zu tun, wusste aber weder, dass sie sich kennen, noch was für falsche Nutten sie sind."
„Einspruch, Beleidigung!", ertönte eine Stimme des anderen Anwalts, der Richter nickte. „Stattgegeben. Mr. Kaulitz, bitte beherrschen Sie sich."

Tom sah aus, als würde er an alles denken, nur daran nicht. Trotzdem neigte er zustimmend den Kopf. Cassia krallte ihre Hände so fest in Bills Arm, dass er wahrscheinlich blaue Abdrücke ihrer Nägel davontragen würde. Der Sänger starrte auf dem Bildschirm und war leichenblass.

„Mr. Kaulitz", begann Mrs. Torres ruhig. „Hatten Sie ein sexuelles Verhältnis mit den beiden Klägerinnen." Auf diese Antwort brauchte sie nicht lange zu warten. Tom lehnte sich zurück. „Ja, hatte ich."
„Und wie lange dauerte das an?"
„Mit Jessica etwa drei Monate, mit Addison nur wenige Tage", schätzte der Gitarrist, Mrs. Torres blickte in ihre Unterlagen. „Und Sie behaupten, dass diese beiden Frauen zu allen Anklagepunkten lügen? Was hätten sie davon?"
„Einfach alles", antwortete Tom ruhig. „Die Genugtuung, es mir heimgezahlt zu haben, dass ich mit keiner zusammen sein wollte, den Sieg darüber, dass meine Frau mich deswegen verließ, um ihre Kinder zu schützen und natürlich die Tatsache, dass sie vor der Weltöffentlichkeit als Opfer dastehen und bemitleidet werden."
„Bemitleidet ist ein harter Ausdruck dafür, was die beiden Opfer erlitten haben", meinte Mrs. Torres gespielt schockiert, Tom schaute auf seine Hände. „Die sie angeblich erlitten haben. Ich habe keine von ihnen je auf eine Weise angefasst, um die sie nicht gebettelt hätten."

Cassia lief es kalt den Rücken herunter, so beiläufig sprach Tom es aus. Mrs. Torres wirkte nicht zufrieden, setzte aber erneut an. „Sie haben heute als Zeugin Ihre aktuelle Freundin eingeladen, Mr. Kaulitz. Eine gewisse Cassia Curie. Woher kennen Sie sie?"
„Von früher", antwortete Tom gelassen. „Sie war mit mir auf der Schule. Und später auf Tournee." „Äußerst eigenartig, nicht?", wollte Mrs. Torres wissen. „Wieso durfte diese Frau damals mit Ihnen auf Tournee gehen? Warum blieb sie nicht in der Schule?"
Tom biss die Zähne zusammen. „Weil wir Cassia dabeihaben wollten. Ihre Eltern haben zugesagt und unser Management war einverstanden."
Mrs. Torres schürzte die Lippen. „Und wieso wusste sonst niemand davon? Wieso wurde sie versteckt?"
„Weil es Menschen gibt", begann Tom und fasste Addison ins Auge, die vor lauter Spannung vergessen hatte zu weinen, „die Cassia angegangen wären, wenn man von ihrer Existenz erfahren hätte. Vier Männer und eine Frau so lange in einem Tourbus und in Hotels, sie war überall dabei. Man hätte sie öffentlich zerfleischt und das wollten wir vermeiden."
„Wie nett von Ihnen", säuselte die Anwältin. „Und als Sie älter wurden? Sie alle?"
Tom schien nicht zu verstehen. „Wie meinen Sie?"
„Nun, wie Sie eben sagten", redete Mrs. Torres weiter, „haben Sie eine Menge Zeit mit Miss Curie verbracht. Und damals gab es nie... Annäherungen?"

Das war es also. Cassia hielt die Luft an und Bill ergriff ihre Hand. Er drückte sie fest, ohne den Blick vom Monitor abzuwenden. Tom schien mit sich zu ringen und einen Moment lang fürchtete die Schwarzhaarige, er würde losschreien, doch als er sprach, war seine Stimme ruhig, fast unbeteiligt. „Sicher, wir kamen uns näher. Cassia und ich. Wir hatten eine Affäre und als diese endete, verließ Cassia die Band."

Ein paar Momente wurde es still, die Anwälte von Addison wirkten verblüfft. Tom verschränkte die Arme vor der Brust, während Mrs. Torres sich wie ein Raubvogel auf seine Antwort stürzte. „Miss Curie hat die Band danach verlassen, Mr. Kaulitz? Ihre vier besten Freunde? Ihr gesamtes Leben, welches sie mit Ihnen geführt hat und ging nach Hause, wo ihre alkoholabhängige Mutter auf sie wartete? Nur wegen einer Affäre?"
„Ich habe ihr gesagt, dass sie gehen soll", zischte Tom angefressen. „Ich habe es beendet. Weil ich sie nicht mehr in meiner Nähe ertragen habe." „Sie haben Miss Curie also gehasst?"
Tom lächelte schmerzhaft. „Nein. Das Gegenteil war der Fall."
Mrs. Torres sah aus, als hätte sie etwas Schlechtes gegessen. Sie lächelte gemein. „Und Sie sind sicher, Mr. Kaulitz, dass Cassia Curie damals die Band nicht verlassen hat, weil Sie ihr gegenüber handgreiflich wurden?"
„Einspruch!", donnerte Cassias Vater so laut, das alle zusammenschreckten. „Das ist Spekulation!" Cassia selbst biss sich so fest auf die Zunge, bis sie Blut schmeckte. Tom wirkte, als würde er gleich auf jemanden losgehen.
„Gewiss, Herr Anwalt Curie", säuselte einer von Addisons Anwälten. „Wir möchten nur wissen, ob die Spekulationen begründet sind."
„Und was würde es ändern?", fragte Cassias Vater ruhig, Mrs. Torres lächelte. „Wir arbeiten nur die Vergangenheit auf, Mr. Curie. Um sicherzugehen, dass es keine weiteren Opfer gibt."
„Meine Tochter ist kein Opfer!"

„Anwalt Curie", schritt der Richter ein. „Ich verstehe, dass Sie wegen Ihrer Tochter aufgebracht sind, aber der Prozess beinhaltet nicht, dass wir nicht die ganze Geschichte aufarbeiten müssen."
„Und was hat das damit zu tun, wer meine Tochter früher für meinen Mandanten war?", fragte Nino Curie recht beiläufig. „Inwiefern beeinträchtigt es unseren Prozess, dass sie früher mit Tokio Hotel auf Tour war? Sie haben es selbst gehört, mein Mandant sagte, dass er die Affäre beendete und meine Tochter-... ich meine, Miss Curie, danach die Band verlassen hat. Wenn Sie daran zweifeln, können Sie sie später direkt selbst nach der Wahrheit fragen."

Es wurde still, selbst der Richter schien nicht zu wissen, was er sagen sollte und Cassia sprach ihrem Vater Respekt für seinen Mut zu. Als Mrs. Torres plötzlich zu sprechen begann, klang sie ziemlich wütend. „Wir haben Beweise dafür, dass Mr. Kaulitz Miss Curie in Deutschland aufgesucht hat, bei ihr zuhause und später in einem Hotel, wo er sie bedrohte!"
„Einspruch", erklang die Stimme der Anwältin neben Cassias Vater. „Es kann niemand bezeugen, dass es Erpressung war, bis auf Miss Curie selbst. Sie haben bereits mit Ihr gesprochen, nicht wahr, Mrs. Torres? Es heißt, Sie hätten Cassia angerufen und sie überzeugen wollen, gegen Geld die Seiten zu wechseln. Als Ihnen bewusstwurde, dass Miss Curie nicht erpresst wird und Ihre Hilfe nicht annehmen würde, da griffen Sie zu Geld und hofften, Cassia würde auf Ihre Seite kommen."
„Ich wollte ihr helfen", verkündete Mrs. Torres würdevoll, Panik schlich sich in ihren Blick. Cassias Vater lachte. „Helfen, wobei?" „Ich dachte, wenn Mr. Kaulitz diese junge Frau auch erpresst, dann könnten wir sie herausholen und sie hat zweifellos zu viel Angst, dass er ihr etwas antut, wenn sie gegen ihn aussagen würde-!"

„Ruhe!", ertönte ein Ordnungsruf des Richters, der rot angelaufen war. „Anwälte! Sprechen Sie mit dem Angeklagten, aber nicht untereinander über die Zulassung und Glaubwürdigkeit von Beweisen und Aussagen. Das Gericht wird das entscheiden! Mrs. Torres, sind Sie fertig?"
Die Anwältin lächelte falsch, doch da begann Tom plötzlich zu sprechen.
„Mrs. Torres, ich beantworte Ihre Frage sehr gern. Ich wurde Cassia gegenüber nie handgreiflich und auch keiner anderen Frau gegenüber."
„Ach wirklich?", fragte die Anwältin süßlich. „Was ist mit der Begegnung einer Fangruppe von Mädchen, von denen Sie eines geohrfeigt haben. Im Jahr 2013."
„Das war eine gänzlich andere Situation", antwortete Tom, zum ersten Mal klang er zornig. „Diese Frauen haben uns über Monate belästigt."
„Und das entschuldigt, dass Sie eine davon geohrfeigt haben?"
„Ich-"
„Gegen meinen Mandanten wurde bereits ermittelt, Mrs. Torres", schritt Cassias Vater ein. „Es wurde Anklage wegen Körperverletzung erhoben und er hat seine Geldstrafe bezahlt und sich entschuldigt. Wieso bringen Sie eine so alte Sache ans Licht?"

Cassia, die gebannt auf den Fernseher starrte, musste den Blick abwenden, um durchzuatmen. Den Vorfall mit dem Fan hatte sie komplett aus ihren Gedanken gestrichen, es war das einzige Mal, dass Tom derart die Fassung verloren hatte. Ob ihm dieser Fall nun wirklich auf die Füße fiel?

„Es spricht für das absolute Gegenteil von dem, was uns hier weißgemacht werden soll!", sprach Mrs. Torres weiter, als hätte sie Cassias Gedanken gehört. „Tom Kaulitz ist Gewalt gegen Frauen nicht fremd. Wieso sollte er nicht auch jetzt Gewalt anwenden, wenn er in eine Situation kommt, mit der er nicht anders umgehen kann?"
„Das müssen Sie als Anwältin beantworten", unterbrach Tom dreist. „Wieso ich das tun würde."
„Mr. Kaulitz", mahnte der Richter, Tom spannte die Schultern an, Eloise Torres wandte sich erneut an ihn. „Ihre Freundin ist heute hier. Mr. Kaulitz. Wir werden die Wahrheit erfahren."
Tom faltete die Hände vor sich. „Ich freue mich drauf, Mrs. Torres", neigte er den Kopf und lächelte sie so hinreißend an, dass Cassia die Augen schloss. Er provozierte völlig absichtlich und sie war nicht sicher, ob das klug war.

Es ging weiter. Und obwohl er von beiden Seiten mit Fragen gelöchert und auch wenn Addisons Anwälte ihn hier und da zur Weißglut treiben wollte, blieb Tom meist ruhig und professionell. Cassia bemerkte, dass er fast nie ganze Sätze sagte und seine Antworten auf Ja und Nein beschränkte, wenn er nicht gerade aufgefordert wurde, mehr zu sagen. Er berichtete von seiner Ehe mit Heidi und dass diese ihn auch verteidigen würde, wenn da nicht ihre Familie wäre, die sie davon fernhalten wollte und über Addison und ihre Pläne, sich an ihn ranzumachen. Er erzählte sehr offen über den Sex zwischen Jessica und ihm, wie sie ihm ihre Vorlieben verkauft und danach herumerzählt hatte, er sei gewalttätig. Dabei wurde seine Stimme immer kräftiger, vor allem dann, als Cassias Name fiel und er berichtete, dass sie seine neue Freundin sei und er glücklich wäre. Zugleich jedoch offenbarte er seine Angst davor, dass der Prozess sie auseinanderreißen würde. Bei diesem Satz spürte Cassia die Blicke seiner Bandkollegen auf sich liegen. Nie hatte der Gitarrist so aufrichtig geklungen, wie jetzt. Seine Worte, dass er sie nicht verlieren wollte, aber gleichzeitig ein schlechtes Gewissen hatte, dass er Cassia mit reingezogen hatte.
Schließlich war er entlassen – zumindest fürs Erste und Addison wurde nach vorne beordert. Mit einem Taschentuch in den Händen, ungeschminkt und mit dünnem, strähnigem Haar trat sie nach vorne. Das war eine andere Frau, als sie glänzende Persönlichkeit, die sie auf der Yacht gewesen war. Sie hatte sich alle Mühe gegeben, wie ein fertiges Opfer auszusehen, das Furchtbares durchgemacht hatte. Im Gedanken an jedes tatsächliche Opfer, dem das, was sie Tom vorwarf, wirklich passiert war, wurde Cassia wütend. Das Privileg eine Frau zu sein und daher mit ein paar einfachen Worten und ohne Beweise einem Mann solche Dinge vorwerfen zu können, nutzte Addison schamlos aus.

„Voller Name?", ertönte eine Stimme und sie zuckte zusammen, offenbar zu Tode erschrocken. „Addison Summers", meinte sie leise und oben nickte der ältere Mann, der die Frage gestellt hatte. „Wieso sind Sie hier, Miss Summers?"
„Ich habe diesen Mann angezeigt, da er mich bedroht und sexuell angegriffen hat." Sie nickte in Toms Richtung, der ihren Blick nicht erwiderte.
„Mr. Curie, Sie dürfen beginnen", meinte der Richter mit monotoner Stimme und Cassias Vater trat vor die Jury. Er nickte nur allen zu und begann mit seiner Frage.

„Miss Summers, wo haben Sie Tom Kaulitz kennengelernt?"
„In einer Bar in der Innenstadt", kam sofort die Antwort. Cassias Vater nickte nur. „Wie lange ist das her?"
„Etwa ein Jahr, schätze ich", antwortete Addison wie aus der Pistole geschossen.
„Und wenn Sie sagen, er hat Sie bedroht und sexuell berührt, was meinen Sie damit?"
„Er wollte mit mir zusammen sein und ich habe Nein gesagt. In dem Club sollte ich ihm einen blasen, habe mich aber geweigert. Damit kam er nicht klar, also begann er mir zu drohen."
In Addisons Augen erschienen Tränen und sie presste mühevoll ein paar heraus. Cassia biss die Zähne zusammen. Als wenn Tom es nötig hätte, eine Frau zu bedrohen, damit diese mit ihm zusammen war. Tom würde sich eher kastrieren, als so tief zu sinken! Diese Frau war wohl das Falscheste, was sie je gesehen hatte.
So ging es eine ganze Weile weiter, bis der zweite Anwalt mit den Fragen an der Reihe war und Addison darauf ansprach, wieso sie auf der Feier gewesen war, wo sie Tom und Cassia getroffen hatte. „Miss Summers, auf einer Party sind Sie Cassia Curie begegnet, der heutigen Partnerin von Mr. Kaulitz. Sie haben mit ihr gesprochen. Weshalb? Wussten Sie, dass Tom Kaulitz auf dieser Party war?"
„Ich wollte sie warnen", versicherte Addison mit gespielt bestürzter Stimme. „Deswegen bin ich gekommen. Ich habe mich verpflichtet gefühlt, Cassia vor ihm zu warnen. Dafür nahm ich sogar auf mich, dem Mann, der mich bedroht, zu begegnen." Sie schnäuzte in ein Taschentuch. „Aber Cassia ist so verliebt und hin und weg von ihm. Ich konnte nichts ausrichten."
Die Schwarzhaarige wechselte einen Blick mit Bill, der wütend mit den Zähnen knirschte. Addison spielte sehr gut.

„Sie hatten also nie eine Beziehung mit Tom Kaulitz", fragte der Anwalt herausfordernd, Addison verneinte. „Aber Sie schrieben Ihrer Freundin kurz nach der Begegnung mit ihm, dass sie ihn verführen und zum Sex überreden wollten, um ihn danach zu einer Beziehung zu überreden, damit ihr Kanal in den sozialen Netzwerken beliebter wird. Ist das nicht so?"
Addison schien kurz aus ihrer Rolle zu fallen, ihre Augen weiteten sich. „Wie bitte?"
„Das ist ein zugelassenes Beweisstück", meinte Cassias Vater gelangweilt. „Der Chatverlauf mit Ihrer Freundin, die diese dem Gericht zugeschickt hat. Sogar ohne viel Nachzufragen und nur mit der Sorge, dass man auch Ihren restlichen Freundeskreis dazu befragen könnte. Haben Sie Angst, dass Ihre Freunde nicht zu Ihnen halten würden, Miss Summers? Haben Sie die Gerichtsdokumente nie gelesen? Die Beweisstücke sind zahlreich, kennen Sie überhaupt alle?"

„Sehr gut, Dad", murmelte Cassia mehr zu sich selbst, da Addison sichtlich schockiert schien. „Das muss mir entgangen sein. Aber nein, ich wollte natürlich nie mit ihm zusammen sein. Wir hatten schöne Nächte, das gebe ich zu, dennoch wurde er immer eifersüchtiger und wollte mich kontrollieren. Als ich ihn um mehr Freiraum bat, da..." Sie schluchzte herzerweichend, schien nicht in der Lage, ihr Leid in Worte zu fassen, „da wurde Tom sehr wütend und es war nicht das erste Mal, dass ich Angst vor ihm hatte. Aber das ich mit seiner Hilfe meine Karriere puschen will, habe ich geschrieben, weil ich betrunken war."
„Betrunken? Nun aber nicht genug, um am Abend, als sie diese Nachricht ihrer Freundin schrieben, ihre Bachelorarbeit noch an Ihre Universität zu leiten, wie es scheint", meinte Toms zweiter Anwalt und zog ein Dokument hervor. „Ihr Dozent hat uns bestätigt, dass die Hausarbeit um vier Uhr morgens mit einer perfekt formulierten Mail an ihn gesendet wurde."
„Das hat eine andere Freundin für mich gemacht, ich habe zu der Zeit geschlafen", meinte Addison mit klimpernden Wimpern, woraufhin Cassias Vater erneut die Stimme hob. „Haben Sie nicht in Ihrem Vorwurf an meinen Mandanten berichtet, dass dies die erste Nacht war, in denen er angeblich Gewalt angewendet hat? Kurz nachdem Sie Ihre Affäre mit ihm begannen, soll er Sie beim Sex gewürgt haben. Zuvor schrieben Sie ihm aber, dass Sie auf diese Art von Dominanz stehen würden... Wie kann es sein, dass er sie in dieser Nacht angeblich angegriffen hat, wenn Sie zuhause waren und schliefen? Und wenn ihre Freundin die Arbeit versendet hat, war sie auch in Ihrer Wohnung, Miss Summers? Dann würde ich sie gerne als wertvolle Zeugin vorladen."

Addison schaute bestürzt zu ihren eigenen Anwälten, die bestimmt alle von ihrem Vater, der nicht anwesend war, bezahlt wurden und schluckte sichtlich. „Ich war... bei Tom zuhause, nicht bei mir. Ich habe sie angerufen und gesagt, sie soll die Arbeit verschicken."
„Dann spielen Sie bitte das Beweismaterial hundertfünf ab", meinte Cassias Vater mit einem Hauch Triumpf in der Stimme. „Die Videoüberwachungsaufnahmen der Nacht, als Sie bei Mr. Kaulitz waren. Miss Summers, bitte sehen Sie auf den Monitor vor sich."

Addison tat genau das und ihr Gesicht wurde ein wenig blasser. Cassia und die anderen erblickten, wie sie auch, eine leere Einfahrt, über mehrere Stunden, bis irgendwann nach sieben Uhr morgens ein Mercedes vorfuhr und Heidi Klum vor dem Anwesen absetzte, die die Villa betrat. Dann endete die Aufnahme. Bill und Georg grinsten sich an.

„Miss Summers, auf dieser Aufnahme ist nicht zu sehen, wie Mr. Kaulitz an diesem Abend überhaupt das Grundstück verlässt, geschweige denn wie Sie es betreten, nicht wahr?", meinte Cassias Vater gedehnt, Addisons Anwälte warfen ein, dass Tom einen anderen Eingang benutzt haben könnte und nichts dadurch bewiesen war.

„Schön", meinte Nino Curie lauernd und linste auf sein Dokument. „Ich wäre fertig, Miss Summers. Fürs Erste."

Im Saal wurde es still, Tom straffte zwischen seinen Anwälten die Schultern. Cassia schaute das erste Mal zur Seite, wo Georg stand und sie musterte. „Was passiert jetzt?", hauchte sie, der Bassist strich sich durch die Haare. „Sie werden Jessica Ives nach vorne bitten. Diejenige, die für all das verantwortlich ist. Ihrem Vater gehören angeblich eine Menge Drogenverstecke, offiziell ist er lediglich ein Geschäftsmann. Reiches Arschloch. Seine kleine Tochter ist es gewohnt, zu bekommen was sie will."
Cassia starrte Georg an. „Weißt du, das mit dem Beruhigen musst du echt üben", stotterte sie, der Bassist zuckte die Schultern. „Ich sage nur, wie es ist."
„Ruhe", ertönte Gustavs Stimme. „Sie wird aufgerufen."

Es stimmte. Jessica Ives wurde aufgerufen und als sie aufstand, war Cassia sofort sicher, dass sie eine ganz andere Art von Gegner war, als Addison mit ihrer verängstigen Art. Nein, Jessica Ives war anders. Ihre Schritte zeugten von einem Selbstbewusstsein, als würde der Raum ihr gehören, sie hatte strahlend eisblaue Augen und wunderschönes Haar, das in sanften Wellen über ihre Schultern fiel. Sie wäre bildhübsch gewesen, wenn aus ihren Augen nicht der absolute, vernichtende Ausdruck von Hass gestanden hätte. Sie war ein Todesengel.
Auf Cassias Armen breitete sich eine Gänsehaut aus. Natürlich hatte Tom diese Frau gevögelt. Sie war der absolute Traum jedes Mannes. Ein Stich der Eifersucht grub sich in ihre Brust. Jessica Ives war unfassbar schön.
„Das ist Jessica Ives?", fragte sie tonlos. „Das soll ja wohl ein Scherz sein."
Bill streichelte angespannt über ihren Rücken. „So schön sie von außen auch ist, Cassia, so hässlich ist sie im Inneren. Die Frau ist der Teufel persönlich." „Und sie hat perfekt gespielt, um heute hier zu sein", redete Georg weiter. „Ihr ganzes Leben lang steht sie schon auf dieser Bühne und spielt ein Theaterstück mit jeder Person, die in ihr Leben tritt. Gib ihr ein Opfer...und sie zu, wie sie es zum Tanzen bringt."

Cassia schauderte und allein der Anblick von Jessica, fesselte ihre Augen an den Fernsehbildschirm. Sie setzte sich gerade hin, richtete ihren Rock und ihre Bluse. Sie würdigte Tom nicht eines Blickes, der sie hingegen anschaute mit einem Blick, der nach Herausforderung schrie. Es war unübersehbar, wem sein Hass galt.

„Vollständiger Name?", fragte der Richter monoton, Jessica straffte die Schultern, als würde sie sich für einen Kampf bereitmachen. „Jessica Ives."
„Miss Ives, wieso sind Sie hier?", fragte Mrs. Torres, als hätte sie überhaupt keine Ahnung. Jessicas Augen füllten sich schlagartig mit Tränen. „Weil-... ich sexuell missbraucht und erpresst wurde. Und ich andere Frauen davor schützen will, dass ihnen dasselbe passiert", meinte sie schluckend und wischte sich eine Träne von der Wange. „Und weil ich mich verpflichtet fühle, der Welt die Wahrheit über das zu sagen, was geschehen ist."

Verflucht, sie machte das gut. Cassia bemerkte einen Anflug von Respekt gegenüber Jessica Ives. Im Gegensatz zu Addison, die unsicher gewesen war, hockte Jessica selbstbewusst auf ihrem Stuhl, in ihren Augen schimmerten Tränen und sie wirkte stolz und gebrochen zugleich. Sie war fantastisch. An ihr war eine Schauspielerin vorbeigegangen.

„Wo haben Sie Tom Kaulitz kennengelernt, Miss Ives?", fragte Mrs. Torres mit einem Ton, den sie wohl für sorgsam und mütterlich hielt. Jessica schniefte. „Beim Einkaufen. Mir ist vor dem Geschäft eine Tasche gerissen und er hat mir geholfen. Danach lud er mich zum Kaffeetrinken ein und danach zu sich nach Hause."
„Und was dachten Sie darüber?", fragte Mrs. Torres und lächelte. „Brauchen Sie ein Taschentuch?", fragte sie die augenscheinlich aufgelöste Jessica. Diese schüttelte den Kopf. „Nein, vielen Dank. Ich schaffe das schon, es ist nur so schwer, weil..., weil ich ihm das nie zugetraut hätte. Er war so liebevoll und schien in vielen Dingen meiner Meinung zu sein. Er war der perfekte Mann und Gentleman, er lachte mit mir und brachte mich dazu, seit langem wieder einem Mann zu vertrauen. Ich dachte, wir sind seelenverwandt."
„Und wann wurde Tom Kaulitz das erste Mal handgreiflich?", fragte einer der anderen Anwälte Jessicas mitfühlend, diese wischte sich die falschen Tränen aus dem Gesicht. „Als wir bei ihm zuhause waren. Sobald sein Bruder fort war, drückte er mich plötzlich auf das Sofa und als ich ihm sagte, dass es mir zu schnell geht, wurde er wütend. Damals hat er nur geschrien, dass ich es nicht anders verdient hätte, er nannte mich eine Schlampe und schmiss mich raus."
Jessica rang um Fassung, Tom schien vollkommen verstört zu sein. Mrs. Torres hatte eine sorgenschwere Miene aufgesetzt. „Was geschah dann, Miss Ives?"
„Er hat sich entschuldigt", antwortete diese leise. „Und wollte mich wiedersehen. Wir begannen eine Beziehung und er wurde immer kranker, er würgte mich einmal... beim Sex, bis ich sicher war, dass er mich erdrosselt. Als ich Schluss machte, tauchte er bei mir zuhause auf und wollte mich zurück, die Security musste ihn rauswerfen, was weiß ich, was er getan hätte, wenn ich alleine gewesen wäre." Jessica bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und schien von stummem Weinen geschüttelt, der Richter gebot, dass man ihr ein Glas Wasser bringen sollte.
„Euer Ehren, ich wäre fertig", meinte Mrs. Torres mit einem sehr nervigen Gesichtsausdruck, der wohl ihre Zuversicht nicht so stark zeigen sollte. Cassia wurde allein beim Anblick ihres versteckten Lächelns schlecht.

„Gut", meinte der Richter. „Mr. Curie, hat die Gegenseite Fragen an die Klägerin?"
Cassias Vater stand auf, seine Präsenz schien den ganzen Raum zu füllen. „Und wie wir Fragen haben, euer Ehren. Wenn ich dürfte?" Addison wurde auf ihrem Platz hinter den Anwälten eine Spur kleiner. Cassia verspürte eine Art grimmigen Stolz gegenüber ihrem Vater. Er wollte Tom wirklich aus der Sache rausboxen, er hatte die Kriegserklärung vollständig angenommen.
„Bitte", murmelte der Richter, Cassia fiel etwas auf. „Wo sind die Geschworenen?"
„Man sieht sie nicht", antwortete Bill so leise, dass sie ihn fast nicht verstand. „Sie sind genau dort, wo die Kamera sie nicht aufzeichnen kann. Zur Sicherheit. Du wirst sie sehen, wenn du selbst drinsitzt." „Werdet ihr nicht befragt?", wollte Cassia wissen, Georg neben ihr schaute sie an. „Wir werden aussagen, was wir über Tom wissen und die Zeiträume, in denen er angeblich etwas getan haben soll. Dafür bist du hier, Cassia und du als Frau und Freundin bist verdammt wertvoll als Zeugin."
Cassia wollte etwas erwidern, wurde jedoch von ihrem Vater daran gehindert, da er zu sprechen begann. „Miss Ives, Sie behaupteten vorhin, dass Sie dachten, Mr. Kaulitz sei Ihr Seelenverwandter. Wieso haben Sie auf der Party, bei der Miss Summers anwesend war, darüber gespottet, dass sie ihn so leicht herumgekriegt hätten und nicht fassen könnten, dass er sich mit einer Frau wie Cassia Curie einlässt?"

„Wie bitte?", fragte Cassia bestürzt. „Sie war auch dort?"
„Oh ja", antwortete Gustav beflissen. „Sie war zwar nur dort, wo wenige Kameras waren und trug eine Perücke, aber mehrere Zeugen haben bestätigt, dass sie dort war." „Wieso wusste ich das nicht?" „Weil Tom und du an diesem Abend genug Scheiße gebaut hattet und er dir kein noch schlechteres Gewissen einreden wollte, wenn er zugibt, dass die Hauptklägerin dort war", zischte Bill angespannt. „Außerdem war sie betrunken, was zu unserem Vorteil war. Und du warst betrunken, hätte Tom dir von Jessica erzählt, wärst du zu ihr und hättest alles kaputt gemacht."
„Leute", deutete Georg auf den Monitor und sie schwiegen wieder.

Jessica wirkte gerade, als müsste sie genau nachdenken. „Ich bin nicht sicher, ob ich auf dieser Feier war. Ich bin viel eingeladen, aber daran erinnere ich mich nicht." „Sie waren auf dieser Party und wussten, dass der Mann, der sie angeblich so behandelt auch dort ist. Hatten Sie keine Angst?", fragte Cassias Vater, ohne auf die Antwort auch nur im Geringsten einzugehen. Jessica schürzte die Lippen. „Natürlich hatte ich Angst. Daher war ich mit Perücke dort."
Im nächsten Moment biss sie sich erschrocken auf die Lippen, Cassia zischte ein leises „Fuck, das war gut", und Bil haute die flache Hand auf den Tisch. Jessica hatte ihre Anwesenheit völlig unabsichtlich zugegeben.
„Ich meine, wenn das die besagte Feier war", stotterte Jessica und zum ersten Mal schien sie die Kontrolle zu verlieren. Fahrig glättete sie ihre Bluse und räusperte sich. „Wie gesagt, ich bin viel eingeladen." „Ganz bestimmt", lächelte Nino Curie so freundlich wie ein Nagelbrett. „Und Sie waren also in Tom Kaulitz verliebt?"
Jessica schaute gespielt entsetzt, dann traurig. Sie schaute in ihren Schoß. „Natürlich war ich das", sagte sie bitter. „Wie könnte ich nicht verliebt sein. Er ist einfach der Mann meiner Träume, ich konnte nicht fassen, wie er wirklich war."
„Er ist der Mann Ihrer Träume?", fragte Cassias Vater spitz. „Nicht er war? Er ist es noch immer?"

Es wurde mucksmäuschenstill im Raum. Cassia kaute auf ihren Fingernägeln und blickte Jessica an, die sich verspannt und die Augen aufgerissen hatte. „Nun", murmelte sie, „ja, ich schätze ich habe trotz all seiner Taten nie aufgehört, eine krankhafte Art der Liebe für ihn zu empfinden."
„Aha", machte Cassias Vater zweifelnd. „Und Sie sind sicher, Miss Ives, dass es kein bisschen Eifersucht ist, die sie dazu bewegt, all diese Dinge zu sagen?"
„Eifersucht?", fragte Jessica und zum ersten Mal hörte man den leichten Zynismus in ihrer Stimme. Die wahre Jessica, die Bitch, die sie hinter der Kleines-Mädchen-Fassade war. „Wem gegenüber sollte ich eifersüchtig sein?"
„Sie waren wütend auf Mr. Kaulitz, weil er nie mehr mit Ihnen wollte als eine Affäre. Deswegen erfanden Sie eine haarsträubende Missbrauchsstory, um ihn gesellschaftlich zu vernichten und nun sind Sie eifersüchtig auf seine Freundin, die Frau, die er für würdiger hielt als Sie."
„Unsinn", meinte Jessica lieblich. „Ich bin heilfroh, dass ich ihn los bin. Auch wenn ich Cassia Curie gegenüber, so heißt sie, glaube ich, natürlich großes Mitgefühl hege und hoffe, dass sie nie dasselbe erleiden muss, wie ich durch seine Hand erlitten habe."

„Dieses kleine Miststück!", zischte Georg neben Cassia. „Als wenn sie Tom nicht um diese Ficks angefleht hätte, so erbärmlich oft, dass er schon gar keine Lust mehr auf sie hatte. Und weil sie geklammert und ständig geheult hat, dass sie so eine tolle Frau für ihn wäre, wenn er ihr nur die Chance geben würde. Pah!" Der Bassist schien vor Zorn zu kochen, als er sich abwandte und einen Schluck Wasser trank. Cassia starrte auf den Monitor zurück.

„Wie Sie meinen, Miss Ives, wie Sie meinen. Aber wie ich hier sehe", zog ihr Vater gerade ein Schreiben wie aus dem Nichts hervor. „Gibt der Zwillingsbruder von Mr. Kaulitz an, dass er an dem Abend, an dem Tom Kaulitz angeblich das erste Mal versuchte, sie zum Sex zu nötigen, mit seinem Bruder im Proberaum war und sie sich dort die halbe Nacht aufhielten."
„Das ist nicht wahr", antwortetet Jessica überzeugt. „Er war bei mir." „Es gibt Aufnahmen, die das Gegenteil beweisen, Miss Ives." Sie lächelte kaum merklich. „Aufnahmen lassen sich manipulieren."

Nino Curie lächelte zurück und neigte den Kopf. „Selbstverständlich, Miss Ives. Allerdings stellt sich mir die Frage, wer diese Aufnahmen bearbeitet haben sollte. Es sind Songs, deren genaue Bearbeitung und Fertigstellung mit Aufnahmen von Stimmen, Musikinstrumenten und anderen Feinheiten belegt ist. Die Speicherzeitpunkte sind genau übermittelt. Wollen Sie sagen, dass Tom Kaulitz mehrere Instrumente gleichzeitig gespielt hat und das, obwohl er oben bei Ihnen war? Und wer hat gesungen, wenn Bill Kaulitz, wie Sie ausgesagt haben, nicht im Haus war?"
„Er könnte im Haus gewesen sein", gab Jessica zu, zum ersten Mal klang sie verunsichert. „Aber er war nicht bei uns! Tom war bei mir! Wer die Aufnahmen gemacht hat, weiß ich nicht. Georg vielleicht oder Gustav, oder Bill selbst."
„Bill Kaulitz sing in mehreren Aufnahmen und spricht danach mit seinem Bruder", meinte eine von Toms weiblichen Anwälten, die hinter ihm saß zweifelnd. „Was die anderen Bandmitglieder angeht, Miss Ives, diese waren zum Zeitpunkt, den Sie angegeben haben, nachweislich in Deutschland und weit entfernt von den Geschehnissen. Spielen Sie die Aufnahme fünfundvierzig ab. Ein zugelassenes Beweisstück. Die Unterhaltung der Brüder um 15:03 Uhr, als Miss Ives angeblich bei Mr. Kaulitz war."

Kurz ertönte Rauschen, dann hörten alle Bills Stimme. „Tom, sollen wir nicht schon hier den Refrain mitnehmen? Und die beiden anderen Strohen hintendran bauen? Es kommt mir so lang vor."
„Nein", antwortete Toms Stimme. „Die Sätze passen zu gut zusammen, um sie auseinanderzubrechen. Versuchs nochmal, vielleicht kann ich es mit dem richtigen Instrument ein bisschen flüssiger klingen lassen." „Gut, auf dein Zeichen", antwortete Bill erneut.
Die Aufnahme endete und Cassias Vater blickte zufrieden zu Jessica nach vorne. „Wenn wir alle diese Aufzeichnungen abspielen sollen, Miss Ives, dann bitte teilen Sie dem Gericht diesen Wunsch mit. Es gibt über sieben Stunden Material, die ganz eindeutig zeigen, dass Tom Kaulitz den ganzen Abend dort unten war. Außerdem gibt es auf den Aufnahmen der Kameras im Hof keinen einzigen Beweis, dass Sie das Haus überhaupt je betreten haben."

Kurz schien keiner zu wissen, was er sagen sollte. Dann legte Cassias Vater seine Blätter auf den Tisch. „Keine weiteren Fragen, euer Ehren."


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