Ready, Set, Go!

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Der Prozessauftakt war nervenaufreibend. Zwei von Jessicas engsten Freundinnen sagten für das selbsternannte Supermodel aus, danach wurde Bill hereingebeten. Es war unübersehbar, dass der Sänger sehr mitgenommen davon war, seinen Bruder auf der Anklagebank zu sehen. Cassia merkte mehr als einmal, wie die Brüder sich über Blicke und zufällige Gesten verständigten. Wie schon damals war sie davon fasziniert, auf welcher Ebene die Brüder kommunizieren konnten. Tom war immer derjenige gewesen, der Bill beschützt hatte, vor nahezu allem. Er hatte auf seinen Bruder aufgepasst und hätte sich für Bill eine Kugel eingefangen, wenn es darauf angekommen wäre. Er war derjenige, der Schläge und Mobbing kassiert hatte, weil er den Typen, die Bill als Schwuchtel und Transe beleidigt hatten, die Meinung gesagt hatte.
Jetzt war es genau andersherum. Diesmal war Bill es, der Tom beschützte. Und das schien dem Gitarristen schwerzufallen, da er sichtlich damit kämpfte, seinen Bruder so aufgelöst zu sehen. Es war, als würde man die beiden Brüder foltern. Ihnen langsam die Haut abziehen und dennoch verständigten sie sich mit ihrer Mimik so perfekt, dass Cassia genau wusste, dass es keinem im Raum je aufgefallen wäre, der die Zwillinge nicht kannte.

Irgendwann wurde es Nachmittag und schließlich Abend. Die Schwarzhaarige lehnte sich zurück, als der Richter verkündete, dass die Verhandlung am nächsten Tag fortgeführt werden würde. Es war, als würde der gesamte Raum aufatmen. Sie hatten den ersten Tag gut überstanden. Aber die Nerven von allen, waren bis zum Zerreißen angespannt. Im Hinterzimmer herrschte eine Atmosphäre, bei der das kleinste Streichholz ausreichen würden, um das Gebäude niederzubrennen.

„Wird Tom wieder mit uns nach Hause fahren?", fragte Cassia in die Runde, Georg hob den Blick. Er hatte die letzten beiden Stunden kein Wort mehr gesagt. „Sie werden bestimmt jeden Moment kommen, erstmal geht die Jury raus und danach Tom und Bill."
„Und wieso musste ich nicht aussagen?", fragte die Dunkelhaarige weiter. „Warum erst morgen?" „Oh, hast du etwas vor?", fragte Georg merkwürdig zynisch. „Das tut mir aber leid."
Cassia stand auf und bemerkte gerade noch, wie Gustav Georg einen warnenden Blick zuwarf. „Was ist dir denn über die Leber gelaufen?", fragte Cassia zischend. „Jetzt wo du mir gesagt hast, dass du mich ficken willst, lässt du das Arschloch raushängen?"
„Moment, was?", fragte Gustav baff und schaute zwischen ihnen hin und her. „Das hast du zu ihr gesagt? Bist du wahnsinnig?" „Tom weiß es", antwortete Georg gelassen. „Cassia ist nur genervt, dass sie es nicht früher mitbekommen hat. Dass sie nicht früher wusste, mit welchen Wichsern sie befreundet ist und dass sie den größten Wichser unter uns auch noch liebt."
„Oh sicher", fauchte die Angesprochene hart. „Deswegen bin ich genervt. Es geht natürlich um dich! Nicht um deinen besten Freund, der gerade versucht, sich aus einer Missbrauchsanklage herauszuboxen. Nein, Georg. Du hast völlig recht, reden wir darüber, wie schlecht es dir gerade geht!"
„Hey", brummte Gustav und ergriff ihren Arm. „Beruhige dich, Georg ist nur angespannt, weil er zu vergeben für dich ist. Aber ich fürchte, du musst mir erklären, was das soll", wandte er sich an den Bassisten. „Was meinst du mit ficken? Es war von Liebe die Rede, nicht vom Ficken."
„Für Georg gibt es da keine Unterschiede", zischte Cassia, die ihre Wut nur mühevoll zügelte. „Zumindest moralisch nicht."
„Cassia, sei vorsichtig", warnte Georg. „Ich bin nicht Tom, der dich mit Samthandschuhen anfasst und den guten Jungen raushängen lässt."
Die Schwarzhaarige lachte glockenhell. „Tom ist alles, aber kein guter Junge. Hat er dir nicht erzählt, was wir schon alles gemacht haben, seit ich in Los Angeles bin? Bist du deswegen eifersüchtig, weil du gerne tauschen würdest?"

Einen Moment lang war sie absolut sicher, dass Georg ihr eine runterhauen würde, dieser atmete jedoch nur tief durch. „Gustav, wir reden später. Cassia und ich sind wohl gerade nicht gut aufeinander zu sprechen."
„Ich habe jedes Recht, wütend auf dich zu sein", wisperte die Schwarzhaarige, Georg grinste. „Natürlich. Aber verrate mir doch, wie wütend du auf Tom bist, Herzchen? Welchen Zorn wird er abbekommen? Immerhin war das alles seine Idee."
„Was war seine Idee?", fragte Gustav misstrauisch, während Cassia sich so fest auf die Lippen biss, dass sie Blut schmeckte. Es wurde still, während sie den Bassisten musterte. „Ich dachte, ich müsste dich nicht verlieren, trotz allem, was du gesagt hast. Ich dachte, es wird wieder normal, jetzt wo du mit der Sprache rausgerückt hast. Ich bin nicht schuld, dass du es so lange verschwiegen hast, Georg, und dass Tom dich davon abgehalten hat, weiterhin im Zimmer zu bleiben, dafür kann ich auch nichts. Gib mir nicht die Schuld an dem, was du willst", meinte sie und war entsetzt, wie verletzt ihre Stimme klang. Georgs Miene wurde hart wie Stein.
„Ich habe mich nicht in den größten Wichser verliebt", redete Cassia weiter und trat näher an ihn heran. „Denn das wärst ja dann du."
„Cassia", mahnte Gustav. „Könnt ihr das aus diskutieren, wenn Tom wieder da ist? Ich schmeiße mich bestimmt nicht zwischen euch, wenn du Georg die Augen auskratzt." „Tom würde sich sowieso nichts draus machen", zuckte Georg die Schultern, doch in seinen Augen loderte Feuer. „Wieso sollte er auch? Er hat sie gekriegt."
„Sie ist kein Fisch und Tom keine Angel", sagte Gustav ernst. „Reiß dich mal ein bisschen zusammen! Wenn du mit offenen Karten spielst, dann komm damit klar, dass Cassia das Recht darauf hat, zu reagieren, statt es einfach zu schlucken. Und jetzt will ich wissen, was zum Teufel zwischen euch vorgefallen ist!"

Die Schwarzhaarige schüttelte verdattert den Kopf über die Szene, die sich ihr gerade bot, dann trat sie auf die Tür zu und wollte diese gerade öffnen, da stemmte sich eine Hand dagegen und sie fiel ins Schloss. Georg stand hinter ihr und als sie sich umdrehte, standen sie nur wenige Millimeter voneinander entfernt. „Was genau soll das werden?", fragte der Bassist erzürnt, Cassia zog die Augenbrauen hoch. „Ich laufe ihnen entgegen, nichts weiter. Brauche ich dafür jetzt deine Erlaubnis?"
Georg musterte sie einige Sekunden lang, dann atmete er tief durch. „Entschuldige, Cassia. Ich bin... einfach unfassbar angespannt und daran macht deine Anwesenheit nichts besser."
Er klang ehrlich, weswegen die Schwarzhaarige sich sofort stabiler hinstellen konnte, ohne den Hintergedanken zur Flucht. Gustav starrte sie an, als hätte er sie noch nie gesehen.

„Lass mich raus", forderte Cassia Georg auf und schaute zu ihm hoch. Seine Augen waren wie in Nebel gehüllt, nichts ließ erahnen, was er dachte. Es dauerte ein paar Atemzüge, bis er seine Hand von der Tür gleiten ließ. Sofort riss die Schwarzhaarige die Tür auf und trat in den Gang. Sollte doch Georg Gustav erzählen, was hier los war. Das war nicht mehr ihre Aufgabe. Sie schaute sich suchend um und entschloss sich, den Gang hinunterzulaufen, wobei zwei Security Mitarbeiter sie misstrauisch musterten. Cassia machte auf dem Absatz kehrt und lief durch den Korridor. Doch als sie fast an dessen Ende angekommen war, traten mehrere Leute um die Ecke und sie wünschte sich sofort, sie wäre bei den anderen geblieben.

„Ach", sagte eine liebliche Stimme. „Wenn das nicht die nächste Mrs. Kaulitz ist. Wie geht es dir, Cassia?"
Jessica Ives hatte eine Stimme, die wie ein Windspiel klang. Nicht zu mädchenhaft, nicht zu tief, alles passte. Die Schwarzhaarige spannte sich an und trat zur Seite. „Bitte, nach euch."
Die Anwälte bedankten sich murmelnd, Mrs. Torres warf ihr einen Blick voll gespieltem Mitgefühl zu, als Jessica erneut anfing zu sprechen. „Ich würde gern mit dir sprechen, Cassia. Wir hatte noch nicht die Gelegenheit dazu."
„Vergiss es!", zickte Cassia sie an. „Eher lasse ich mich überfahren." „Miss Curie", meinte eine der Anwälte aufgeschreckt. „Bitte nicht in diesem Tonfall." „Schon gut", beruhigte Jessica lächelnd. „Das muss das Trauma sein. Ich möchte nur kurz mit dir reden, Cassia. Spricht nichts dagegen, oder? Ich würde dir gern das ein oder andere über Tom Kaulitz verraten, was du noch nicht weißt."

„Oh ich bin sicher, dass ich mehr weiß als du", informierte Cassia nur. „Ich kenne ihn schon viel länger." „Mit ihm zusammen bist du aber noch nicht lange. Nicht so lange, wie ich es war", entgegnete Jessica triumphal. „Bitte lassen Sie uns allein", nickte sie dann ihren Anwälten zu, die sich schnatternd entfernten. Cassia blieb angespannt stehen und starrte der Fremden ins Gesicht. Jessica war ein Stück größer als sie und bei weitem hübscher. Der zuckersüße Schmollmund und die Stubsnase machten das Gesamtbild perfekt. Sie war ein Albtraum.

„Ich bin sicher, dass das schwer für dich sein muss", säuselten Jessica verschwörerisch und trat auf die Schwarzhaarige zu. „Das Tom dich für diesen Prozess herholt und mit dir dieses Happy-End Zeug durchzieht, ist wirklich erbärmlich. Ich hatte ihn für weitaus kreativer gehalten. Für mutiger. Aber dich habe ich zugegebenermaßen ein wenig unterschätzt."
„Du bist ein Miststück", wisperte Cassia. „Das weißt du, oder?"
„Wieso?", fragte Jessica unschuldig. „Weil ich mit deinem Kerl gefickt habe?" „Nein, weil du ihm das alles anhängen willst, weil er dich für nichts wollte, außer fürs Ficken!"
„Ich bitte dich", lachte Jessica Ives erheitert. „Ich hätte es nicht nötig, ihn dermaßen zu zerstören, nur weil er mich nicht für eine Beziehung haben wollte. Das ist normalerweise sein Part. Frauen zu verletzten, sie zu benutzen und zu verlassen. Aber wem erzähle ich das." Jessica schaute an Cassia herunter, ihre Mundwinkel zuckten. „Du bist hübsch. Wie oft hatte er dich, hm? Und wie viele Male davon hat er dich danach verletzt?"

Cassia starrte sie sprachlos an, Jessica begann zu grinsen. „Ich wusste, ich habe recht. Weißt du, meine Liebe, das ist es, was die meisten Männer tun. Sie benutzen uns Frauen, weil unsere Mädchenherzen ihnen vor die Füße fallen und dann trampeln sie darauf herum. Weil sie es können, ganz einfach. Und Tom beherrscht das wie kein Zweiter, oder willst du mir weismachen, er hat noch nie seine Fans abgeschleppt und danach fallengelassen? Dich fallengelassen? Hat er dich nie verletzt, bis du am Boden warst und mit deinem süßen Herz gespielt? Findest du nicht, dass er es ein klein wenig verdient hat, dass jemand ihn spüren lässt, dass Frauen nicht immer schwach sein müssen? Er hat dich um den kleinen Finger gewickelt, weil er weiß, wie gefährlich du ihm werden könntest."
„Oder ich bin einfach nicht so verlogen wie du", unterbrach Cassia zornig. „Und unterstelle einem Mann Missbrauch, den ich angebettelt habe, dass er mich fickt."
„Angebettelt", wiederholte Jessica Ives, als hätte sie dieses Wort noch nie gehört. „Du dachtest, ich muss ihn auch noch darum bitten? Er konnte es gar nicht erwarten, in mir zu sein. Und als er wusste, dass ich mich nicht so leicht abservieren lasse, wurde er wütend."

„Tom hätte dich niemals misshandelt", zischte Cassia, ihre Stimme war scharf wie ein Messer. „Er ist vielleicht ein Arsch, aber er würde niemals einer Frau etwas antun. Niemals eine schlagen oder misshandeln."
„Selbst wenn", höhnte Jessica und warf ihr Haar zurück. „Selbst wenn er das nicht tun würde, Cassia. Er ist ein Wichser, jemand der mit Frauen sein ganzes Leben lang gespielt hat. Und bei mir hat er sich verschätzt. Was meinst du, wieso er in meinem Haus in Philadelphia aufgekreuzt ist und mich angefleht hat, dass wir das unter uns regeln?" „Weil er ein besserer Mensch ist, als du?", schlug Cassia vor. „Er wollte dir und sich selbst diese Scheiße hier ersparen."
Jessica lächelte verständnisvoll. „Ich verstehe schon, Cassia. Du liebst ihn sehr. Deswegen verteidigst du alles, was er tut. Wenn ich seine leidenschaftliche Bitte nicht abgelehnt hätte, wäre er nie zu dir gegangen, um dich um Hilfe zu bitten. Dann wärst du nicht hier. Müsstest du mir nicht ein wenig dankbar sein?"

„Dankbar bin ich dafür", fuhr Cassia sie an, „dass ich nicht so bin wie du. Dass ich es nicht nötig habe, aus Eifersucht und Rache einen Mann vor Gericht zu zerren. Daran hätte die Band kaputtgehen können." „Das hätten sie verdient", lächelte Jessica überzeugt. „Georg und Tom schaffen sich ihren eigenen Untergang, wenn sie dieselben Frauen vögeln. Ich hätte auch Georg fast gehabt, aber vor ihm habe ich tatsächlich Respekt. Er hat sich nicht verführen lassen. Er ist hart geblieben. Aber bestimmt weißt du es, oder? Dass Tom und Georg sehr oft gemeinsam Sex hatten? Mit verschiedenen Frauen? Wie gottverdammt verdorben und hier stehen wir und finden den Gedanken auch noch scharf."

Cassia starrte Jessica fassungslos an. „Woher zum Teufel weißt du das?" „Oh", machte ihre Gesprächspartnerin und schaute uninteressiert auf ihre Nägel. „Ich vergaß, dass du neu bist, Cassia. Du weißt nicht, wer ich bin. Mein Vater leitet sämtliche Drogengeschäfte in Los Angeles, auch Tom hat schon von ihm gekauft-"
„Tom nimmt keine Drogen", unterbrach Cassia unwirsch, Jessica aber redete unbeirrt weiter: „Jedenfalls gibt es beinahe nichts, was ich nicht über Menschen in meinem Umfeld weiß. Meine Familie gehört zu den einflussreichsten in ganz Amerika und du denkst, ich wüsste nicht, wen Tom Kaulitz an seiner Seite hat? Ich kenne dich besser, als du dich selbst kennst. Was geschah in dieser einen Nacht vor all den Jahren wirklich, hm? Was ist passiert, hat er dir dein Herz herausgerissen und dich verstoßen? Und die wievielte warst du, bei der er das getan hat?"

Cassia spürte, wie ihr Kiefer sich verhärtete. Diese Hexe war verdammt gut. Eine Gegnerin, die mehr draufhatte, als schön zu lächeln und hübsch zu sein. Sie war kalkuliert. Wusste, wen sie manipulieren konnte und wen nicht. Sie kannte die Menschen um sich herum ganz genau und war sich bewusst, mit wem sie spielen konnte. Das machte sie verdammt gefährlich und plötzlich verstand die Schwarzhaarige, dass jemand wie Jessica Ives keinerlei Skrupel hatte, Tom oder jemand anderem das Leben zu ruinieren. Sie hatte nichts zu verlieren, mehr Geld als sie je ausgeben könnte und wahrscheinlich unendliche Langeweile. Tom hatte den Fehler gemacht, diese Frau in sein Leben zu lassen und Jessica hatte seine Lust nach ihr ausgenutzt. Cassia bemerkte, wie sehr sie sich daran störte, dass die beiden Sex gehabt hatten. Allein der Gedanke, Tom könnte diese Frau gehabt haben, löste Übelkeit in ihr aus.

„Na und?", fragte Cassia schließlich leise. „Sie haben zusammen Frauen bei sich gehabt, was ist dabei? Sie sind Rockstars, verdammte scheiße und sie haben natürlich jede Menge Angebote gehabt. Ich weiß nicht, wie viele Frauen sie hatten und es ist mir auch egal. Das ist alles vorbei."
„Oh und da bist du sicher?", fragte Jessica und lüpfte eine Augenbraue. „Oder wärst du es gern, die zwischen ihnen liegen würde. Scheinbar bist du nicht überrascht, über diese Vorliebe von Tom und Georg. Haben sie es je bei dir gemacht?"
Cassia schwieg und ihr Gegenüber lachte. „Nein, natürlich nicht", summte sie hämisch. „Tom wollte sein kleines Spielzeug gern für sich behalten, hm? Das sieht ihm ähnlich. Aber ich bin nicht blind, weißt du. Ich glaube sogar, dass Tom dich liebt. Auch das Georg dich liebt. Du armes Mädchen." Jessica machte einen Schmollmund. „Sie werden dich vernichten."

„Nein", unterbrach Cassia scharf. „Ich bin mit Tom zusammen, wir sind ein Paar. Georg hat nichts mit uns zu tun und ich weiß, dass du mir das nur alles sagst, um mich zu verunsichern. Du willst mich auf deine Seite ziehen."
„Wie originell", schmunzelte Jessica, ihre Stimme klang gelangweilt. „Ich brauche deine Hilfe nicht, Cassia. Checkst du es nicht? Wir sind nur aus einem Grund hier, und zwar, weil ich mir in den Kopf gesetzt habe, einem Mann zu zeigen, wie viel Einfluss eine Frau auf sein Leben haben kann, wenn er die falsche Dame anpackt. Er wusste, wer ich bin, und hat sich mit Vergnügen an mich rangemacht. Wie viele Herzen er wohl schon gebrochen hat? Und hier stehst du mit der Macht, ihn zu vernichten und tust es nicht. Er hat dich in der Tasche und du merkst es nicht einmal."
„Tom würde-!"
„Dir das niemals antun?", fragte Jessica lieblich. „Wenn du das wirklich glauben würdest, hättest du mir längst den Rücken gekehrt und wärst verschwunden. Aber du bist noch hier. Du vertraust ihm nicht ansatzweise so stark, wie ich dachte. Du könntest ihn verlassen, wahrscheinlich bist du die verdammt Einzige, die ihn wirklich psychisch ficken könnte. Aber natürlich tust du es nicht. Weil du ihn liebst."
Jessica sagte es in einem derart herablassenden Tonfall, dass es als Beleidigung durchgehen könnte. „Du hast Angst, dass er dich fallenlässt, und das wird er auch", hauchte sie. „Er wird dich verlassen und brechen, wie er es mit jeder Frau getan hat, außer Heidi Klum. Weil er sie liebt, geliebt hat oder wie auch immer. Sie ist verschont geblieben, weil er sie rechtzeitig verlassen hat, bevor du kamst. Du bist verflucht interessant, Cassia. Ich habe euch auf dieser Party zusammen erlebt. Du bringst ihn zum Kochen und dennoch bin ich überzeugt, dass du ihn noch nicht rangelassen hast. Oder?"

Jessica grinste und Cassia fuhr zusammen. „Das geht dich überhaupt nichts an! Lass Tom doch einfach in Ruhe oder kommst du nicht damit klar, dass er mich liebt und nicht dich?"
„Tom", unterbrach Jessica laut, „liebt nichts und niemanden so sehr, wie sich selbst. Er würde alles sagen, dass du ihm hilfst, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Er ist ein Arsch, Cassia. Du kennst ihn länger als ich und weißt, dass ich recht habe."
„Wieso?", fragte die Schwarzhaarige, die einen Kloß in ihrem Hals spürte, der ihr das Atmen erschwerte. „Wieso tust du ihm das an? Ich weiß, dass er niemals handgreiflich werden würde."
Jessica blickte sie an und für einen kurzen Moment schien sie wirklich nachzudenken. Dann zuckte ihr rechter Mundwinkel. „Warum ich das mache? Ich habe Spaß daran, Cassia. Spaß daran, den Männern etwas von ihrem eigenen Verhalten zurückzugeben. Sie denken, sie könnten ficken, wen sie wollen, und die Gefühle der Frauen sind ihnen egal. Natürlich nicht allen. Aber wen kümmert das schon. Tom jedenfalls fickt meist nur für seine Lust und nicht aus Liebe. Ich habe nicht eine Sekunde daran gezweifelt, dass er mich nur für sein Bett ausgesucht hat. Ob er sich wohl heute wünscht, auf den Fick verzichtet zu haben? Oder hast du Angst, dass er noch immer daran denkt?", fragte Jessica Cassia sanft. Die Schwarzhaarige zischte. „Du bist eine Bitch! Du hast einfach Spaß daran, das Leben von anderen zu vernichten." „Anderen?", wiederholte Jessica angewidert. „Hältst du mich für irgendwen? Nicht das Leben von anderen. Ich suche mir meine Opfer aus und die haben es verdient, dass ich das tue. Auch Tom hat es verdient, glaub mir. Er war widerlich, als er mich loswerden wollte. Du weißt, dass er so sein kann, das sehe ich dir an."
„Aber er hat dich nie misshandelt!", warf Cassia ihr zornig entgegen und versuchte, die aufkommende Unsicherheit zu unterdrücken, die sich wie Gift durch ihre Adern fraß. „Er hat dich nicht geschlagen, sowas würde er nie tun!"

Es dauerte ein paar Sekunden, bis Jessica zu Lächeln begann. Es war ein fieses, grausames Lächeln, das rein gar nicht zu ihrer engelsgleichen Gestalt passte. „Es hat aber einen netten kleinen Nebeneffekt, findest du nicht?", säuselte sie leise. „Tom Kaulitz der Frauenschläger. Wie lange es wohl dauert, bis sie vermuten, dass er auch dich schlägt? Du liegst falsch, er hat mich geschlagen. Ich stehe verdammt darauf und er war nicht abgeneigt. Aber dass es zu meinem Vergnügen war, muss niemand wissen und so direkt hat auch keiner der Polizisten nachgefragt." Jessica grinste schief, bevor sie mit einer Kleinmädchenstimme zu sprechen begann. „Officer, er hat mich geschlagen, bis meine Haut rot glühte. Ich meine, da hat keiner weiter nachgefragt, was für eine Art Schläge es waren. Der Funke war da und das Inferno musste ich nur noch anheizen."
Jessica grinste zufrieden und Cassia starrte sie entgeistert an. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Das alles gab dieses Miststück einfach zu, weil sie sich ihrer Sache sicher war und Cassia würde das sowieso niemand im Gerichtssaal bei ihrer Aussage glauben. Sie trat auf Jessica zu. „Du dreckige Hure!"

„Cassia!", ertönte eine Stimme und Jessica hob den Blick, während die Angesprochene bei der Stimme zusammenzuckte. Bill hatte selten so zornig geklungen wie in diesem Moment. Der Sänger kam mit wutverzehrter Miene auf sie zu. „Was denkst du, was du hier tust!?", fuhr er Cassia an. „Rede nicht mit dieser Schlange, sie wird dir nur irgendwelche Scheiße in den Kopf pflanzen."
„Ach Bill", lächelte Jessica falsch. „Anfangs mochte ich dich." Der Sänger zeigte ihr den Mittelfinger, bevor er nach Cassias Arm griff. „Hör auf, ihr zuzuhören und komm mir", sagte er und klang zutiefst verunsichert. Die Schwarzhaarige ließ sich mitziehen und blickte nochmal über ihre Schulter zu Jessica zurück, die alleine im Gang stand. Als sich ihre Blicke trafen, winkte sie Cassia spöttisch hinterher.

„Was denkst du dir nur dabei, Cassia?", fragte Bill fassungslos, als er sie in den Raum zurückschob. „Kaum lässt man dich zwei Minuten allein, redest du mit der Frau, die dich mit Vergnügen als Lügnerin hinstellen würde, wenn du ihr nur einen Grund dafür gibst!"
Georg und Gustav, die in ein Gespräch vertieft gewesen waren, blickten auf. „Was ist passiert?", fragte der Schlagzeuger, Bill schnaubte. „Jessica Ives hat Cassia abgefangen und sich mit ihr unterhalten." „Nein, so stimmt das nicht", meinte die Schwarzhaarige wütend. „Wir sind ineinandergelaufen und sie hat mir auf unmissverständliche Weise klargemacht, dass sie ein Miststück ist, dass sich an Tom dafür rächen will, dass er mit Frauen bisher getan hat, was ihm gefällt. Nennt sie einen Samariter, aber sie ist falsch und hinterhältig. Sie wollte Zweifel sähen!"
„Cassia", sagte Bill gezwungen ruhig. „Du solltest mit dieser Frau nicht einmal ein Wort wechseln! Sie tut das alles nur aus Langeweile und sie ist wütend auf Tom, weil er sie nicht für mehr wollte als Sex. Nichts davon hat etwas mit dir zu tun." „Dann hättet ihr mich nicht herholen dürfen", verschränkte Cassia die Arme vor der Brust. „Ich habe genau gemerkt, dass sie Spaß daran hat, Männer einfach so zu beschuldigen und es ihr tiefe Befriedigung verschafft, wenn sie es jemandem heimzahlen kann."

„Oh ja, das klingt nach Jessica", murmelte eine Stimme, bei der ihr Herz sofort höherschlug. Tom stand in der Tür, er wirkte geschafft und müde. Ohne weiter nachzudenken, lief Cassia auf ihn zu und er öffnete die Arme, dass sie sich an seine Brust schmiegen konnte. Die Bewegung war perfekt aufeinander abgestimmt. „Hast du mich gesucht?", fragte Tom leise und Cassia nickte an seiner Brust. Sie spürte seine Körperwärme und musste an sich halten, nicht genüsslich aufzustöhnen. Es tat unendlich gut, ihm nahe zu sein. Auch wenn sie ihn hasste, gerade war für negative Gedanken kein Platz in ihrem Herzen.
„Du Penner musstest natürlich ausgerechnet mit so einer vögeln", murmelte sie in sein Hemd. „Mit einem supersexy Todesengel."
Toms Hand strich über ihre Haare. „Supersexy?", wiederholte er fragend. „Wohl eher widerlich und hinterlistig. Du hast keine Ahnung, wie sehr ich diesen Fick bereue. Und die ganze Zeit, während diese Scheiße andauerte. Ich hätte klüger sein müssen."
„Aber hier sind wir", meinte Georg nur, Cassia löste sich von Tom und schaute ihn an. „Kann sie gewinnen?", fragte sie angespannt, der Gitarrist zuckte die Schultern. „Das werden wir morgen sehen. Aber so sicher kann sie sich nicht mehr sein, wenn sie mittlerweile so verzweifelt ist, dass sie dich anspricht und dir was weiß ich was sagt." „Sie sagt, dass du es verdient hättest", murmelte Cassia dumpf. „Dass du mit Frauen tust, was du willst und es macht sie glücklich, ihre Rache zu üben. Ich habe den Neid in ihrem Blick gesehen, als sie mich angeschaut hat. Sie verabscheut mich."

„Sie hat auch allen Grund dazu", murmelte Bill. „Du bist bei Tom, sie nicht. Er hat dich nach all den Jahren wieder zurückgeholt und sie musste das mitansehen. Ich glaube schon, dass sie ihn geliebt hat und dass Tom natürlich an nichts anderes dachte, als an Sex." Er warf seinem Bruder einen tadelnden Blick zu. „Aber du hast alles, was sie nie haben wird, Cassia." „Aber sie ist so unfassbar schön-"
„Das bist du auch", unterbrachen Georg und Tom synchron und kurz drohte die Stimmung im Raum den Gefrierpunkt zu erreichen, da ertönte Gustavs ruhige Stimme. „Lasst uns etwas essen gehen und nicht mehr darüber sprechen. Morgen geht es weiter, heute will ich nicht mehr daran denken."
„Einverstanden", stimmte Cassia sofort zu und als sie zusammenpackten und zum Auto gingen, ergriff Tom wie selbstverständlich ihre Hand. Ein warmer Schauer lief Cassia über den Rücken. Vielleicht würde doch noch alles gut werden.


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