Freunde bleiben

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„Ja doch, Elisa", murmelte Cassia in ihr Handy und biss sich auf die Lippen. „Ich habe es ja verstanden. Aber glaub mir, ich wollte mich bei dir melden. Nachdem Papa von dem Einbruch erzählt hat, hattest du kein Handy mehr und dann war hier eine Menge los. Aber wie geht es dir?"
Ihre Schwester am anderen Ende des Handys schnaubte angriffslustig. „Ja sicher! Viel los. Wie oft hast du schon mit deinem Gitarristen gefickt, hm?"
„Elisa", wehrte die Schwarzhaarige ab. „Wir haben nicht gefickt, es ist alles in bester Ordnung." Das war zwar nicht die ganze Wahrheit, aber sie traute ihrer Schwester durchaus zu, mit dem nächsten Flugzeug herzufliegen und sie zur Schnecke zu machen.

„Du klingst gar nicht nach dir selbst", murmelte Elisa schließlich. „Dein Dad hat mir die Wohnung überlassen und als er aus Amerika kam, hat er mich gefragt, wie die Chancen stehen, dass du nach Hause kommst und noch nicht schwanger von Tom bist. Was ist los?"
„Wir sind... gerade nicht sonderlich einfach", wich Cassia bedrückt aus. „Aber es fühlt sich diesmal anders an, Elisa." „Anders", wiederholte diese angriffslustig. „Ich war damals vielleicht noch jung, aber ich war kein Baby mehr! Ich erinnere mich an den Tag, als du nach Hause gekommen bist. Raus aus dem Luxusleben voller Abenteuer und reisen. Zurück in die reale Welt. Du bist so kurz davor, denselben Fehler nochmal zu machen."
„Das würde er nicht tun", wisperte die Schwarzhaarige und schaute zur Tür. Sie wusste, dass Elisa eine ihrer tiefsten Ängste ansprach und das schmerzte. „Tom würde mir das nie wieder antun und der Rest der Band auch nicht. Sie sind erwachsen geworden, Elisa. Sie sind keine Jungs mehr, sie sind Männer und sie standen ebenso lange unter der Fuchtel des Managements wie ich."
„Du verteidigst sie sogar schon", flüsterte ihre Schwester tonlos. „So weit haben sie dich wieder. Was hast du mit ihm getrieben, Cassia! Was genau hast du mit deinem hübschen Gitarristen gemacht, dass du dich sofort wieder in die läufige Hündin verwandelt hast?"
„Er ist nicht mein Gitarrist und ich auch keine Hündin!", wehrte Cassia sich etwas zu lauf und setzte sich an den Schreibtisch ihres Zimmers. Gestern war sie mit Gustav in der Stadt gewesen und hatte sich von ihrem neuen Geld einen Laptop gekauft, der nun vor sich her summte. Sie schrieb darin gerade ihre Bewerbung für die Jobs in Deutschland und obwohl es gut laufen sollte, kam sie schleppend voran. Alles kam ihr so unwahr und dahergeredet vor. Sie war keine interessante Frau mit tollem Lebenslauf. Sie war eine Schulabgängerin ohne Abschluss und mit abgebrochener Ausbildung, die nur in die nähere Betrachtung kam, weil ein Rockstar sie vorgeschlagen hatte. Sonst würde man ihre Bewerbung nach der ersten Ansicht in den Mülleimer pfeffern.

„Wir hatten Petting und das wars", redete Cassia endlich weiter, nachdem Elisa nichts mehr gesagt hatte. Diese blieb noch still, bis die Schwarzhaarige schon dachte, sie hätte aufgelegt. Doch dann meldete ihre Schwester sich doch zu Wort. „Scheiße Cassia... pass bloß auf dich auf", murmelte sie mit Angst in der Stimme. „Du weißt nicht, welche Spiele Tom spielt und er braucht dich letztendlich nur für den Prozess. Sonst würde er dich bitten, bei ihm zu bleiben und endlich Tacheles reden."
„Tacheles reden? Worüber?", fragte Cassia leise. „Es sind alle Fronten geklärt, wir arbeiten zusammen und danach geht jeder seinen Weg."
„Und...", fügte Elisa spitz hinzu. „Wenn du heimkommst, hättest du so brutalen Liebeskummer, dass ich dich wahrscheinlich zwei Wochen später von der Straße kratzen dürfte!"

Cassia zuckte so heftig zusammen, dass sie beinahe das Handy fallen ließ. Liebeskummer? Was redete Elisa da? Ihr Herz begann zu rasen und ihr wurde unerträglich heiß, während ihre Gedanken Achterbahn fuhren. Wenn sie nach Hause kam, wäre alles wieder wie früher. Sie würde lediglich Los Angeles vermissen, die Stadt der Träume, die sie in den letzten Tagen und Wochen als aufregend, lebhaft und laut kennengelernt hatte und sonst nichts. Tom gehörte nicht in ihr Leben, er war ausgestiegen und sie lebten in verschiedenen Realitäten. Er war ein gottverdammter Rockstar und sie war eine normale Bürgerin, die ihr Geld in einem normalen Beruf verdiente. Die Unterschiede waren klar und deutlich zu sehen und dennoch verschloss sie die Augen davor.

Als hätte er ihre Gedanken gehört, klopfte es in diesem Moment an der Tür. Cassia drehte sich in ihrem Stuhl und entdeckte Tom im Türrahmen stehen, der eine Geste mit der Hand machte, die stumme Nachfrage, ob sie telefonierte. Cassia schluckte hart.
„Elisa, kann ich zurückrufen?"
„Lass mich raten", kam es gehässig zurück. „Dein Angebeteter ist aufgetaucht, weil deine Aufmerksamkeit für zwei Minuten auf jemand anderem lag?" Sie sagte es so laut, dass Tom Fetzen davon aufschnappte, doch anders als Cassia dachte, legte sich kein amüsiertes Grinsen, sondern ein düsterer Schatten über sein Gesicht. Allgemein sah er sehr ernst aus.
„Genau so ist es", stimmte Cassia ihrer Schwester zu, Elisa schwieg betreten. „Er hat mich gehört?"
„Jap."
„Ist er wütend?"
„Das... kann ich gerade nicht feststellen."
„Dann hau ihm eine von mir rein."
Mit diesen Worten legte Elisa auf, das Handy tutete und gab Ruhe. Cassia ließ es sinken.

Tom betrat das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. „Deine Schwester ist wohl nicht gut auf mich zu sprechen." Es war keine Frage. Er stellte fest und Cassia brachte es nicht fertig, ihm das Gegenteil weißmachen zu wollen. Er hätte ihr sowieso nicht geglaubt.
Der Gitarrist setzte sich auf ihr Bett und sein Blick fiel auf den Laptop. „Neu?" „Oh ja, gestern mit Gustav gekauft. Ich muss Bewerbungen schreiben", brachte die Schwarzhaarige hervor, ihre Stimme klang seltsam hoch. Tom vermied es mit Bedacht, sie anzusehen. Eine Weile blieb es zwischen ihnen still, Cassia bemerkte an der Stimmung im Raum, dass etwas ganz und gar nicht stimmte.

„Alles okay? Hast du dich wieder mit Bill gestritten?"
„Nein", antwortete Tom und faltete seine Hände. „Bill ist nicht da, er ist Kaffee trinken gefahren mit einer Freundin. Aber ich schätze, ich muss dir etwas sagen."
Die Schwarzhaarige versteifte sich. „Ach ja? Was gibt's denn?"
„Wegen deiner Rückkehr nach Deutschland", begann Tom leise. „Der Prozess oder die Anhörung, wie auch immer, ist bald und danach fliegst du zurück. Daher hielt ich es für angebracht, mit dir zu reden und etwas klarzustellen. Bill und ich haben viel darüber gesprochen und gestern Abend waren auch die anderen dabei..."
Cassias Herz pochte immer schneller in ihrer Brust und sie schaute auf den Boden. Kam jetzt der Moment, in dem Tom ihr sagte, dass sie bleiben sollte? Dass er wollte, dass sie bei ihm blieb? Sie biss sich auf die Lippen und schaute hoch, in der Hoffnung, seinen Augen zu begegnen, doch der Gitarrist starrte noch immer auf seine Hände.

„Tatsache ist", begann dieser langsam. „dass ich dich will. In meinem Bett. Ich kann an nichts anderes denken, seit ich dich wiedergesehen habe. Ich will nichts mehr, als dich meinen Namen stöhnen zu hören, wenn ich in dich stoße und dir in die Augen sehen, wenn du unter mir kommst."
Cassias Finger krallten sich während seines Dirty Talks in ihre Hotpants. Sie schluckte tief. Etwas in dieser Art hatte sie nicht direkt erwartet. Tom war ehrlich, dass sah sie ihm an. Und dennoch kam in ihr der Verdacht auf, dass er längst nicht alles sagte.
„So war es schon immer", redete der Gitarrist weiter und seine Hand glitt zur Seite und öffnete unerwartet ihre Nachtischschublade. Die Schwarzhaarige zog scharf die Luft ein. „Tom, das solltest du lassen."
Doch es war zu spät. Der Gitarrist fasste in die Schublade und zog den Vibrator heraus. „Wenn ich daran denke, was dieses Ding hier drin wahrscheinlich zu suchen hat", knurrte er heiser. „In greifbarer Nähe, falls du nachts aufwachst und ihn brauchst."
„Ich habe ihn nicht benutzt. Ehrenwort", wisperte die Schwarzhaarige angespannt und Tom legte das Gerät neben sich. „Ist auch nicht weiter wichtig", meinte er leise. „Wichtig ist, dass ich deiner Meinung bin. Wir sind völlig verrückt geworden."

Cassia erstarrte. Irgendwie kam es ihr vor, als liefe das Gespräch in eine andere Richtung, als sie angenommen hatte. Tom hob den Blick und endlich trafen sich ihre Augen. Doch da war nichts. Keine Emotion lag in seinem Blick, kein Gefühl, kein Feuer. Nichts. Seine Augen waren leer und ausdruckslos. Tom hatte alles ausgeschaltet, bevor er reingekommen war. Das hatte er bisher nur einmal gemacht. Cassia verkrampfte sich sofort. Ihre Gedanken begannen zu rasen.
Bitte nicht.

„Wenn der Prozess vorbei ist", begann Tom mit ruhiger Stimme zu sprechen. „Dann wirst du nach Hause fliegen. Du wirst deinen neuen Beruf kennenlernen und deine neue Wohnung. Ich stehe dem im Weg, Cassia. Du kannst es leugnen, aber wir wissen beide, dass es die Wahrheit ist. An dem Tag, als ich dich hier mit diesem verdammten Ding erwischt habe", er deutete auf den Vibrator. „da hat mir dein Blick zugeschrien, wie weit ich hätte gehen können. Zuvor auf der Yacht war es genauso. Du machst mir schöne Augen."
„Tom-", unterbrach Cassia entsetzt, doch er hob die Hand und sie schwieg. „Lass mich ausreden", bat er eindringlich und wartete auf ihr Nicken, bevor er fortfuhr. „Ich denke an nichts anderes, seit du hier bist. Ich sehe deine Lippen und denke daran, wie sie meinen Schwanz umschließen, ich denke an deinen Körper und wie verflucht nah er sich an meinen schmiegt, wenn ich es nur will. Du bist meine Verdammnis, Cassia. Aber... mehr bist du nicht."

Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Cassia starrte Tom entgeistert an, der sichtlich damit kämpfte, den Blickkontakt aufrechtzuerhalten. Mehr war sie nicht. Das Objekt seiner Gelüste, eine Frau, mit der er gern ficken würde, wenn sie nur endlich nachgab. Aber mehr war sie nicht.
„Du lügst", hörte Cassia sich sagen und in seinem Gesicht zuckte ein Muskel. Ihre Stimme war nicht flehend oder bittend. Nein, sie war eiskalt und scharf vor Zorn. „Scheiße, ist das dein Ernst?", redete Cassia bedrohlich weiter. „Du denkst, ich schlucke deine Lügen runter, weil es bequemer für dich ist? Nicht nochmal, Tom. Ganz sicher nicht. Was ist los, bekommst du kalte Füße, wie damals schon?"

„Das hat nichts damit zu tun", sagte der Gitarrist ruhig. „Sondern damit, was richtig ist. Und richtig ist es, wenn wir diese Angelegenheiten als das beenden, was am wenigsten Schaden verursacht."
„Und das wäre?"
„Dass wir Freunde bleiben", antwortete Tom ihr. „Wir sind erwachsene Menschen und ich werde für immer bereuen, dass ich unsere Freundschaft für ein paar Nächte aufs Spiel gesetzt habe."
Diesmal sagte er die Wahrheit und das war fast noch schlimmer. Cassia biss sich so fest auf die Lippen, dass es wehtat. „Tom, das meinst du doch nicht ernst. Wir beide und Freude? Das hat noch nie funktioniert, erinnerst du dich? Außerdem, wieso jetzt auf einmal?"
„Weil alles andere dich unglücklich machen würde", sagte er leise. „Du hast es gemerkt, oder? Tief im Inneren kennst du die Wahrheit. Dass es nie so wäre, wie du es dir vorstellst."
Cassia schluckte hart. „Und wenn doch?"
Tom schloss eine Sekunde die Augen und atmete tief durch. „Bill, Georg und Gustav haben recht. Deine Idee, dich an mir zu rächen, hat mich angemacht. Dieses Feuer heraufzubeschwören und du warst verdammt gut. Wie oft war ich kurz davor, dich über den Tisch zu legen und dich zu ficken, bis du nicht mehr laufen kannst. Ich weiß, was ich sagen und tun muss, damit du darauf anspringst, Cassia. Du hältst mich für ein Arschloch und das bin ich auch. Vor sieben Jahren, meinst du, ich habe dich rausgeschmissen, weil es leicht war?"

Cassia hielt die Luft an. Sie wollte es nicht hören. Seine unverblümten Worte taten weh und nahmen ihr den Atem. Sie hatte die Wahrheit gewollt... aber konnte sie damit umgehen?
Tom schaute auf seine Hände und atmete tief durch, bevor er zu reden begann. „Am Tag vor diesem Abend... da war ich kurz davor. Nicht so wie andere Male, an denen ich das dachte. In dieser Nacht in Budapest, dort war der Moment, in dem ich beinahe nachgegeben hätte. Ich wollte es. Meinen Schwanz rausholen und ihn in dich rammen, bis du weißt, was du mir mit anstellst. Mir das holen, was mir zustand, bevor ein anderer es tut!"
„Hör auf", forderte Cassia mit harter Stimme. „Ich will es nicht hören." „Du musst", widersprach Tom unnachgiebig, „denn diese verfluchte Klausel in unserem Vertrag bedeutete nicht nur, dass dich niemand anfassen darf. Ich wusste, was ich aufs Spiel gesetzt habe, und in dieser Nacht war es beinahe so weit, dass es mir egal war. Das Management redete mit mir und sie sagten, ich muss dich loswerden. Wenn ich es nicht tue, dann kündigen sie uns die Verträge, sagen das neue Album ab und die Tournee wird gestrichen. Niemals dürfe Tom Kaulitz eine Freundin haben, haben sie gesagt. Die Praktikantin einzuschmuggeln, nur dass man sie vögeln kann, das wäre unter meiner Würde. Und ich habe ihnen geglaubt. Ich wollte es. Ich wollte dich loswerden, denn du standest mir im Weg. Weil ich dich wollte, habe ich unsere Karriere gefährdet, die Plattenfirma war kurz davor uns zu kündigen und das alles nur, weil ich verzweifelt eine Frau wollte, die ich nicht haben durfte. Von vier Milliarden Frauen auf der Welt, wollte ich die Eine, die tabu war."

„Deine Karriere", wiederholte Cassia und ihr schossen die Tränen in die Augen. „All das hast du getan... wegen deiner Karriere?"
„Ich habe den bequemsten Weg gewählt, Baby", erklärte Tom so leise, dass sie ihn fast nicht verstand. In ihren Ohren hämmerte das Blut und ihre Augen brannten. Der Gitarrist stand auf und machte ein paar Schritte durch den Raum, bevor er sich an sie wandte. „Dir wehzutun hat mir weiterhin sichergestellt, dass ich das bleiben konnte, was ich war", sagte Tom ausdrucklos. „Ein Rockstar. Ich wollte Tom Kaulitz von Tokio Hotel sein. Ich wollte dieser Mann bleiben und daher musste ich dich loswerden. Nenn es Feigheit. Aber ich habe meinen Weg gewählt und du solltest deinen mit Bedacht wählen, bevor du damit dasselbe riskierst, wie ich. Ich habe damals mehr als eine Freundin verloren. Und es mir seither vorgeworfen. Denkst du wirklich, du könntest bei mir bleiben in dem vollen Wissen, was ich getan habe? Cassia, sei nicht dumm. Die Tatsachen haben sich nicht geändert."

„Es hat sich einfach alles geändert!", schrie die Schwarzhaarige und war plötzlich auf den Beinen. „Ich habe dich geliebt!"
„Und das wusste ich", gab Tom zurück. „Was denkst du, warum ich nie mit dir gefickt habe? Meinst du, ich wollte mir das Letzte nehmen, was du hattest? Ich besaß alles von dir, bis auf das. So ist es bis heute, nicht wahr?"

Cassia versteifte sich. „Tom, sei vorsichtig."
„Ich hätte dich haben können", unterbrach dieser unwirsch. „Mehr als einmal warst du bereit dazu. Nur mein Gewissen hielt mich davon ab."
„Gewissen?", lachte die Schwarzhaarige auf, die sich alle Mühe gab, ihre Stimme fest klingen zu lassen. „Sowas besitzt du nicht! Ein Mann, der sowas tut, hat kein Gewissen."
„Hätte ich dich gefickt, wäre es vorbei gewesen", meinte der Gitarrist angespannt. „Nur die Tatsache, dass das nie geschehen ist, hielt die Plattenfirma davon ab, uns sofort alles einzufrieren. Du könntest sagen, wir hätten zu dir stehen sollen – und du hättest mehr als recht damit. Aber wozu in der Vergangenheit wühlen? Es ist passiert, was passiert ist und nichts, was ich sage, macht es rückgängig."
„Ihr habt euch also mit euren Managern zusammengesetzt und das beschlossen? Hinter meinem Rücken?", wollte Cassia wissen, deren Hals vor Schmerzen glühte. „Ihr habt einfach entschieden, mich auf die Straße zu setzen."
„Ja, antwortete Tom ihr. „Sie haben gesagt, dass unsere Affäre enden muss, sonst endet Tokio Hotel. Und da ich niemals die Finger von dir gelassen hätte, wie ich selbst wusste, habe ich den anderen gesagt, dass ich dich rausschmeiße und Dinge zu dir sage, die dafür sorgen, dass du auch nie mehr wiederkommst. Ich könnte mich entschuldigen... aber keine Entschuldigung der Welt könnte das wieder gut machen."
„Und du bist bis heute der Überzeugung, dass es das Richtige war", fügte Cassia hinzu und betrachtete Tom dabei, wie er sich unschlüssig auf die Lippen bis. Für einen kurzen Moment sah sie hinter die Fassade und erkannte das Gesicht eines zutiefst verzweifelten Mannes. Dann setzte Tom seine Maske wieder auf. „Ja, das bin ich."

Cassia wich zwei Schritte vor ihm zurück. „Ihr ruiniert mein Leben wegen eurer verdammten Karriere? Ich war dabei, ich habe euch unterstützt und war für euch da!"
„Das leugnet niemand", murmelte Tom nur. „Dein einziger Fehler war es, dich in mich zu verlieben. Denn ab diesem Moment wusste ich, was kommen würde. Habe ich gestoppt? Nein. Habe ich dir davon erzählt? Nein."
„Natürlich nicht", zischte die Schwarzhaarige. „Immerhin hätte ich sonst aufgehört, dich ranzulassen. Ich würde dir gern glauben, dass du meine Ehre retten wolltest, indem du mich nicht gefickt hast, aber es steckt viel mehr dahinter, nicht wahr? Wenn du schon ehrlich bist, dann sag wenigstens alles. Du wolltest einzig und allein dich selbst retten, denn hätten wir miteinander geschlafen, wärst du nicht in der Lage dazu gewesen, mich aus deinem Leben zu verbannen. Die Wahrheit ist sehr viel einfacher als das. Es ging dir dabei nicht um mich. Hat es mit Georg und seinen Worten zu tun?"
Tom schaute hoch und ihr direkt in die Augen. „Was willst du hören, Cassia?", fragte er tonlos. „Dass ich dich liebe? Dass ich dich damals geliebt habe? Ist es das?"

Die Angesprochene hielt sich am Tisch fest, so sehr zitterten ihre Beine. Die Sicht verschwamm, da die Tränen übermächtig wurden, aber sie wollte sich nicht die Blöße geben, sie wegzuwischen.
„Ob ich das hören will?", wiederholte sie mit hörbarem Schmerz in der Stimme. Kurz meinte sie, Tom eine Bewegung machen zu sehen, als wollte er die Hand nach ihr ausstrecken. In seinen Augen schimmerte ein Ausdruck auf, den sie nicht zu greifen bekam. Doch sie konnte nicht mehr sprechen. Noch ein Wort und sie würde zusammenbrechen. Sie spürte es.
„Ich bin sicher, dass du bereits dieselben Gedanken hattest, was deine Heimreise angeht", sagte Tom mit einer gewissen Distanz in der Stimme. „Ich mache es dir nur leichter, denn wir haben im Leben des jeweils anderen nichts mehr zu suchen. Es tut mir leid, dass ich zu weit gegangen bin. Du hast dein Ziel erreicht, denn ich leugne nicht, dass du mich verlockst. Mehr als du selbst ahnst. Daher wird deine Heimreise für mich eine Zerreißprobe und das war es, was du wolltest."
„Aber darum ging es doch gar nicht mehr!", schrie Cassia ihn unerwartet an. Ihre Stärke kehrte zurück und Wut kam zu Hilfe. „Es ging nicht mehr um Rache, es ging auch nicht mehr um diese bescheuerte Liste! Es ging um uns beide. Was wir sind und war wir füreinander sein könnten!"
„Es gibt kein uns beide", machte Tom ihr deutlich. „Sieh es ein, die anderen haben Recht! Wir verletzen uns gegenseitig und dann krachen wir wieder aufeinander und sind kurz davor zu ficken! Es kann so nicht weitergehen, Kis!"

Der Spitzname schien wie ein Schachmatt zu sein. Cassia hatte Tom erzählt, wieso sie nicht so genannt werden wollte und genau jetzt fiel der Name. „Elisa und alle anderen hatten recht", brachte sie über die Lippen. „Ich hätte dir nie vertrauen dürfen."
„Plötzlich kommt einem in den Sinn, was man gemacht und gesagt hat, nicht wahr?", fragte Tom leise. „Man wird sich bewusst, was passiert ist. Vergiss daher niemals, Baby, dass du es warst, die sich an mich rangeschmissen hat, weil du deine Rache wolltest."
Cassia keuchte auf, als hätte er sie in den Bauch geschlagen. „Was deine Freunde angeht", redete Tom unbarmherzig weiter. „Marius kam nur in dein Leben, weil ich das so wollte."

Kurz wurde es sehr still zwischen ihnen.
„Du kennst ihn?", fragte die Dunkelhaarige fassungslos, Tom schnaubte. „Was meinst du, woher ich deine Adresse hatte? Von deinem Vater? Der hätte mich eher zum Teufel verklagt, als sie mir zu geben. Marius ist ein Bekannter von Georg und er lebt noch in Magdeburg. Wir haben ihn überredet, dich im Auge zu behalten. Nichts, was du ihm erzählt hast, war neu für ihn. Er kannte die ganze Geschichte. Aber ich wollte, dass jemand auf dich achtgibt."
Weiter kam Tom nicht, schon im nächsten Moment stürmte Cassia nach vorne und gab ihm zwei schallende Ohrfeigen. Toms Gesicht flog zur Seite und beim zweiten Schlag reagierte er noch zu langsam, doch dem dritten wich er aus. Er packte ihre Hände und hielt sie fest.

„Lass mich los!", knurrte Cassia fuchsteufelswild und trat nach ihm. „Du Bastard, wie konntest du nur! Ich durfte nicht einmal eigene Freunde haben, ohne dass du die Finger drin hast!"
„Er ist dein Freund", beschwor Tom laut. „Er hat sich nie wieder gemeldet, als ihr euch enger angefreundet habt! Ich wollte nur, dass er aufpasst, dass du keinen scheiß anstellst! Glaub's oder glaub's nicht! Aber das war die einzige Intuition dahinter!"
„Ja sicher doch! Du wolltest dabei gar nichts kontrollieren!", brüllte Cassia und entwickelte Bärenkräfte, als sie sich Toms Griff entzog und auf Abstand ging. Ihr Herz brüllte vor Schmerz, Zorn und Angst.

„Wieso erzählst du mir das heute?", fragte die Schwarzhaarige und streckte die Hand aus, da Tom näherkommen wollte. „Bleib bloß weg von mir!"
Der Gitarrist hielt augenblicklich inne. „Cassia, hör auf zu weinen", verlangte er und zum ersten Mal hörte sie die Zerrissenheit in seiner Stimme. „Du weißt, dass ich das nicht ertrage."
„Nicht ertrage", echote die Dunkelhaarige erzürnt. „Wieso bist du es dann, der ständig für Tränen jeder Art verantwortlich ist? Egal, darum geht es nicht. Weswegen erzählst du mir das heute? Warum vor dem Prozess und nicht danach? Was macht dich sicher, dass ich hierbleibe?"
„Ich bin nicht sicher", antwortete Tom gepresst. „Ich habe soeben erneut alles riskiert. Diesmal nicht meine Karriere. Sondern dass du verschwindest. Aber ich kann nicht länger zusehen, wie du..."
Er machte eine Pause und schaute Cassia an, als erwartete er, dass sie etwas sagte oder tat. Doch sie blieb still und er atmete tief durch. „Ich kann nicht länger zusehen, wie du dich in mich verliebst, Baby. Erneut. Als wenn du beim ersten Mal nichts gelernt hättest. Es tut mir leid. Es tut mir alles so leid. Aber es ist das Beste so. Wir bleiben Freunde, das ist alles, was ich dir anbieten kann. Weil es so sein muss. Weil es so zu sein hat."

Eine Weile war nur ihrer beider Atem zu hören. Cassias Herz schmerzte so stark, dass sie die Zähne zusammenbeißen musste, um nicht loszuschreien. Sie wusste, dass es keinen Sinn hatte, Toms Worte zu verleugnen. Er log nicht, sie leugnete nicht. Das machte alles nur noch schlimmer.
„Das war es also, ja?", fragte die Schwarzhaarige wispernd. „Du versteckst dich. Schon wieder. Hinter dem, was wir beide wissen und du kannst es noch immer nicht zugeben. Nicht einmal jetzt, wo ich dachte, du wärst mutiger."
„Es würde dich zugrunde richten", antwortete der Gitarrist steif. „Du würdest dich an eine Hoffnung klammern, nur wegen drei Worten. Es spielt keine Rolle, Cassia."
„Also Freunde bleiben?", fragte diese nach. „Das ist es, was du willst."
„Das ist das, was für uns beide am besten ist", nickte er und sie schluckte hart. „Nein Tom. Du tust nur genau dasselbe wieder – du gehst den bequemen Weg. Wieso ging ich auch davon aus, es hätte sich irgendwas geändert!"
„Hat es nicht", zischte der Gitarrist. „Und falls ich dir Anlass gegeben habe, etwas anderes zu denken, tut es mir leid."
„Tom, so wahr mir Gott helfe, wenn du nochmal sagst, dass es dir leidtut, werde ich dir irgendwas an den Kopf schmeißen", drohte Cassia ernst. „Ich will, dass du verschwindest. Raus hier."

Tom schaute sie an und in seinen Augen sah sie nichts als Leere. Er ließ keine Emotion zu. Nichts ließ darauf schließen, was er dachte. „Ich sage es den anderen", meinte er ruhig. „Dass wir die Sache geklärt haben."
„Die dürften sich freuen, waren sie nicht diejenigen, die dich dauernd bearbeitet haben, dass du die Finger von mir lassen sollst?", fragte Cassia, deren Stimme mehrfach brach. Tom senkte den Blick. „Sie wussten, wie es ausgeht und jetzt haben wir den Beweis dafür."
„Oh nein", hob die Schwarzhaarige die Stimme. „Gib nicht den anderen die Schuld für deine Feigheit, Tom Kaulitz."
Kurz begegneten sich ihre Blicke, der Gitarrist wirkte teilnahmslos. „Wenn du abreisen willst, sag Bill Bescheid. Er bringt dich zum Flughafen." Dann drehte er sich um und verschwand aus dem Raum.


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