Easy

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Cassia war kaum eine Stunde allein, bevor es an ihrer Tür klopfte. Natürlich war ihr nicht direkt jemand nachgekommen, da Gustavs Ausrede mit Elisas Anruf sonst unglaubwürdig gewesen wäre, doch ein Teil der Schwarzhaarigen hatte gehofft, dass Tom trotzdem kommen würde. Doch dem war nicht so.
Zuerst kam Bill, wild zeternd über seinen Bruder, dann Heidi höchstpersönlich, die sie auf ein Stück Kuchen einladen wollte, es folgte Gustav, der sich für Toms Verhalten entschuldigte und nochmal Bill, der Cassia darum bat, aus ihrem Zimmer zu kommen.
Die Dunkelhaarige ignorierte alle Kontaktversuche, bis schließlich erneut jemand klopfte und sie die Fassung verlor.

„Lasst mich doch endlich zufrieden!", brüllte sie in Richtung Tür, fest damit rechnend, dass Bill diese eintreten würde, doch es war nicht der Sänger.
„Cassia, machst du bitte auf?", fragte Georg ganz ruhig, die Angesprochene hob den Kopf, den sie die vergangene Stunde in die Kissen gepresst hatte. Kurz blieb sie regungslos und überlegte, dann erhob sie sich langsam und öffnete dem Bassisten die Tür. Georgs besorgter Blick traf sie und Cassia biss fest die Zähne zusammen. „Was gibt's? Falls ich runterkommen soll, könnt ihr mich mal am-"
„Nein, keine Sorge", unterbrach Georg schlicht. „Ich weiß, dass Heidi dich nochmal bequatschen will, ob du nicht morgen mit ihr Kaffee trinken gehst und um Todesopfer zu vermeiden, wollte ich dich fragen, ob du mit mir etwas Essen gehen möchtest."
Kurz war Cassia von dem Vorschlag ein wenig überfahren, dann schaute sie an sich hinab. „Georg, ich bin gar nicht ausgehfertig."
„Das war auch nicht meine Frage", konterte der Bassist trocken. „Gustav kommt auch mit, er mag das Gehabe auf der Terrasse genauso wenig wie du und ich. Lass uns etwas essen gehen, das lenkt dich ein bisschen ab."
Cassia zog die Augenbrauen hoch. „Hat Tom dich zu mir geschickt?"
Georg wirkte verärgert. „Nein, natürlich nicht. Er war nur noch nicht hier, weil er wusste, dass du ihn abweisen würdest und er Heidi erst loswerden will. Das soll aber keine Entschuldigung sein, Cassia. Ich weiß, wie du dich fühlen musst."

Die Schwarzhaarige schnaubte. „Als wenn du wüsstest, wie sich das anfühlt!"
Eine Sekunde später tat das Ausgesprochene ihr schon unfassbar leid, vor allem, weil sie sah, wie Georgs Miene sich kaum merklich änderte. „Tut mir leid, Georg", entschuldigte sich Cassia leise. „Das war... sehr gemein. Natürlich weißt du, wie ich mich fühle, da ich dafür gesorgt habe, dass du das Gefühl kennst."
„Zieh dir schnell eine Jacke an", antwortete Georg nur. „Wir sollten uns beeilen, wenn Bill spitzkriegt, was wir vorhaben, wird er mich daran hindern wollen." „Wieso das?" „Weil Tom abdreht, wenn du nachher nicht hier bist und er mitbekommt, dass Gustav und ich dich entführt haben."
Cassia machte einen abfälligen Ton. „Als wenn er mit Mrs. Perfekt nicht beschäftigt genug wäre..." Sie schaute Georg an, bevor sie ergeben nickte. Ein wenig frische Luft würde ihr wahrscheinlich guttun. Sie ließ den Bassisten an der Tür stehen, schnappte sich die erstbeste Jeans und ein Shirt, bevor sie ins Bad huschte, sich umzog, ihre Haare zusammenband und kurz ihr Gesicht mit kaltem Wasser abwusch. Es wirkte Wunder gegen die Tränenspuren und als sie Georg wieder entgegentrat, schlüpfte sie schnell in ihre Sneaker, bevor sie ihm folgte.

„Wo ist Gustav?", fragte die Dunkelhaarige, als sie die Treppen hinabliefen. Georg schaute in Richtung Terrasse, wie um zu prüfen, dass keiner etwas mitbekam. Eine neue Stimme hatte sich zu dem Gespräch hinzugemischt, weswegen Cassia stehenblieb. Es war eine zweite weibliche Stimme, die sehr jung klang. Georg zog sie sofort in Richtung Haustür.
„Ganz ruhig", sagte er auf Cassias ungestellte Frage hin. „Leni ist gekommen, nachdem Bill das erste Mal bei dir war, Heidis Tochter. Gustav wartet im Auto, dass die Zwillinge nicht hören, wenn ich aus der Einfahrt fahre. Sein Wagen stand an der Straße. Komm!"

Mit einem letzten Blick in Richtung Terrasse, folgte Cassia ihm nach draußen. Sie entdeckte Gustavs schlichten Geländewagen sofort und stieg auf den Rücksitz. Sie fühlte sich wie bei einer Flucht, so schnell waren sie fort. Gustav startete den Motor, noch bevor Georg seine Tür richtig zugemacht hatte und sie brausten davon.

Sobald sie auf die Hauptstraße kamen, fiel Cassia etwas ein. „Das Tor", sagte sie zu den beiden Männern. „Werden sie nicht wissen, dass wir weg sind?"
„Klar, aber jetzt sind wir schon unterwegs", meinte Gustav, in dessen Stimme ein Funken Wut mitschwang. „Wir hielten es für eine gute Idee, wenn wir weg sind, ohne um Erlaubnis zu fragen." „Ich bin alt genug, um etwas ohne Erlaubnis zu tun", meinte Cassia zustimmend, Georgs Blick begegnete ihr im Rückspiegel. Er wirkte besorgt.
„Ich will niemanden in Schutz nehmen", begann Gustav in die Stille hinein zu reden. „Aber Tom wusste nicht, dass Heidi heute kommen würde. Er hatte keine Ahnung davon."
„Er schien sich aber nicht zu bemühen, sie loszuwerden", meinte Georg leise. „Auch nicht, als sie mit dieser Fummelei angefangen hat." „Sie ist seine Ex Frau", sagte Gustav ruhig. „Das bedeutet, die beiden wissen das ein oder andere übereinander und nur weil sie auf die Idee kam, Cassia herzuholen, bedeutet das nicht, dass Tom sich dazu hat überreden lassen. Es ist doch völlig egal, wessen Einfall es war."
„Ich würde dir zustimmen", gestand Cassia angespannt. „Aber wenn es keine Rolle spielt, wieso hat er es dann nie erwähnt?"
„Weil es nicht wichtig war", antwortete Gustav mit einem Schulterzucken. „Und weil du es nicht gut aufgenommen hättest. Ich weiß, was du von ihm denkst, Cassia. Aber stell dir selbst die Frage, ob Tom dich so hintergeht, dass er sich Heidi warmhält, wenn du nicht hinsiehst. War er irgendwann in den letzten Wochen so?"
„Er hätte es Cassia sagen müssen", mischte sich Georg überzeugt ein. „Es war nicht richtig, dass er den beiden nicht klargemacht hat, mit wem er zusammen ist. Dieses Missverständnis ist allein seine Schuld."
„Ich bin sicher, dass er das nicht leugnet", stimmte Gustav zu und schaute in den Spiegel, dass er Cassia kurz in die Augen sehen konnte. „Aber ich bin auch sicher, dass er das mit Heidi klären wird und du hast keinen Grund, ihm zu misstrauen. Sie war seine Frau, dachtest du, sie gibt einfach auf? Sie dachte eben, dass ihr beide miteinander fertig seid."

„Sind wir aber nicht", fuhr Cassia ihn an und war sicher, dass die beiden Männer einen Blick untereinander wechselten.
„Uns brauchst du das nicht zu sagen", meinte Gustav bestimmt. „Ich weiß, dass du dich verraten fühlst, weil er nicht zu dir stand. Er war einfach ein wenig überfordert, dass Heidi plötzlich da war und ihm auf die Schnelle keine Lösung eingefallen ist."
„Es gab aber eine Lösung", entgegnete Cassia stur und schaute zur Seite aus dem Fenster. „Er hätte ihr klarmachen können, dass zwischen ihnen nichts mehr ist. Vielleicht hat er sie sich warmgehalten, falls ich nach Hause gehe."

Da keiner der beiden etwas erwiderte, schaute Cassia wieder in den Spiegel und wurde unter dem strafenden Blick von Gustav ganz klein. Der Schlagzeuger schien verärgert, als er sprach, war seine Stimme jedoch ruhig und gefasst. „Das", sagte er streng. „ist eine widerliche Unterstellung von dir. Dass er Heidi warmhält, würde er keiner von euch beiden antun. Du weißt genau, dass er Heidi keine Szene machen wollte, während du auch noch dabei warst. Es passt dir nicht, Cassia, das sehe ich dir an, aber du musst dich damit abfinden, dass Tom und Heidi lange ein Paar waren und es jemanden gab, bevor du aufgetaucht bist."
Damit erwischte er die Wahrheit zumindest teilweise. Eifersucht war ein Gefühl, dass die Schwarzhaarige so gar nicht leiden konnte.
„Gustav, Tom hat Cassia im Garten Unrecht getan. Er hat sie nicht verteidigt und nicht zu ihr gehalten. Es war absolut peinlich, was er abgezogen hat und dass es sie verletzt hat, ist verständlich", gab Georg dazu und lehnte sich zurück. „Immerhin hätte man das auch früher lösen können."
„Natürlich", stimmte Gustav zu. „Aber ich bin eben Realist. Tom hat einen Fehler gemacht. Cassia ist wütend. Wir unternehmen jetzt etwas zusammen und morgen werden sie das klären. Aber sich jetzt hochzuschaukeln, bringt uns nicht weiter."

Obwohl er recht hatte, war Cassia nicht zufrieden. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und starrte durch das Fenster, wo die Innenstadt von Los Angeles vorbeirauschte. Sie hatte keine Ahnung, wo die G's mit ihr hinwollten.
Die Schwarzhaarige horchte auf, als Gustav am Radio herumdrückte. „Was hast du vor?", fragten Georg und Cassia gleichzeitig, der Schlagzeuger schnalzte mit der Zunge. „Ich zeige Cassia, dass zwar Heidi die Idee hatte, sie zu kontaktieren, aber Tom sie auch ohne Prozess irgendwann angerufen hätte."
„Ach ja?", fragte Cassia zweifelnd, Georg jedoch schien etwas zu dämmern. „Bist du sicher, dass das gerade jetzt eine gute Idee ist?", wollte er vorsichtig von Gustav wissen, dieser winkte ab. „Jeder braucht mal ein bisschen Hilfe beim Versöhnen", meinte er leise, wobei Cassia ihn dennoch hörte. Sie wollte gerade etwas zurücksagen, da erklangen die ersten Töne eines Songs. Kurz war es still im Wagen, bis ihr einfiel, woher sie das Lied kannte.

„Das ist euer Song", murmelte sie. „Easy, oder?"
„Ganz genau", nickte Gustav. „Den Song haben Bill und Tom geschrieben, wobei Bill behauptet, es wäre der größte Teil von Tom selbst und er hätte ihn geschrieben, als du vor einigen Jahren mal Kontakt zu uns aufnehmen wolltest. Wahrscheinlich war es zu schmerzhaft für ihn, daher hat er die Notizen erst rausgerückt, als wir am neuen Album waren."
„Hör auf den Text", sagte Georg, er klang fast so, als hätte er gerade eine Schlacht verloren. Cassia gehorchte und lauschte den Strophen, wobei ihr jede Zeile ein wenig mehr der Hals zuschnürte.
„Das Lied geht um uns", riet sie leise, doch keiner der beiden musste es bestätigen. Die Schwarzhaarige griff sich an die Kehle und schluckte schwer. Die Tatsache, dass sie sich selbst nie damit in Verbindung gebracht hatte, schockierte sie tatsächlich ein wenig, denn es könnte kaum offensichtlicher sein. Sie schaute gedankenverloren zwischen den Vordersitzen hindurch und räusperte sich.

„Halt an, Gustav."
Die zwei Männer wirkten verwirrt. Georg drehte sich ein wenig zu Cassia. „Wir wollten eigentlich zu einem guten Burgerladen."
„Nein, lass uns darein gehen", bestimmte die Schwarzhaarige und deutet auf eine Bar an der Straßenseite. Sie war vierundzwanzig Stunden geöffnet und ein Teil des Essbereichs war offen und von der Straße abgesperrt.
„Du willst also eher trinken als essen", riet Georg belustigt. „Sicher, dass das in deiner Verfassung eine gute Idee ist? Wir haben noch nicht mal achtzehn Uhr."
„Irgendwo ist immer Zeit für Cocktails", meinte Cassia und tippte Gustav auf die Schulter, der immer noch das Lenkrad gerade hielt und keineswegs begeistert wirkte. „Das ist wahrscheinlich keine gute Idee... wir sollten etwas essen und dann wieder zurück zu den Zwillingen. Weißt du noch, was das letzte Mal passiert ist, als du getrunken hast?"
Das erwischte Cassia eiskalt, die bei der Erinnerung an diese Nach schauderte, jedoch gab sie nicht nach. „Ach bitte, Gustav. Nur ein paar Cocktails, komm schon. Ihr wart auf der Yacht nicht dabei, ich war ewig nicht mehr mit euch feiern."
Der Schlagzeuger antwortete ihr nicht, weswegen Cassia Georg antippte. „Überzeug ihn, los!"

Der Angesprochene lachte matt. „Vielleicht ein Kompromiss?", schlug er vor. „Wir gehen zuerst etwas essen und wenn du dann noch Lust hast, gehen wir noch in eine Bar. Aber erst das Essen, Gustav hat nämlich Hunger."
„Gar nicht", brummte der Schlagzeuger verstimmt, Cassia lachte. „Ich wäre mit deinem Kompromiss einverstanden. Zwei gegen einen und dennoch würde ich gerne dein Einverständnis haben, Gustav."
Dieser verdrehte die Augen, als würden sie seine Geduld auf eine harte Probe stellen. „Na schön, von mir aus!"
~~~~*
Die Bar, die Georg tatsächlich wenig später aussuchte hieß The Captains Daughter und war gut besucht. Mittlerweile war es früher Samstagabend und die Straßen hatten sich für das Nachtleben gut gefüllt. Georg und Gustav mussten den Türsteher kennen, denn als dieser sie erkannte, als sie nur auf die Bar zukamen, ließ er sie schon mit einer freundlichen Geste herein. Cassia fiel auf, dass sie langsam wirklich verstand, wieso die Band sich damals gesplittet und Bill und Tom nach Los Angeles gegangen waren. Niemand hatte Notiz davon genommen, als sie mit zwei Mitgliedern einer weltweit bekannten Band die Bar betrat. Das wäre zweitausendzehn niemals möglich gewesen.

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