T(r)AGEBUCH - zweiter Teil

17 0 0
                                    

13.06.22 - Kein Titel

Manchmal fühle ich mich so, als wäre ich ein Zeuge meines eigenen Lebens, nicht wirklich ein Teil davon. Wie ein Schauspieler, der seine Rolle in diesem Stück vergessen hatte und wie ein aus dem Tiefschlaf Gerissener, nun so langsam die Augen an das Licht gewöhnen muss. Um dann wiederum bewusst zu werden, dass man auf einer Bühne steht, Menschen Erwartung haben und du unwissend über das Leben irgendwie improvisieren musst auf die Frage:
"Was willst'n du mal werden?"
Das fing verstärkt alles 2019 mit dem Beginn der Corona-Pandemie an. Ich glaube vor Allem, die ab da an, folgenden Umstände spielten eine entscheidende Rolle im geistigen Wandel.

Hab heute viel nachgedacht, wieder mit mir diskutiert, ganz allein im Innern. Mich zu überreden versucht, motiviert zu bleiben und an die Zukunft zu glauben. Ich weis nicht wie oft ich mir das sagen muss, um endlich überzeugt davon zu sein, etwas an meinen Gewohnheiten zu ändern.

Ich glaube, in jedem von uns gibt es diesen inneren Konflikt, diesen Krieg zwischen dem, was wir sein wollen, und dem, was die Welt von uns verlangt. Zwischen dem Wunsch nach Freiheit und der Angst vor der Einsamkeit und vor allem jene Unbedeutsamkeit, welche sie mit sich bringt. Gefangen zwischen der Sehnsucht nach Liebe und der Furcht vor dem Schmerz, den sie letztlich verursachen kann.

Manchmal frage ich mich, ob jede dieser Rollen, die wir spielen, bewusst ist. Demnach nur Masken sind, hinter denen wir uns verstecken. Wir können manche Szenen besser improvisieren als andere, wir handeln nur viel zu selten wirklich bedacht. Vielleicht ist es das, was uns menschlich macht: die Fähigkeit, so viele verschiedene Dinge gleichzeitig zu sein.

Ich habe keine Antworten, nur weitere Fragen. Fragen, die mich in die Nacht beschäftigen und mich wachhalten, während die Welt um mich herum tief und fest schläft. Vielleicht ist es das, was es bedeutet, lebendig zu sein: immer zu suchen, nie ganz anzukommen.

-----

14.06.22 - Bitte, versteh' das doch!

Es ist, als würde ich gegen eine Wand reden, wenn ich versuche, den Leuten klarzumachen, was wirklich abgeht. Hier, an der Grenze zwischen dem, was sie Gesellschaft nennen, und der kalten Realität, wo wir kämpfen müssen, um überhaupt wahrgenommen zu werden - sie haben uns davon isoliert.

Wir sind nicht blind. Wir sehen, was die Bullen machen. Sie kommen in unsere Viertel, denken, sie wären Helden in ihren eigenen billigen Actionfilmen in Schildkröten-Outfits. Immer auf der Jagd nach „Sternen", als Ausgleich vom ganzen Stress Zuhause und im Job, da kann man ja ganz gepflegt zum Ausgleich paar Konsumenten niederknüppeln . Aber was sie wirklich tun, ist uns alle hier noch tiefer in die Scheiße zu ziehen. Sie jagen die Kids für ACAB-Graffitis, verstehen es als wachsendes Problem von Jugendkriminalität, nur im völlig falschen Kontext. Sie glauben, dass es unsere Schuld wäre, dass die Kids so sind - weil sie schließlich zu uns gehören wollen. Sie verstehen nicht, dass es das nicht ist - sie verstehen nicht, dass die Zustände nicht unsere Schuld sind, wir sind lediglich die Antwort darauf. Mit dem härteren Vorgehen der Polizei gegen uns, sowie die verschärfte Überwachung durch Personenkontrollen, im und rundum das Gebiet, schaffen sie damit einen illusionären Widersacher. Die Herrschenden, sie haben kein Interesse das Problem zu lösen, sie spalten uns weiter - sie schaffen uns ein Feindbild, so wie wir es fordern. Mehr Mauern zwischen uns und ihnen.

Wir haben uns verlaufen, wir wurden lange auf Irrwege geführt. Nun sind wir gefangen in unserer eigenen Geschichten, gefangen in einem System, das uns vergessen will.

Ich schreib das alles hier nieder, nicht weil ich denke, dass es was ändert. Aber wenn auch nur einer das liest und versteht, dann war's das wert. Wir sind nicht eure Feinde. Wir sind Kinder dieser Stadt, dieses Landes. Und wir verdienen es, gehört zu werden, nicht verurteilt.

das LASTERTRAGE-BUCH 💀 Prosa & KomaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt