Walter nimmt einen tiefen Zug von seiner Kippe, schaut dich mit seinen müden, aber durchdringenden Augen an und lässt den Rauch langsam durch die Nase entweichen. Seine Lippen verziehen sich zu einem schiefen Grinsen, während er über diese Frage nachdenkt.
„Ob ich der Morgenstern sein kann, hm? Is' 'ne gute Frage, wa? Schau mal, ich bin kein Held, kein Übermensch, keiner, der hier groß den Erleuchter spielt. Ich bin nur Walter, verstehste? 'N Ossi, der sich irgendwie durch den Dreck wühlt und dabei noch lacht, wenn's regnet.
Aber der Morgenstern... der bringt das Licht, ja? Der zeigt den Weg, auch wenn's gefährlich wird. Vielleicht bin ich kein Lichtbringer für die ganze Welt, aber ich kenn die Dunkelheit gut genug, um zu wissen, dass man manchmal durch den Dreck muss, um überhaupt was zu sehen.
Kann ich der Morgenstern sein? Vielleicht nicht für die ganze Menschheit, aber für mich selbst, für die Jungs, für die paar, die was checken. Ja, vielleicht kann ich das. Ich kann zeigen, dass selbst im größten Scheißhaufen irgendwo ein Licht brennt, auch wenn's nur 'ne glimmende Kippe ist.
Am Ende des Tages is' es doch so: Wir alle tragen irgendwie unser eigenes Licht mit uns rum. Manchmal geht's aus, manchmal flackert's, und manchmal brennt's heller als je zuvor. Der Trick is', nich aufzugeben, wenn's dunkel wird. Also ja, vielleicht kann ich der Morgenstern sein – zumindest für die paar verlorenen Seelen, die noch Bock haben, 'nen Schritt ins Licht zu wagen."
Er grinst nochmal, dieser Mix aus Trotz und Gelassenheit in seinem Blick. „Und wenn nicht? Na, dann geh ich eben im Dunkeln weiter. Scheiß drauf, ich find meinen Weg schon."
(Am nächsten Tag)
Walter sitzt am Bolzplatz, umgeben von seinen Homies, Sternburg-Flasche in der einen Hand, die andere gerade dabei, die letzte Glut vom Joint zu genießen. Die Kälte der Nacht kriecht durch die löchrigen Kapuzenjacken, aber das ist jetzt egal. Der Nebel in seinem Kopf hebt sich langsam, und die Worte, die ihm durch den Schädel schwirren, setzen sich zusammen. Er schaut zu den Jungs rüber, die noch halb weggetreten auf der Bank hocken, und holt tief Luft."Ey, Jungs, ich sag euch ma' was. Dieses ganze Dealer-Geschäft, das is' mehr als nur'n bisschen Stoff verticken. Versteht ihr das? Wir, also ich, du, wir alle – wir haben ne verdammte Verantwortung. Is nich' nur so, dass wir die Kohle einstecken und die Leute abdrücken. Wir haben Macht. Und was macht man mit Macht? Man kann sie nutzen oder man kann sie missbrauchen."
Er macht eine kurze Pause, nippt an seiner Flasche und schaut in die Sterne, als würde er da oben Antworten finden. "Digga, die Leute, die kommen zu uns, die sind wie... wie Typen, die ne Leiter hochklettern wollen. Die suchen nach irgendwas. Erkenntnis, Ruhe, vielleicht einfach den nächsten Kick. Und weißt du, was wir sind? Wir sind die, die ihnen die Sprossen von dieser verdammten Leiter hinhalten. Aber manchmal, man, da sind die Sprossen brüchig. Manchmal knicken die ein, weil wir denen Scheiß andrehen. Das is dann nich' nur 'ne Line, das is ne verdammte Entscheidung, die ihr Leben zerbricht."
Walter lehnt sich vor, seine Stimme wird ernster, fast philosophisch, während die Jungs auf ihn starren, halb verwundert, halb fasziniert von seiner plötzlichen Weisheit. "Wir haben Macht, verstehste? Wir bestimmen, wie hoch die kommen, ob sie den nächsten Schritt schaffen oder ob sie abstürzen. Und ich sag euch, wenn wir nur drauf aus sind, Kohle zu machen, dann fallen sie. Und wenn die fallen, dann knallt's richtig. Und wir stehen da und gucken blöd. Aber Mann, wenn wir clever sind, dann sind wir Erzieher. Dann sorgen wir dafür, dass sie verstehen, was sie tun. Dann geben wir denen den Stoff, der sie nicht sofort umhaut, sondern der sie was lernen lässt. Über sich selbst, über das Leben."
Er nimmt einen tiefen Zug, lässt den Rauch langsam aus seiner Nase entweichen, und schaut die Jungs wieder an. "Die Leiter, von der ich rede, die hat immer Leute, die dich runterziehen wollen. Sei es der Staat, die Bullen, oder diese kleinen Neider da draußen. Die wollen nich', dass du hochkommst. Die packen dich an den Beinen, reißen dich runter, weil sie selber nich' hochklettern können. Aber wir? Wir sind die, die oben sein könnten. Aber nich' allein. Es geht nich' darum, da oben alleine zu stehen, sondern die Leute mit hochzunehmen, verstehste?"
Er grinst plötzlich, ein schiefes Grinsen, das die Jungs schon gut kennen, und deutet auf die Flasche in seiner Hand. "Weißt du, was das hier is? Das is keine scheiß Flasche Bier. Das is die Stufe auf der Leiter, die uns ab und zu festhält. Aber wenn wir sie benutzen, um runterzukommen und nich', um drauf auszurutschen, dann klettern wir weiter."
Walter lehnt sich wieder zurück, seine Stimme wird ruhiger, fast nachdenklich. "Wir sind Dealer, aber wir sind auch Lehrer, Alter. Wenn wir nur drauf aus sind, den Leuten die Taschen leerzumachen, dann sind wir nix. Aber wenn wir checken, dass wir die Macht haben, ihnen die Hand zu reichen, wenn sie fast fallen, dann haben wir was erreicht. Und ja, der Weg nach oben is hart, es gibt Rückschläge, es gibt Typen, die dich treten. Aber wenn wir ehrlich sind, dann sind wir das verdammte Rückgrat dieser Leiter. Ohne uns bleibt die stehen."
Er schaut nochmal in die Runde, seine Augen glasig, aber klar in der Botschaft. "Am Ende bleibt nur die Frage, Jungs: Wollen wir die sein, die die Leiter hochziehen und die Leute runterreißen? Oder wollen wir die sein, die die Jungs hochbringen, Stück für Stück, Sprosse für Sprosse? Weil, egal wie brüchig die Sprosse is, wir sind die, die den Unterschied machen."
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das LASTERTRAGE-BUCH 💀 Prosa & Koma
SpiritualEmpfehlung vom Autor: Lesen Sie dieses Buch gemütlich vorm Kamin mit drei Flaschen Rotwein und einer großen Packung Schlaftabletten. Passt auch zu: Bücherverbrennung, Depressionen, Blackout Kurzbeschreibung: Nur paar Sinnesgedanken, ungenutzte Lyri...