Stein der Zukunft (2)

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Schon nach kurzer Zeit erreichte die Prinzessin das Schloß und band eilig ihr Pferd fest.
Dann rannte sie in das Gemäuer hinein, während sie die ganze Zeit ihre Hände beinahe beschützend auf ihre Tasche drückte, wo der mysteriöse Stein drin war.

Auch wenn sie sich sehr geschickt und unauffällig verhielt, entging ihr nicht der neugierige Blick von Prinz John, der ihre Tasche beäugte.

Kaum in ihrem Zimmer, drückte sie sich erleichtert gegen die Tür und verriegelte sie dann sorgfältig.

,,Derke", rief sie dann zaghaft und lief zu ihrem Bett, auf dem es sich der kleine Hamster gemütlich gemacht hatte.

Momentan schnarchte er allerdings vor sich hin und wirkte überhaupt nicht wie ein ehemaliger Drache, der durch eine unwissende Prinzessin verhext wurde.

,,Komm schon, wach auf, ich muss dir was zeigen!", drängte Marian.
Sie war ganz gespannt darauf, was Derke zu dem Stein sagen würde.

,,Cchh ... hm? Was is'n?".
,,Schau, was ich im Kristallsee gefunden habe!".

Sie öffnete ihre Tasche und der bläulich leuchtende Stein kam zum Vorschein.

Derke sprang wie von der Tarantel gestochen auf.
,,Ach du meine Güte! Fass den Stein ja nicht an! Das könnte verheerende Folgen haben!".

Marian sah ihn verwirrt an, bevor sie den Stein aus ihrer Tasche auf den Tisch in ihrem Zimer rollen ließ.
Allerdings rollte der Stein an das Ende des Tisches und fiel scheppernd auf den Steinboden. Erstaunlicherweise zerbrach er nicht, sondern blieb ganz.

Wie aus Reflex beugte sich Marian herunter und hob den Stein auf.

Plötzlich durchzuckten sie mehrere Bilder von ihr selbst:
Sie, wie sie auf einem Pferd neben König Richard herritt, mit festlicher Kleidung.
Sie, wie sie im Dorf war und irgendjemanden anschrie.
Wie hypnotisiert riss sie ihre Augen auf und lehnte sich dem Stein entgegen.
Sie, wie sie auf einem Thron saß, aber schon erheblich älter zu sein schien, und mit jemandem sprach.
Marian stand wie in Trance auf.
Sie, wie sie in einem See war, scheinbar bewusstlos, und immer tiefer sank ...

,,Und sie hat den Stein angefasst.
Na super!", murrte Derke und sprang auf ihre Schulter.
,,Hey, hörst du mich noch? Leg den Stein auf den Tisch!". Er winkte mit seiner Pfote vor ihrem Gesicht herum und riss sie dadurch zurück in die Wirklichkeit.

,,Ach du liebe Zeit", murmelte Marian leicht benommen und setzte die Kugel auf den Tisch ab.
,,Ich ... Ich habe Bilder gesehen ... vor meinem inneren Auge!".
Derke seufzte auf. ,,Das war zu erwarten! Was hast du gesehen?".
,,Ich kann mich nur an die letzten zwei Szenen erinnern ... einmal hat mein älteres Ich auf einem Thron gesessen und einmal bin ich, mit meinem jetzigen Alter, in einem See immer tiefer gesunken ...", hauchte Marian.
Als sie Derke's geschocktes Gesicht sah, fragte sie ängstlich: ,,Was bedeutet das?".
,,Das, was du gesehen hast, sind Bilder aus deiner Zukunft. Denn das ist ein Zukunftsstein, der dir in Stückchen die Ereignisse zeigt, die dir bevorstehen.
Also wirst du irgendwann Königin werden! Das ist doch super!".
,,Und ... das mit dem See?".

Derke ging nicht darauf ein, um sie nicht zu beunruhigen.

Sie musste ja nicht wissen, das immer die letzte Szene, die einem gezeigt wurde, am frühesten eintrat.

Er sprang auf den Tisch. ,,Hmmm ... das scheint ein besonders mächtiges Exemplar zu sein ... Es kann dir vollkommene Szenen deines späteren Lebens zeigen, andere dieser Art zeigen nur Bilder!
Wirklich eigenar-STOPP!".

Marian hatte nämlich schon wieder den Stein anfassen wollen.

,,Lass ja die Finger davon! Vor allem jetzt, wo du ihn schonmal berührt hast!
Dieser Stein kann dir zwar deine Zukunft zeigen, aber das hat auch seine dunkle Seiten! Jetzt, wo du einmal hineingesehen hast und ihn angefasst hast, ist ein Teil von ihm in dich übergegangen! Genauer gesagt, in deine Gedanken.
So wird er dich immer wieder dazu bringen wollen, ihn anzufassen, damit er selbst stärker wird!
Auch so würdest du jetzt immer neugieriger werden und öfters in den Stein schauen wollen, um deine Zukunft zu sehen.
Mit jedem Mal gewinnt er mehr Kraft über dich, bis du irgendwann komplett ihm gehörst.
Und das sollte niemandem passieren ...".

,,Sag mal, wieso bist du durch den Wald geritten, als wäre der Teufel hinter dir her?".

Beide fuhren herum und sahen Robin, der an dem Fensterrahmen lehnte und schief grinste.

Als er sich zu den beiden gesellte, kam es ihm vor, als würde Marian's Augen kurz bläulich aufblitzen.
Doch schon nach einem Wimpernschlag war es weg.

Er wollte sie schon darauf ansprechen, als er den Stein entdeckte.
,,Wow, was ist denn das?".
Wie auch Marian wurde er auf magische Weise zu dem Stein hingezogen.

Er streckte seine Hand nach dem Stein aus.
,,Nein, tu es nicht!", rief Marian und wollte ihn davon abhalten.

Doch so berührten ihre Hände gleichzeitig den Stein und beiden blitzte das gleiche Bild durch den Kopf:
Wie sie sich küssten.

Sie zuckten zurück und Robin entfuhr ein ungentlemanhaftes: ,,Ach du Scheiße!".

,,Was habt ihr gesehen?", fragte Derke neugierig.

Keiner von den beiden ging auf seine Frage ein, doch Robin zeigte beinahe ängstlich auf den Stein: ,,Was ist das?!".

Also erklärte Derke noch mal alles von vorn. ,,-und wenn zwei Personen gleichzeitig den Stein berühren, wird ihnen gezeigt, welche Szenen sich zwischen ihnen noch ereignen werden!".

Robin und Marian's Köpfe fuhren herum und sahen sich alarmiert an.

Robin räusperte sich und fragte dann: ,,Kann man den Stein irgendwie zerstören?".
Der Hamster überlegte. ,,So weit ich weiß, ja.
Er kann zwar nicht zerstört werden, doch er muss einfach wieder dorthin zurückgebracht werden, wo man ihn gefunden hat. In unserem Fall ist es der See.
Sobald er an genau dem Ort ist, verschwinden langsam die Erinnerungen an ihn aus den Köpfen der Menschen, die etwas mit ihm zu tun hatten ...
Bis er sich jemanden neues gesucht hat, den er beinflussen kann".
,,Das scheint ja nicht allzu schwer zu sein. Wir bringen den Stein morgen einfach zurück und das wars!", sagte Marian.
,,Nein, so einfach ist das nicht.
Es gibt ein Gesetz, das der Stein ab seinem Fund mindestens fünf Tage bei dem Finder bleiben muss, bevor er wieder ,entsorgt' werden kann.
Und in diesen fünf Tagen wird er versuchen, dich für sich zu gewinnen ...".

Marian stöhnte auf. ,,Na das kann ja was werden!".

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