Dunya Hussein
„Ich weiß nicht, was ich anziehen soll!", regt sich meine beste Freundin auf, bevor sie sich zu mir auf das Bett schmeißt. Heute gehen wir mit der ganzen Klasse schwimmen, da ab nächster Woche die Kälte Deutschland einnimmt. Seit 5:30 Uhr bin ich schon bei Selin. Etwas Passendes fürs Schwimmen haben wir immer noch nicht gefunden und es ist schon 6:30 Uhr.
„Sollen wir einfach schwänzen?", fragt Selin mahnend hebe die Augenbraue. „Ist ja gut.", murmelt Selin geschlagen. „Ich will aber nicht schwimmen!", ätzt sie. „Denkst du etwa, ich möchte schwimmen gehen?", frage ich mit einem Unterton, der offensichtlich macht, dass ich überhaupt keine Lust auf das Schwimmen habe.
Ich mag das Wasser nicht. Geschweige denn Schwimmen. Ich würde behaupten, dass ich ein kleines Trauma mit mir herumschleppe. Vor zwei Jahren waren wir in Kurdistan. Mamas Schwester hat in ihrem kleinen Dorf, wo sie aufwuchs, ein Haus, das sie mit ihrem Mann und ihren Kindern pflegt. Jeden Sommer, wenn wir in Kurdistan sind, übernachten wir in dem Haus mindestens eine Nacht. Direkt neben dem Häuschen ist ein Fluss, der je nach Jahr stärker bewässert ist. Mein Gott, wie sehr ich diesen Ort liebe. Er ist so schön, man kann ihn gar nicht in Worte beschreiben. Die Nostalgie trifft mich wie immer, wenn ich an mein Zuhause denke. An die Sonne, die in meinem verstaubten Herzen strahlt
Vor zwei
Jahren Kurdistan, ZaxoMit einem Seelenfrieden, den mir kein Mensch bescheren kann, stehe ich auf dem Dach des Hauses, das meiner Lieblingstante gehört. Von diesem Standpunkt aus kann ich über die vielen weiteren Dächer schauen, wo ich fünf kleine Kinder entdecke. Zwei hängen Kleidung auf, damit sie in der heißen Sonne Kurdistans trocknet. Es sind zwei Mädchen, die Dişdaş tragen, kurdisch traditionelle Hauskleider. Eins der Mädchen hat ein gelbes an mit Belles Gesicht drauf, die eine rote Rose vor ihre Brust hält. Kinder-Dişdaş. Die andere trägt ein grünes mit goldenen Perlen bestickt. Beide haben ihre langen braunen Haare zu einem Zopf geflochten. Drei andere kommen mit Tüten und Geld in den Händen hochgerannt.
„Sekenê me çi îna!", ruft ein kleiner Junge mit strahlend grünen Augen, die einem Smaragd gleichen. Das Strahlen seiner Augen sehe ich bis hierhin. Seine Klamotten sind verstaubt, so wie die des kleineren Jungen, der ihm folgt. Dahinter enthüllt sich ein Mädchen mit goldenen Löckchen und meeresblauen Augen. Sie trägt, wie das andere Mädchen, ein gelbes kurdisches Hauskleid mit Belle drauf. Sie sieht aus wie Goldlöckchen. Die Jungs tragen Fake-Adidas-T-Shirts mit verstaubten Jogginghosen und schwarzen Sandalen.
Das älteste Mädchen breitet ein großes Tuch auf dem Boden aus, worauf sich alle Kinder setzen und die Tüten auspacken. In ihren Händen liegt das Geld, das sie zur Seite legen. Aus der Tüte holen sie Kekse, Chips, kurdisches Wassereis und Gebäck. Das ältere Mädchen sagt etwas zu der Jüngeren, die sofort die Treppen heruntereilt und mit einem Teller voll Obst wieder auftaucht. Auf dem Teller liegen Äpfel, Bananen, Pflaumen, Trauben, Aprikosen und Gurken sowie Tomaten. Salz und Zitronensäure trägt sie in der anderen Hand. Unter ihrem Kinn trägt sie ein Gewürzglas voll mit Sumac, das sie an ihr Schlüsselbein presst, damit es nicht runterfällt. Der Junge mit den smaragdgrünen Augen kommt ihr entgegen und nimmt ihr etwas ab. Die Kinder der Sonne legen sich auf den Boden und beginnen zu naschen, während sie einfach reden. So friedlich. So schön.
In den Augen dieser Kinder sehe ich einen Film abspielen. Den Film, den meine Eltern selbst erlebt haben. Blut. Krieg. Verlorene Liebende. Schmerz. Trauer. Wut. Verzweiflung. Einen Film, der im Herzen jedes Kurden spielt – der Film unserer Geschichte. In den Augen dieser Kinder lese ich die Blutlinie unserer Vorfahren. Ich spreche Gebete im Gedenken an meine Eltern und an viele andere, die es geschafft haben, aus ihrer eigenen Heimat zu fliehen, um uns ein besseres Leben zu ermöglichen, aber dabei das Wichtigste verloren haben: sich selbst. Im Gedenken an alle Kurden, die gestorben sind. So Allah will, werden wir uns alle im Paradies wiederfinden, wo die Kinder der Sonne Fußball auf einer blumigen Wiese spielen wie in den alten Straßen von Kurdistan.
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𝐅𝐀𝐑𝐁𝐋𝐎𝐒𝐄 𝐖𝐄𝐋𝐓
Romance"Diese Welt ist ein einziges schwarzes Loch, das darauf wartet, jeden einzelnen zu verschlingen. Ich freue mich schon darauf, endlich bei Allah zu sein." 𝐁𝐚𝐫𝐚𝐧 𝐀𝐥-𝐌𝐨𝐡𝐚𝐦𝐦𝐞𝐝: Er eine Sonne, die kurz davor ist, zu erlöschen, und sich dan...